Blitzlicht auf das Henkerlächeln: Römerberggespräche über das „Theater der Politik“

Die Römerberggespräche sind eine feste Institution im politischen und geistigen Leben der Bundesrepublik. Selbst ein Kind der Bonner Republik, haben sie sich aufgemacht, die Berliner Republik kritisch zu erkunden. Die jährlich durchgeführten Veranstaltungen, ursprünglich im Plenarsaal des Frankfurter Rathauses „Römer“ am „Römerberg“ angesiedelt, sozusagen der „guten Stube“ der Stadt, bezogen in der jüngeren Zeit vielerorts Domizil, man wählte den Veranstaltungsort aber immer sehr sorgfältig aus.

Es war naheliegend, das Thema „Theater der Politik – Die inszenierte Demokratie und ihre Rituale“ im Frankfurter Schauspiel zu diskutieren. „Ahl Männer“ sind es bekanntlich immer noch mehrheitlich, die die Macht innehaben, in Wirtschaft und Politik, und sie legen sich Insignien, Symbole zu, um sich als Mächtige darzustellen und als solche (an)erkannt zu werden. Die Macht wird inszeniert, sie wird in Szene gesetzt.

Weniger von der Sprache der Macht, die doch ein notwendiger Bestandteil der Show ist, die uns jeden Tag über die Massenmedien geboten wird und kaum von den politischen Inhalten war daher die Rede, sondern von der staatstragenden Geste. Von der Anmaßung, mit der Ex-Bundeskanzler Schröder sich in der letzten Neujahrsansprache seiner Amtszeit filmen ließ, vor dem Berliner Reichstag im Hintergrund, so plaziert, daß die neu daraufgesetzte gläserne Kuppel wie eine Art Heiligenschein über ihm erschien. Man könnte es auch für eine Krone halten. Machtbewußt in die Kamera blickend. Oder Schröder, der Kunst- und Künstlerfreund, auch so eine Inszenierung, vor dem abstrakten stürzenden „Adler“ von Baselitz an seinem Schreibtisch sitzend, vieldeutiges Symbol für seinen Umgang mit dem problematischen deutschen Wappentier. Seine Nachfolgerin hat an derselben Stelle ein Porträt Konrad Adenauers hängen lassen, das Kokoschka gemalt hatte. Wie langweilig.

Wolfgang Ullrich führte seinem Publikum mit analytischem Scharfsinn ein Bestiarium der öffentlich praktizierten Heuchelei in sechs Bildern vor, Aufnahmen aus den letzten Jahren, an die man sich mehr oder weniger deutlich erinnert, die aber die Bedeutung des richtigen Blickwinkels und der richtigen Pose im richtigen Augenblick deutlich machen, wenn nämlich das Objektiv des Kameramanns darauf gerichtet ist. Der sonst von sozialer Eiseskälte geleitete Guido Westerwelle kauert da in seiner Berliner Wohnung auf kaltem Fliesenboden verletzlich und demütig wie ein Bettler unter einem Gemälde Norbert Biskys, eine Aufnahme, auf deren Veröffentlichung durch die Berliner Zeitung er – machtbewußt – bestand, sonst hätte er das Interview, das man mit ihm geführt hatte, nicht freigegeben, erzählte Ullrich.

Blitzlicht auf die leere Pose.

„Blitzlicht auf das Henkerlächeln,“ schrieb Enzensberger einst, medienkritisch, aber das ist 50 Jahre her.

Blitzlicht auch auf die martialisch drinblickenden Sicherheitsbeamten des Bundespräsidenten, hinter denen er im dunklen Anzug ganz entspannt lachend sich zeigen kann. Während der frühere Bundesaußenminister Joschka Fischer bei seinem letzten Wahlkampfauftritt in Frankfurt mit einer sehr zurückhaltend inszenierten Security auftrat, wie sich ein Diskutant aus dem Publikum erinnerte.

Braucht eine Demokratie politische Rituale? Braucht der aufgeklärte Mensch diese Show, fragte ein anderer Teilnehmer aus dem Publikum.

Politische Rituale dienten einst dazu, den ständischen Staat, der auf feudalen persönlichen Treueverhältnissen beruhte, zu gründen. Sie fanden an einem bestimmten Ort zwischen und in Anwesenheit von bestimmten Teilnehmern statt. Im politischen Raum. So wurde Macht nicht nur inszeniert, sondern überhaupt erst begründet. Rituale gehörten so schon zur vormodernen Welt, zum „Alten Reich“, das in Deutschland bekanntlich bis ins 19. Jahrhundert hineinreichte. Aber sie waren eben keine bloße Vorführung für die Kamera, um die nächsten Wahlergebnisse hoffentlich zu begünstigen. Barbara Stollberg-Rilinger erinnerte in einem kenntnisreichen Vortrag zum Abschluß der Veranstaltung daran, daß die Französische Revolution das Ritual des Alten Regimes nicht beseitigte, sondern dessen Elemente neu arrangierte. Die Karten wurden neu gemischt, aber die Elemente, aus denen diese Mischung bestand, waren dieselben, auch wenn noch so viele Aristokraten an der Laterne geendet haben mochten, es waren „des Kaisers alte Kleider“, die man auftrug.

Es war eine tiefgründige Auseinandersetung mit dem tagtäglichen Spektakel, das wir frei Haus empfangen können, das bis ins letzte Krankenzimmer live und in Farbe geliefert wird, weltweit. Und auf das die wenigsten verzichten möchten.

Nachdenklich stimmt, was Büchnerpreisträger Martin Mosebach anzumerken hatte. Der Konservative im Kreise der alten 68er, die sich mehrfach an ihren Nachfolgern rieben, wies, geschliffen formulierend, auf den Zusammenhang von Form und Inhalt hin, veranschaulicht an einem greifbaren Beispiel: Geldscheine habe man uns da in die Hand gegeben, auf denen Bauwerke zu sehen sind, die es nirgendwo gibt, weil man kein europäisches Land bei der Gestaltung der Euro-Banknoten bevorzugen oder benachteiligen habe wollen. So sinnentleert wie der Euro, eine bloße Zahl-Einheit, ist auch die Form, in der er daherkommt. Und Mosebach geht, schließlich, davon aus, daß die Verteidigung der Freiheit am Hindukusch durch die Bundeswehr, bei der laufend Menschen sterben, darunter auch deutsche Soldaten, ohne die Schaffung neuer Rituale auf Dauer nicht zu bewältigen, nicht möglich sein wird. Die Demokratie wird allerdings, hier irrt Mosebach, weniger mit der Schaffung neuer Kriegsrituale sich befassen müssen. Sie wird vielmehr darüber zu diskutieren und zu entscheiden haben, ob solche Kriegszüge überhaupt wünschenswert sind.

Die Römerberggespräche sind, wie bereits eingangs erwähnt, schon etwas in die Jahre gekommen, und mit ihnen ist auch ihr Publikum gealtert. Auch wenn das Podium jünger besetzt war, die meisten Besucher der Veranstaltung waren dem Rentneralter nahe oder hatten es bereits überschritten. Die Jüngeren hätten bei dem Thema vielleicht eher an den bis zur Unerträglichkeit staatstragenden Podcast der Bundeskanzlerin gedacht sowie an die sterilen Seiten bei You Tube, mit denen man hierorts meint, Wählerstimmen gewinnen zu können. Kein Wort über angeblich von eigener Hand twitternde Parteivorsitzende und Generalsekretäre, von Sascha Lobo und Co. im Wahlkampf 2.0 beraten, Barack Obamas eingedenk. Der Hoffnungsträger, der gerade entschieden hat, daß die folternden CIA-Agenten nicht bestraft werden sollen. Die Spindoktoren sind am Werk. Ihnen muß man im „Superwahljahr“ auf die Finger schauen.

Zuerst veröffentlicht in der Freitag Community am 26. April 2009 unter dem Titel: „Blitzlicht auf das Henkerlächeln: Römerberggespräche“.

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