Der rechtspopulistische Diskurs zur Sozialpolitik[1][2][3] geht weitgehend am Kern der Sache vorbei. Das ist nicht neu. Etwa im letzten Jahr haben sich aber immerhin zwei große Lager herausgebildet, die wegweisend sind zum einen für die Misere des Ideenhaushalts zum Thema, zum anderen für die Unversöhnlichkeit und für den Abstand, den die Klientel-Lager zueinander einnehmen.
Auf der einen Seite steht die Sloterdijk-Honneth-Debatte um die Frage, inwieweit die Reichen der Gesellschaft nicht nur moralisch, sondern auch rechtlich (und das heißt: mit Befehl und Zwang durchsetzbar) dazu verpflichtet sein sollten, ihren angemessenen Anteil zum Gemeinwohl beizutragen. Die Steuerrechtler sprechen hier von einer Besteuerung nach dem Leistungsprinzip, und die Sozialrechtler bezeichnen die Heranziehung zu Sozialversicherungsbeiträgen nach der persönlichen Leistungsfähigkeit und zur Pflichtversicherung in der Sozialversicherung als einen Ausdruck des Solidarprinzips. Die Befürworter der Sloterdijkschen Meinung stellen sich einen Sozialstaat vor, der weitgehend auf freiwilligen privaten Zuwendungen aufbaut. Sie möchten ihn also im Kern abschaffen und das Soziale den Kirchen und den rein privaten Initiativen überlassen. Und die Finanzierung der Sozialversicherung soll über Pauschalen erfolgen, die für die Wohlhabenden auch insoweit zu einer ganz erheblichen Verringerung ihrer Beitragsbelastung führen würden. Diese Position ist, soviel ist nach dem jüngsten Hartz-IV-Urteil des Bundesverfassungsgerichts klar geworden, nicht mit der Verfassung zu vereinbaren. Sie ist, um es deutlicher zu sagen, geradeheraus verfassungswidrig. Der Staat ist von Verfassungs wegen dazu verpflichtet, allen Bürgern, die dazu nicht selbst in der Lage sind, eine ausreichende Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu gewähren. Das ist nicht nur eine Frage der Menschenwürde. Es ist schlechterdings konstitutiv für die Demokratie, denn politische Teilhabe ist ohne eine ausreichende finanzielle Grundlage nicht denkbar.
Auf der Gegenseite formiert sich schon seit längerem der Vorschlag des Grundeinkommens, das die hergebrachte Fürsorge ersetzen soll. Mehr oder weniger bedingungslos gedacht, soll es doch im wesentlichen zu dem führen, was auch das Bundesverfassungsgericht gerade als Standard formuliert hat: Nicht zu einer allzu üppig bemessenen, aber zu einer auskömmlichen Alimentierung der Bürger. Dazu gibt es bisher keine konkreten Konzepte, weshalb es die Gegner auch leicht haben, sich auf die Position zurückzuziehen, dies alles sei ja offensichtlich nicht finanzierbar. Die größte Stärke der Idee vom Grundeinkommen ist, daß es sich hierbei nach langer Zeit einmal wieder um eine ganz große positive soziale Utopie handelt, und sie bedarf deshalb dringend der weiteren Ausarbeitung, denn Utopien sind sozusagen das Salz in der Suppe der Politik. Die politische Rechte weiß das sehr genau, denn immerhin ist auch die Sloterdijk-Richtung nichts anderes als eine Utopie, derzufolge nämlich die Reichen sich aus der Sozialpflichtigkeit ihres Eigentums und ihres Vermögens zugunsten der Armen völlig verabschieden können sollten. So träumt sich ein jeder in sein Schlaraffenland. Beide Extreme sind offensichtlich unerreichbar.
Die Synthese muß vor allem in Rechnung stellen, daß schon sehr bald der größte Teil der Bevölkerung von Transfereinkommen leben wird. Das betrifft zum einen die immer weiter ansteigende Zahl der älteren Menschen, die ins Rentenalter kommen, sowie die noch nicht erwerbsfähigen Kinder und Jugendlichen. Sozusagen dazwischen, bei den potentiell produktiven Altersgruppen, hängen die Chancen, am beruflichen Leben teilzuhaben, zunehmend weniger von formalen Voraussetzungen wie der Bildung oder der beruflichen Erfahrung, sondern immer mehr vom bloßen Zufall ab. Dem stetigen Abbau von Arbeitsplätzen im privaten ebenso wie im öffentlichen Sektor kann nur durch eine verstärkte Umverteilung von oben nach unten begegnet werden, sonst würde der Staat eine eigene Klasse von Ausgeschlossenen schaffen, die gesellschaftlich und politisch von den wohlhabenden Klassen abgehängt wären. Das wäre aber nicht mehr der Staat des Grundgesetzes.
Aus staatsrechtlicher Sicht wären also die Bedingungen herauszuarbeiten für die soziale Teilhabe am demokratischen Diskurs. Aus zivilgesellschaftlicher Sicht wären andererseits die Bedingungen zu entwickeln, unter denen sich – umgekehrt – aus der Gesellschaft Initiativen entwickeln können, wie die zu kurz Gekommenen eingebunden werden können, wie die Chancen auf Teilhabe, die sehr viel knapper und ungleich schwerer erreichbar sind sind als früher, möglichst gleichmäßig auf alle gesellschaftlichen Schichten verteilt werden können. Die zentralen verfassungsrechtlichen Begriffe sind dabei die Menschenwürde und die Demokratie. Die politischen Instrumente sind der Sozialstaat und das Bildungswesen. Darum geht es eigentlich.
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