Facebook hat heute auf einer Entwicklerkonferenz die näheren technischen Voraussetzungen mitgeteilt, mit deren Hilfe es zukünftig vom closed shop zu einem Teil des Internets werden will. Der bekannte „Gefällt-mir“-Button soll zukünftig auch auf Websites außerhalb dieser geschlossenen Veranstaltung prangen. Die Öffnung nach draußen soll soweit gehen, daß beispielsweise auch die Betreiber von Onlineshops auf das interne Vorschlagsystem zugreifen können. Sie können also auf die Profile aus der Freundesliste zugreifen. Umgekehrt werden Anwender Inhalte außerhalb von Facebook in ihre dortigen Kontakte einbeziehen können.
Es wird also zu umfangreichen Datenströmen kommen, die für den Benutzer nicht zu durchschauen sind. Aber das ist ja für Facebook-Nutzer nichts Neues. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen des Dienstes sind so umfangreich, daß nur ein verschwindend kleiner Anteil der Anwender von ihnen überhaupt inhaltlich Kenntnis genommen haben dürfte. Die Stiftung Warentest hat sie unlängst vor allem wegen Problemen beim Datenschutz als mangelhaft bewertet. Der Verbraucherzentrale Bundesverband riet zum Wechsel der Plattform.
Dazu wird es aber nicht kommen. Facebook-Nutzer sind „anders drauf“. Statt mit den Füßen abzustimmen und einfach zu einem anderen Anbieter zu wechseln, gründen sie lieber auf Facebook Gruppen und Fanseiten, um den Betreiber auf ihre Bedürfnisse hinzuweisen. Beispielsweise zählt die Gruppe „Facebook Privacy Control – NOW!“ derzeit über 60000 Mitglieder. Und auch die eklatantesten Mängel bei den grundlegenden Funktionen führen nicht dazu, daß der Nutzer wechselt. Die Facebook-Gemeinde ist also nicht allzu anspruchsvoll, und sie ist träge. Die Anwender nehmen vieles hin, denn sie wollen mehrheitlich eines: Sich auf der größten verfügbaren Plattform, mit deren Bedienung sie wenigstens halbwegs zurechtkommen, mit den meisten ihrer Bekannten austauschen. Facebook ist Mainstream. Das kann kein anderer Anbieter toppen. Dafür verkaufen sie auch gerne ihre Daten an diese Krake, und die meisten ahnen auch nicht, was im Hintergrund abläuft, wenn sie eine Glücksnuß knacken oder Farmville spielen.
Es hat deshalb keinen Wert, über die Orwellschen Zustände sich zu beklagen, denn man wird ihnen nicht abhelfen können. Das kann aber noch lange kein Grund für die kritischeren Geister sein, sich mit dem allem zufriedenzugeben. Die Aufklärung muß weitergehen. Niemand soll sagen, er hätte es nicht wissen können.
Man muß sich aber auch fragen, ob es nicht doch mögliche Alternativen zu den proprietären Datenhändlern gibt, die im allgemeinen irreführend als soziale Netzwerke oder eben auch als Suchmaschinen bezeichnet werden.
Der völlige Ausstieg aus dem proprietären social web ist ganz sicher nicht zu zu empfehlen, denn durch die neuen Plattformen hat sich die Öffentlichkeit und ihre Funktionsweise schon nachhaltig verändert. Über die diesbezüglichen Probleme im Zusammenhang mit Online-Petitionen beim Deutschen Bundestag, zu denen fast ausschließlich online mobilisiert wird, hatte ich bereits geschrieben. In den sozialen Plattformen erzeugt die Zivilgesellschaft ihre eigenen Datenströme. Dadurch entsteht ein ganz neues „Massenmedium“, eines nämlich, das sich nicht nur an die Massen wendet, sondern das auch von der Masse selbst generiert und gesteuert wird. Der Datenfluß entsteht durch die Vernetzung der Bürger untereinander. Der Input in diesen Strom wird von den Usern selbst erzeugt. Und auch wenn sie sich dabei aus dem Fundus der kommerziellen Anbieter bedienen, sind sie es, die die für sie relevante Auswahl hieraus treffen. Dadurch entsteht etwas gänzlich Neues: Die Gesellschaft reflektiert live über sich selbst, „in Echtzeit“ machen Gerüchte und Nachrichten die Runde, wird Privatestes („war heute beim Friseur, und so sehe ich jetzt aus“, mit Bild) und Weltpolitisches (“amerikanische Gesundheitsreform beschlossen“, mit Video) übermittelt, ohne daß es eines Stammtisches, einer 20-Uhr-Tagesschau oder einer Tageszeitung noch bedürfte. Wer mobil surft, ist ständig am Draht. Wer das nur zuhause tut, schaut sich am Abend nachträglich an, was sich dort tagsüber so abgespielt hat. Wer sich hier ausklinken würde, ist mehr im Off, als wenn er keinen Fernseher oder kein Radio mehr hätte, denn er hätte keinen Zugriff mehr auf das, was die Gesellschaft als eine Versammlung von politisch handelnden Menschen beschäftigt. Was man hier liest, stammt aus dem selbstgewählten Netzwerk. Man kann es immer wieder neu zusammensetzen. Man erhält die Nachrichten nicht mehr „von oben“ aus einem regierungsamtlichen Verteiler, aus der Presseabteilung eines privaten Konzerns, aus einer Rundfunkanstalt oder aus einer Redaktion, sondern von anderen Menschen, denen man sich – aus welchen Gründen immer – nahefühlt, und zwar ohne, daß man sie hierfür persönlich treffen oder sprechen müßte, was zusätzliche Zeit erfordern würde, die man dazu entbehren müßte.
Statt also darüber zu jammern, daß das alles bis auf weiteres von einer Datenkrake veranstaltet wird, stellt sich die Frage, weshalb die Bürgerrechtsorganisationen sich nicht zusammentun, um ein eigenes und nun wirklich vertrauenswürdiges soziales Netzwerk zu gründen? Eines, das sowohl vom Kapital als auch vom Staat unabhängig ist. Man denkt etwa an den Chaos Computer Club oder an die weitestgehend aus demselben Umfeld hervorgegangene Piratenpartei, aber auch an sonstige Nichtregierungsorganisationen, denen die Bürgerrechte am Herzen liegen und denen es ein Anliegen sein müßte, den freien Diskurs in der Gesellschaft zu fördern und ihm eine Plattform zu schaffen.
Natürlich hätte es ein solches freies Netzwerk schwer: Wenige würden sich dort treffen, man wäre ziemlich unter sich, wenigstens zu Anfang. Entscheidend wäre aber zunächst einmal, wo man seinen Hauptaccount hätte. Mein Account zum Microblogging besteht beispielsweise bei Identi.ca, von wo ich auf andere Plattformen per Weiterleitung poste, um meine dortigen Kontakte mitzubedienen. Es wäre ein Anfang, und es wäre meines Erachtens der einzig gangbare Weg, um der Bürgergesellschaft die Luft zum Atmen zu erhalten, die sie braucht, um politisch handlungsfähig zu bleiben.
Es wird zunehmend enger im Netz. Bisherige Freiräume verschwinden. Ein weiteres Stichwort hierzu lautet Netzneutralität. Aber jeder kann darüber entscheiden, welche Freiheiten er für sich selbst in Anspruch nehmen möchte und tatsächlich wahrnimmt. Vielleicht ist die E-Mail und die Mailingliste doch nach wie vor die beste Möglichkeit, um elektronisch miteinander in Verbindung zu bleiben.
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