Zur heutigen Wahl von Christian Wulff zum Bundespräsidenten vier skeptische Impulse zum Weiterdenken:
Das Rote-Socken-Dreieck der CDU ist wieder aufgegangen. Die CDU und die FDP sind selbst so schwach, daß sie darauf angewiesen sind, die Linke gegen Rot-Grün auszuspielen, um ihre politischen Interessen durchzusetzen. Und die Linkspartei läßt sich hierzu weiterhin sehr zuverlässig instrumentalisieren und vor den konservativen Karren spannen. Der Bundespräsident hat als Person so wenig politische Bedeutung, daß es vertretbar gewesen wäre, den rot-grünen Kandidaten mitzuwählen. Die Wahl selbst Gaucks wäre trotz aller Bedenken gegen ihn ein Signal für einen Richtungswechsel in der Politik gewesen, der dringend nötig gewesen wäre.
Die SPD hat es wiederum versäumt, ein eigenes Profil zu zeigen. Gauck wäre der Kandidat einer großen Koalition gewesen, die es aber nicht mehr gibt, rückwärtsgewandt, ein Konservativer. Beispielsweise Gesine Schwan hat sich gerade am 17. Juni 2010 mit einer bemerkenswerten Rede für das Amt empfohlen.
Neben Achtundsechzig gibt es zwei weitere tiefe Gräben in der deutschen Politik: Neunundachtzig und Hartz IV. West und Ost trennt die Gesellschaft weiterhin genauso deutlich wie die unvereinbar nebeneinanderstehenden Positionen zur Sozialpolitik über den Umgang der haves mit den have nots. Diese Risse gehen quer durch alle Parteien. Der Versuch des Bundesverfassungsgerichts, hier mithilfe des Verfassungsrechts einen kleinsten gemeinsamen Nenner zu formulieren, muß deshalb zunehmend scheitern. Deshalb ist auch die konsensstiftende Funktion des Rechts zunehmend in Gefahr, je ferner der gesellschaftliche Konsens in allen möglichen Fragen gerät.
Das mittlerweile etablierte Fünfparteiensystem führt weiterhin zur Spaltung und zur Polarisierung der politischen Positionen. Es kommt nicht zur Solidarisierung, und vor allem die linken Kräfte sind weiter voneinander entfernt als je. Rot-grün führt sich immer noch auf, als könnten sie alleine regieren und bräuchten die Linkspartei nicht. Und die Linkspartei möchte nicht gemeinsam mit der Schröder-SPD und den Hartz-IV-Grünen regieren. Punkt. Rosige Zeiten für Schwarz-Gelb?
Es ist phantastisch, was es mittlerweile alles in der Wikipedia nachzulesen gibt. Gerade entdeckt habe ich den Artikel: „Sozialversicherung des Freien Deutschen Gewerkschaftsbunds“. Wenn man bedenkt, wie schwer es schon 2000 war, Material über die Sozialversicherung der DDR zusammenzutragen, als ich noch darüber gearbeitet hatte, wird man ermessen, wie wertvoll und wie wichtig es ist, Erinnerungen über die Zeit vor der Wende in Ostdeutschland zu sammeln und unter einer freien Lizenz zugänglich zu machen. In den Darstellungen westdeutscher Autoren, beispielsweise in der „Geschichte des Sozialrechts in Deutschland“ von Michael Stolleis (2003), kommt das ostdeutsche Sozialrecht nur als Randerscheinung vor, wenn überhaupt. Der Artikel ist übrigens bebildert mit einem Scan des Sozialversicherungsausweises der DDR. Das war ein kleines Buch, ungefähr so groß wie unser heutiger Reisepaß, in einem mittelgrünen Plastikeinband, in dessen Vorderseite das Wappen der DDR als Relief eingeprägt war. Darin wurden der jeweils zuständige Sozialversicherungsträger (SVAA/FDGB, SV/StV oder die Wismut AG) und alle für das Sozialversicherungsverhältnis erheblichen Daten eingetragen.
Quelle der Abbildung: Wikipedia, Benutzer: Akunin, Lizenz: gemeinfrei (public domain). – Auch: Forenbeitrag in der Xing-Gruppe Sozialrecht, 20. Juni 2010.
Das Deutsche Ärzteblatt berichtet heute über die zukünftig vorgesehene Regulierung der Arzneimittelpreise:
„Das Bundeskabinett hat am Dienstag Regelungen zur Neuordnung des Arzneimittelmarktes beschlossen. Es verabschiedete einen Gesetzentwurf, dessen Kernpunkt die Verpflichtung von Pharmaunternehmern ist, den Nutzen eines neuen Arzneimittels nachzuweisen und innerhalb eines Jahres über den Preis dafür mit den Krankenkassen zu verhandeln. Kommt keine Einigung zustande, entscheidet eine Schiedsstelle. Für Arzneimittel ohne Zusatznutzen wird die Erstattungshöhe begrenzt auf den Preis vergleichbarer Medikamente. … Scharfe Kritik am jetzigen Kabinettsbeschluss übte die frühere Bundesgesundheitsministerin Ulla Schmidt (SPD). ‚Viele Dinge stehen bereits im Gesetz‘, sagte sie der ‚Tageszeitung‘ vom Mittwoch. Auch die Grünen zweifelten den Nutzen des Kabinettsbeschlusses an. ‚Die Pläne, die das Kabinett heute auf Vorschlag von Herrn Rösler beschlossen hat, werden nicht zu niedrigeren, sondern zu höheren Preisen führen‘, erklärte Fraktionschef Jürgen Trittin. Die Linken-Gesundheitsexpertin Kathrin Vogler erklärte: ‚Rösler gibt sich als Ritter im Kampf um niedrigere Arzneimittelpreise, bleibt jedoch Untertan der Pharmakonzerne. Im ersten Jahr können die Hersteller nämlich nach wie vor exorbitante Mondpreise verlangen.‘”
Der Kritik möchte ich hinzufügen, daß es mit der Festsetzung des Preises durch die Schiedsstelle natürlich nicht sein Bewenden haben wird. Diese Festsetzung kann angefochten und gerichtlich überprüft werden, und am Ende wird auch das Bundesverfassungsgericht ganz sicherlich auch noch ein Wort mitzureden haben. Ich bin deshalb schon sehr gespannt, ob in dem Gesetz auch der Satz enthalten sein wird: „Widerspruch und Anfechtungsklage gegen die Festsetzung haben keine aufschiebende Wirkung.“ Sonst könnten die Mondpreise von den Pharmaherstellern nämlich noch wesentlich länger verlangt werden als nur ein Jahr lang. Es wäre zu begrüßen, wenn die Ärzte von der Verordnung von solchen Medikamenten fürs erste grundsätzlich absehen würden.
Forenbeitrag in der Xing-Gruppe Sozialrecht, 29. Juni 2010.
Update, 1.7.2010: Der Ausschluß der aufschiebenden Wirkung steht ebenso im Gesetzentwurf wie der Ausschluß des Vorverfahrens.
Im Vorfeld zur Wahl des Bundespräsidenten blendet das Nachrichtenprogramm des Hessischen Rundfunks hr-info mittlerweile die Kandidatin der Linkspartei Luc Jochimsen aus der Berichterstattung fast völlig aus. Für die Interview-Reihe „Im Gespräch“ wurden Sendungen mit Wulff und Gauck produziert, aber nicht mit Jochimsen. Und seit heute nachmittag laufen in dem Programm Trailer, in denen Jochimsen ebenfalls nicht mehr vorkommt. Die ehemalige Chefredakteurin des Senders ist durch ihre Tätigkeit als Bundestagsabgeordnete für die Linkspartei ganz offensichtlich zu einer persona non grata geworden. Entweder „Wulff oder Gauck“, eine dritte Möglichkeit gibt es nicht. Dabei spielt es gar keine Rolle, wie wahrscheinlich oder wie unwahrscheinlich die Wahl Jochimsens zur Bundespräsidentin in der morgigen Bundesversammlung wäre. Zu kritisieren ist, daß der Sender sich nicht einmal darum bemüht, den Schein einer objektiven Berichterstattung zu wahren. Natürlich kamen in den letzten Wochen auch die kritischen Stimmen zu den beiden Kandidaten des neoliberalen Mainstreams nicht zum Zuge, die sich insbesondere in den Blogs[1][2] (jeweils mit weiteren Nachweisen) zu Wort gemeldet hatten. Der „Hessische Rotfunk“ ist endgültig Vergangenheit. Die Qualität der politischen Berichterstattung im hr wurde unter der rechts-konservativen Hessischen Landesregierung schon längst zu Tode gewendet. Unter den einstigen Chefredakteuren Luc Jochimsen oder Wilhelm von Sternburg hätte es so etwas ganz sicherlich nicht gegeben.
Heute abend habe ich mein Blog zu TeX & Friends nun ebenfalls auf das Theme „Twenty Ten“ umgestellt. Die Abbildung im Header zeigt einen Ausschnitt aus dem Quellen des Pakets microtype. Die Facebook-Seite, die ich in meinem letzten Blogbeitrag auf „TeX & Friends“ erwähnt hatte, habe ich vor meinem Weggang von den sozialen Netzwerken an Ulrik Vieth und Uwe Ziegenhagen übergeben. Seitdem habe ich mich wieder eher den Mailinglisten und dem Usenet zugewandt, schaue aber auch immer mal wieder gerne in den Webforen zu TeX und zur Typographie vorbei. Ich habe vor, auch an dieser Stelle wieder öfter über Neuigkeiten rund um den Textsatz mit TeX, LaTeX, ConTeXt … zu schreiben, ich bin mir aber derzeit noch nicht sicher, in welcher Form und wie häufig ich das tun werde. Time will tell.
Was man im Netz nicht findet, das gibt es nicht. Gestern abend hat der Umstand, daß das Inforadio der ORF auf der vor kurzem neugestalteten Website des Senders noch keine eigene neue Webpräsenz unter der dafür weiterhin vorgesehenen bisherigen URL erhalten hat, dazu geführt, daß der Sender kurzerhand für tot erklärt wurde. Die Wikipedia-Autorin Elisabeth59 setzte den gesamten Text des Artikels vom Präsens („ist“) ins Imperfekt: „… war das Informationsprogramm des Österreichischen Rundfunks (ORF)“ und paßte auch die Vorlage für die ORF-Programme dementsprechend an. Die Änderung wurde von einem anderen User bemerkt und wieder rückgängig gemacht. Tatsächlich sendet das Ö1 Inforadio weiterhin online, neben dem bisherigen WMA-Livestream gibt es nun sogar einen neuen Stream in mp3 (übrigens mit 112 kbps). Allein, das reichte offenbar nicht aus, um die Nutzer von der weiteren Existenz des Programms zu überzeugen.
wenn der weiße schnee, der alles bedeckt hat, schmilzt, erscheint die welt wieder, wie sie ist, nicht: wie sie war