Facebook is a closed shop XVI (Schluß)

Das einzig Beständige ist bekanntlich der Wandel. Das Internet reorganisiert sich laufend neu. Die Benutzer wenden sich den Knoten zu, die ihren Interessen entsprechen, und gruppieren sich hierum. Immer wieder neu: „Wo itzund Städte stehn| wird eine Wiesen seyn| Auff der ein Schäfers-Kind wird spielen mit den Herden.“[1] Nach zehn Jahren im Netz habe ich schon viele Dienste aufkommen und wieder untergehen sehen. Mailinglisten, Newsgroups, Foren und alle möglichen anderen Kanäle wuchsen, und dann schrumpften sie wieder, früher oder später. Facebook war der langweiligste Kanal von allen, die ich im Laufe der Zeit kennengelernt habe, biedermeierlich. Manche User haben alle diese Entwicklungen mitgemacht und sind heute noch aktiv, auf jeweils anderen Plattformen, die gerade „in“ sind. Andere bleiben bei einem oder mehreren Diensten, die sie persönlich interessant finden. Alle virtuellen Communities aber sind grundsätzlich gleichwertig, es gibt keine „besseren“ oder „schlechteren“. Man findet allenthalben wieder jemand, mit dem man sich virtuell gehaltvoll austauschen kann, nicht nur in den sozialen Netzwerken. Es geht also auch ohne all diese. Diese Beobachtung relativiert die Bedeutung jeder Online-Community. Man muß nicht auf allen Kanälen senden und empfangen, die es gibt, nur weil das grundsätzlich möglich wäre. Es gibt auch gute Gründe für eine Abstinenz vom Web 2.0. Weniger ist mehr. Keine virtuelle Community ist gleichwertig mit einer realen Gemeinschaft im wirklichen Leben.

Nachdenklich gemacht hatte mich zuletzt die These von Danah Boyd, wonach Facebook eine Art Infrastruktur sei oder jedenfalls sein wolle. Das ist aber grundfalsch. E-Mail ist eine Infrastruktur, das Usenet auch, IRC, meinetwegen auch OStatus oder Jabber. Facebook aber ist eine proprietäre und geschlossene Insel, oder wie ich eingangs auf nettime-l schrieb: Facebook is a closed shop. Es ist deshalb entbehrlich. Wenn dort mal etwas wirklich Bemerkenswertes passieren sollte, werde ich es garantiert erfahren. Ich muß nicht selbst mit dabei sein. Meine Lebenszeit kann ich anders und besser verbringen. Und es ist übrigens auch bei weitem nicht so, daß „alle auf Facebook“ wären: Gerade weil das nicht so ist, eignet sich die Plattform nicht einmal zum Organisieren eines Kaffeenachmittags in meinem Bekanntenkreis. Das machen wir per E-Mail und Telefon. Übrigens fände ich es auch keinen erstrebenswerten Zustand, wenn „alle auf Facebook“ zu finden wären.

Deshalb habe ich heute an der Aktion Quit Facebook Day teilgenommen, von der ich im Blog von Geert Lovink gelesen hatte. Ich habe meinen Account nicht nur deaktiviert, sondern gelöscht. Bis zum Montag möchte ich damit nicht mehr warten. Unnützen Ballast soll man abwerfen.

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12 Kommentare zu „Facebook is a closed shop XVI (Schluß)“

  1. Ich denke, Danah Boyd hat mit ihrer Einschätzung recht.: Facebook ist heute *de facto* für eine erstaunlich große Zahl von Zeitgenossen eine „utility“, also etwas, das zum Leben notwendig ist, wie Wasser, Strom und Telefon.

    Diese Facebook-Anwender setzen ihren Facebook-Account für ihre tägliche Kommunikation ein, wobei Facebook hier ältere Kommunikationsformen wie Email und IRC *ersetzt*. Das ist für viele, mich eingeschlossen, schwer vorstellbar, aber es ist wohl in der Tat so:

    Vor allem jüngere Menschen schreiben keine Emails mehr, sie verschicken *stattdessen* Facebook-Nachrichten (vor allem in den USA ist dieser Trend festzustellen).

    Das ist aber lediglich eine Beschreibung des Ist-Zustandes. Damit ist keine Wertung verbunden, schon gar keine positive, im Gegenteil: Es ist nämlich festzuhalten, dass ein wichtiges Kommunikationsmittel unter der Kontrolle eines Privatunternehmens ist, welches die Funktionsweise des Dienstes nicht offenlegt und auch sonst zu Kritik reichlich Anlass bietet.

    Es wäre wünschenswert, dass die grundlegenden Kommunikationswege auf offenen Standards aufbauen. Das war in der Vergangenheit, zum Glück, so, wir stellen aber fest, dass der Zug gegenwärtig in eine andere Richtung fährt

    Wenn Danah Boyd Facebook als utility charakterisiert, so führt das zu ihrer Forderung, Facebook staatlicher Regulierung zu unterwerfen, genauso wie man das mit der Telekommunikationsbranche oder Stromlieferanten tut. Das kann sich z. B. so äußern, dass Facebook einem Kunden nicht mehr so ohne weiteres kündigen darf, denn dieser ist u. U. auf die Dienste von Facebook genauso angewiesen wie unsereins auf Telefon oder eine funktionierende Briefzustellung. In Deutschland würde man wohl von Kontrahierungszwang sprechen.

    Welche Bedeutung Facebook für den Einzelnen hat, das ist auch eine Generationenfrage: Für jüngere Menschen ist der Umgang mit Facebook eine Selbstverständlichkeit, es werden dann eben auch die relevanten Inhalte generiert, Meinungsäußerungen, Diskussionen, Kampagnen usw.

    Ich persönlich staune auch darüber, für mich ist Facebook nur ein interessantes, aber darüber hinaus leicht entbehrliches Spielzeug.

    Davon unabhängig ist die Frage zu sehen, ob Facebook diese bedeutende Stellung auf Dauer behält, oder ob in 5 bis 10 Jahren nicht schon längst wieder eine neue Sau durch’s Dorf getrieben wird. Man weiß es nicht, würde Dittsche sagen.

  2. Wenn man wirklich nur die „öffentlich relevanten“ Informationen haben will, dann wird das Wichtige auch noch zu dir durchdringen. Aber private News von einigen FreundInnen nicht zu erfahren, das ist für mich tatsächlich weiterhin ein Grund, bei Facebook zumindest noch mitzulesen.

    Und zu warten, bis es einen offenen Standard gibt…

  3. @kluedicke: Es mag darauf ankommen, daß das, was man von privaten Kontakten über ein Plattform erfährt, als so wesentlich empfungen wird, daß man dabei bleibt. Ist bei mir aber nicht der Fall. Im Gegenteil: Es hat sich gezeigt, daß die direkten, persönlichen Kommunikationskanäle sehr viel effizienter sind als dieser ganze virtuelle Kram.

  4. Wenn eins wirklich auf Facebook zutrifft, dann ist es die Feststellung, dass es sich hierbei eben nicht um einen effizienten Kommunikationskanal handelt. Ähnlich könnte man vielleicht behaupten, McDonald’s sei eine unbedingt notwendige Einrichtung der Gaststättenbranche.

  5. Hhm, jetzt bin ich gar nicht bei Facebook und kann auch nicht quittieren. Ich habe das mal 24 Stunden probiert, aber irgendwie hat mir dieses „Das können deine Freunde werden“ Angst gemacht. Tatsächlich.

    Andererseits weiß ich, dass in bestimmten Ländern es ohne Facebook gar nicht geht. Nicht dabei zu sein ist in etwa so, wie kein Telefon und keinen Briefkasten zu haben. Island ist ein Beispiel dafür. Überhaupt Skandinavien.

    PS: Was ist eigentlich dieses Diaspora-Ding?

  6. Wenn jemand bemerkt, wie lebendig er ohne Facebook ist, dann darf man wohl schon von überwundenem Suchtverhalten ausgehen.

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