In der heutigen Sendung von „Democracy Now!“ gab es eine sehr aufschlußreiche Diskussion über die neueren Versuche der Obama-Administration, die Krankenversicherung der Amerikaner zu verbessern. Einer der Diskutanten, Professor Oliver Fein von der Cornell University, wird gegen Ende des Gesprächs grundsätzlich und beschreibt das Problem aller Krankenversicherung (öffentlich, privat oder gemischte Modelle), indem er den ganzen Ansatz als Versicherung in Frage stellt:
„[…] The problem […] is that they’re going to make that public option behave like an insurance company, right? […] That’s a real difficulty. And maybe the whole paradigm of insurance is wrong. Just think of it. You buy car insurance or house insurance, you hope you’ll never have to use that insurance, right? I mean, you don’t want your house to burn down. You don’t want to get into a car accident. Health insurance is—you know, it’s the wrong term, right? We don’t want health insurance, because we all know at some point in our life we’re probably going to get sick. And, in fact, we want younger people to use preventive services. We want people to use their insurance. […] Which is the exact opposite of, you know, what most insurance is about. That’s why we talk about a national health program, Medicare for all, again, trying to get out of the insurance paradigm. For instance, in Medicare, you don’t pay premiums, per se, for the Part A part of it. It’s part of your, you know, payroll tax. […] I fear—I fear that it’s going to be very hard to get there from—through the public option. […]“
Ebenfalls veröffentlicht in der Xing Gruppe Sozialrecht und in der Freitag Community am 29. Oktober 2009.
[Update, aufgrund eine Nachfrage in der Freitag Community: ] Der Kernpunkt ist (ich sage das jetzt mal mit unseren deutschen Begriffen): Die Wahrscheinlichkeit, daß man irgendwann mal krank wird, ist gleich eins, also 100%. Dann benötigt man die entsprechenden Leistungen. Unsere gesetzliche Krankenversicherung ist eine Sozialversicherung, und „Sozialversicherung“ besteht immer aus zwei Aspekten, nämlich Versicherung und Solidarprinzip, das einen sozialen Ausgleich zwischen den Versicherten herbeiführen soll. Und man muß sich fragen, ob der Solidarausgleich zwischen den Versicherten nicht letztlich das einzige ist, was man benötigt und was öffentlicherseits geschaffen werden sollte. Ob man also hier überhaupt eine „Versicherung“ haben will/sollte?
Die Diskutanten halten diesen Standpunkt zum Ende des Gesprächs für vernünftig, bezweifeln aber gleichzeitig, daß dieser geradezu revolutionäre Ansatz im Kongreß sich durchsetzen ließe.
Ich habe auf diese Diskussion hingewiesen, weil wir derzeit in Deutschland und in den USA eine vollkommen unterschiedliche Lage haben: Während bei uns das Solidarprinzip in der Krankenversicherung zurückgedrängt wird, indem die Beiträge zukünftig vollkommen unabhängig vom Einkommen bemessen werden sollen („Solidarausgleich“ angeblich über staatliche Zuschüsse für Bedürftige aus Steuermitteln — die wiederum aus Steuereinnahmen stammen würden, die nur von denselben Bedürftigen stammen werden, denn es wird ja hierzu eher die Mehrwertsteuer erhöht werden als die Einkommensteuer), wird dort von Obama versucht, erstmals überhaupt ausreichende Leistungen für alle einzuführen. Dazu werden mehrere Modelle diskutiert, von voll-privat über genossenschaftlich organisiert bis hin zu „öffentlich“, also staatlich. Die Reaktionen darauf sind bisher massiv gewesen. Obama wurde von seinen rechten Gegnern deswegen mit Hitler verglichen, es gab u.a. dementsprechende Fotomontagen von ihm. Und diese Dreierrunde bei „Democracy Now!“ findet sozusagen auf der genau gegenüberliegenden Seite des Spektrums statt, sie ist das andere Extrem auf der linken Seite.
Es wird einerseits aufgeklärt über die größeren Zusammenhänge (Millionen Amerikaner sind ganz ohne Versicherung, die Kosten laufen aus dem Ruder, viele sind nur deswegen überschuldet) und entwickelt am Ende eben diese Ansicht, die auch für uns revolutionär wäre: Nicht das Solidarprinzip sollte abgeschafft werden, sondern — im Gegenteil — das Versicherungsprinzip! Zugegebenermaßen eine positive Utopie, denn dazu wird es angesichts der Macht der Versicherungskonzerne nicht kommen, weder hier noch dort. Aber absolut erwägenswert.