Ein aktueller Fall: Ein Straftäter hat aus Schweizer Quellen Daten über 1500 deutsche Steuerflüchtlinge in rechtswidriger Weise erlangt und bietet sie den deutschen Behörden gegen 2,5 Millionen Euro Entgelt zum Kauf an. Bisher scheint nur die FAZ verstanden zu haben, worum es wirklich geht, und deutet an, es handele sich zumindest auch um eine „Gewissensfrage“ für den Bundesfinanzminister Schäuble, während die SPD zum Kauf der Daten auf CD-ROM dränge (ebd.). Zwar wird die (im amerikanischen und im deutschen Strafrecht zu Unrecht nicht durchgehend angwandte) Fruit of the poisonous tree doctrine erwähnt, letztlich diskutiert man aber ausschließlich über utilitaristische Aspekte der Sache: Der Staat brauche Geld, es handele sich um ein Schnäppchen, wenn die Vollstreckung klappe, könne man aufgrund der Daten beinahe 200 Millionen Euro eintreiben, Steuerhinterziehung sei kein Kavaliersdelikt, der Zweck heilige die Mittel, non olet.
Daran zeigt sich wieder einmal, mit welcher Selbstverständlichkeit der Staat sich mittlerweile über rechtsstaatliche Grundsätze hinwegsetzt und mit Straftätern zusammenarbeitet. Um Online-Durchsuchungen durchführen zu können, wurden bereits Hacker aus der kriminellen Szene angeworben. Und auch und gerade im Sozialrecht sind rechtswidrige Weisungen an die Beschäftigten bei den Sozialleistungsträgern an der Tagesordnung. Jahrelang wird prozessiert, quer durch alle Instanzen, „bis nach Karlsruhe“, bevor man dem Bürger gibt, was ihm zusteht. Das Rechtsstaatsprinzip steht nur noch auf dem Papier.
Schon zu Zeiten meines Referendariats erlebte ich insoweit mehrere Richter und Verwaltungsjuristen: Ein Strafrichter brach in schallendes Gelächter aus, als ich – naiverweise – das Wort „Rechtsstaatspinzip“ im Rechtsgespräch erwähnte, und ein vorsitzender Richter am Verwaltungsgericht sprach mich abfällig an: „Und jetzt kommen Sie mir wahrscheinlich wieder mit Ihren Grundrechten?“ Was spricht dagegen, wenn ein Bundeskanzler in seiner Amtszeit ein Großprojekt vorbereitet, das er später nach seinem Ausscheiden aus dem Amt als Manager selbst verwaltet in einem russischen Staatskonzern, der bekanntlich immer wieder mit mafiösen Maschenschaften aufgefallen ist, so daß auch der Journalist Jürgen Roth über den Vorgang ausführliche Recherchen veröffentlicht hatte? Und in Hessen regiert bekanntlich immer noch eine Gruppe von CDU-Politikern, die sich mithilfe von schwarzen Kassen aus Geldwäsche ihren Wahlkampf zur Macht finanziert hatten. Auf Nachfrage erklärte man, es handele sich um „jüdische Vermächtnisse“.
So geht die Rechtskultur, aber auch die politische Kultur verloren, quer durch alle Ebenen der juristischen Profession und aller staatlichen Instanzen, und so kehrt die rechtliche Barbarei wieder, die einst in den Faschismus geführt hatte und die zu beseitigen das Programm des Grundgesetzes gewesen ist. Das Rechtsstaatsprinzip gehört „zum Eingemachten“, sagte einer meiner Lehrer einmal. Wer hieran Hand anlegt, sollte wissen, was er tut.