Die Meldung über den Tod Alan Sillitoes erinnert mich an die verspätete Lektüre seines bekanntesten Werks „The loneliness of the long-distance runner“ während der strafrechtlichen Station meines Referendariats. Wenn man wochenlang als Referendar beim Jugendrichter die Aussagen von jugendlichen Angeklagten und Zeugen sich anhören muß, ist es höchste Zeit nachzuholen, was einem im Englischunterricht in der Oberstufe zum Glück erspart geblieben ist. Sillitoe beschrieb, wie es war und ist. Die FAZ erinnert deshalb völlig zurecht an den sogenannten „kitchen sink“-Realismus. Kriminalität als Normalfall, als Alltag: „I came, I broke, I entered. … I didn’t think about anything at all, as usual, because I never do when I’m busy …“ Heutzutage steht so etwas zumindest in den besseren Lehrbüchern zur Kriminologie, aber bis zu den Straftheoretikern hat es sich meist immer noch nicht herumgesprochen: Die Rechten träumen immer noch vom höheren Strafmaß, wenn sie über rechtspolitische Maßnahmen gegen die Kriminalität nachdenken. Die Praktiker bei Gericht und Staatsanwaltschaft dagegen waren Realisten, insoweit Sillitoe recht ähnlich. Und als ich dann am Ende der Station in unserer Arbeitsgemeinschaft das Referat zum Thema „Die Jugendkriminalität und die Besonderheiten der Jugendstrafrechtspflege“ hielt, zog ich die Verachtung meiner mehrheitlich rechtslastigen Kolleginnen und Kollegen auf mich, die kein Verständnis dafür hatten, daß ich meinen Vortrag in Anlehnung an die Kriminologie Klaus Lüderssens unter die Überschrift „Kriminalität und Kriminalisierung“ stellte. War wohl auch zuviel verlangt. Was bleibt, ist eine gewisse Leere, wie immer, wenn ein Großer geht: „Where are all the angry young men now?“
Wieder veröffentlicht am 29. April 2010 im Blog des Arbeitskreises zur Kritik des Strafvollzugs (AkS) e.V., Münster.