„Wir haben die Brockhaus-Substanzen in unser Content-Management-System übernommen“

Bertelsmann will ab 2014 eine neue Auflage des „Brockhaus“ auf den Markt bringen. Der Buchreport bringt dazu heute ein Interview mit Christoph Hünermann, dem Geschäftsführer von „Wissenmedia“.

Ausgesprochen lesenswert. Aus dem Interview ist mit wünschenswerter Deutlichkeit zu entnehmen, wie man bei Bertelsmann denkt: Man hat 2009 „die Brockhaus-Substanzen“ gekauft und „in unser Content-Management-System übernommen“. Die Autoren, die diesen „Content“ erarbeitet hatten, waren gleichzeitig in die Wüste geschickt worden (die Seite http://www.was-spricht-dagegen.de/ gibts immer noch… daneben aber auch: http://www.gruppe-l.de/ ). Man nimmt „Brockhaus“ nicht als Enzyklopädie wahr, sondern als „Marke“, „wir sind davon überzeugt, dass Brockhaus das Potenzial zu einer echten Bildungsmarke hat“, und: „Verwässern kann man nur eine Marke, die ganz klar positioniert ist. Das ist aber offenbar nicht mehr der Fall“ – an wem das wohl liegt?

Es ist Bertelsmann schon klar, daß der ehrenamtliche Produktionsprozeß bei Wikipedia jedes kommerzielle Produkt von der Kostenseite her gesehen abhängen muß. Die Zielgruppe des neuen „Brockhaus“ sind deshalb wahrscheinlich die iPads und die iPhones, von denen es „2014 oder 2015“ noch mehr geben wird als heute schon. Die bekommen dann ihren „Premium-Content“ verkauft. Und die Wikipedia-Community schreibt sich ihre Enzyklopädie, die bis dahin nun wirklich kein Verlag mehr auf Deutsch anbieten wird.

Brockhaus war gestern.

Bearbeitetes Posting aus der Mailingliste Wikide-l, 29. Januar 2011.

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Großes Kino trotz toter Leitung [Update]

Ägypten, so heißt es, sei heute „nahezu komplett“ offline gegangen. Im Gegensatz zu den Protesten im Iran 2009, sei nicht nur beim Zugriff auf bestimmte Server (vor allem: Twitter, Facebook) angesetzt worden, was leicht mit Proxys zu umgehen war. Ein ganzes Land wurde also vom Rest der Welt abgeschaltet. Das betrifft auch den Journalismus, der zunehmend sowohl für die eigene Arbeit, den Kontakt mit der Redaktion, als auch für die Verbreitung auf das Internet angewiesen ist. Auf Bayern2 konnte man heute mittag den Gesprächspartner (bei der Konrad-Adenauer-Stiftung) in Kairo nicht telefonisch erreichen und beließ es deshalb dabei, daß man über den derzeitigen Stand nichts Genaues sagen könne. Auch die Satellitenverbindungen funktionierten nicht, hieß es. Trotzdem wird heute abend wieder gesendet und geschrieben. Wikipedia und Wikinews sammeln die derzeit kursierenden Texte der Journaillie, und man wundert sich, woher man das alles heute abend denn eigentlich wissen will? Die Grenze zur Desinformation ist dabei in vielen Fällen ganz sicherlich schon überschritten worden. Sitzt die Journalistin, die eben gerade bei den Nachrichten auf hr2 eingespielt wurde, tatsächlich in Ägypten?

[Update 29. Januar 2011:] Wikipedia-Statistiker Erik Zachte hat in seinem Blog eine grafische Darstellung zum Thema veröffentlicht, in der die Zugriffe auf die arabische und auf die englische Wikipedia aus Ägypten dargestellt werden. Wenn man sich diese Grafik betrachtet, kann man kaum glauben, daß derzeit noch irgendeine Form von journalistischer Berichterstattung möglich sein sollte.]

Gift ist im Futter III

In der Badischen Zeitung liest man heute eine Diskussion über die Belastung von Tofu aus Freiburg mit Weichmachern, von der die Zeitschrift Ökotest berichtet hatte. Der Hersteller weist zu seiner Entlastung darauf hin, es seien Sojabohnen aus Brasilien verwendet worden, die auf dem Transport möglicherweise mit Staub von genetisch veränderten Pflanzen in Berührung gekommen sein könnten. Außerdem lägen die gemessenen Mengen unterhalb der sonst angewandten Grenzwerte. Es ist nicht das erste Mal, daß Ökotest genauer messen läßt als es sonst üblich ist. Die darauffolgende Diskussion im Forum der Zeitung (zu lesen unterhalb des Artikels von oben nach unten) zeigt allerdings einige der Denkfehler, die derzeit zu beobachten sind. Ein Zitat: „Ich lach mich grad scheckig. Die Bio-Brüder hier im Forum labern immer, man solle Zeugs aus der Region kaufen und natürlich Bio. Jetz aber les ich, die Bohnen fürs Tofu kommen aus Brasilien -rofl- und kommen während dem Transport mit Staub in Berührung, der gentechnisch veränderte Organismen trägt…. warum soll dann noch einer auf BIO achten, wenn das Zeugs schon in der Luft ist?“ So kann man es natürlich auch sehen. Der Soja-Anbau in Baden hält sich nun mal in engen Grenzen… Ich sehe mir deshalb lieber eine 3sat-Dokumentation über die Verhältnisse in unseren Schlachthöfen [1][2] an – und esse daraufhin heute mittag Blumenkohl mit Kartoffeln.

Unhistorische Historie

Die Sammelmappe zeigt heute ein Video von einer der phantastischen Maschinen von Jean Tinguely. An dieser Stelle die Erinnerung daran, daß ein Brunnen von Tinguely auch für den Platz vor der Frankfurter Alten Oper diskutiert worden war. Dazu ist es natürlich nicht gekommen (OB: Walter Wallmann), das Ergebnis ist bekannt. Dieser Brunnen, der dort heute steht, ist im Gegensatz zur Oper, nicht historisch. Er war mal für diesen Platz vorgesehen, aber niemals gebaut worden. Er wurde bei der Rekonstruktion der Oper also erstmals hier errichtet. Anstelle von Tinguelys Entwurf. Die Entscheidung gegen Tinguely und für eine Historie, die es so niemals gegeben hatte, war ein Schritt in eine Welt mit weniger Phantasie, weniger Traum, ohne Visionen, gegen das „Gute Leben“ im Sinne von Beuys.

Kommentar, Sammelmappe, 27. Januar 2011.

Gift ist im Futter II

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„Dahinter steckt immer ein kluger Kopf“ – Ergebnis einer Umfrage in der FAZ-Rhein-Main-Zeitung, 26. Januar 2011, 8.14 Uhr – (c) FAZ

In der Online-Ausgabe der Rhein-Main-Zeitung kann man derzeit verfolgen, was die FAZ.NET-Leser von dem derzeitigen Lebensmittel-Skandal halten, welche Schlüsse sie zu ziehen gedenken und wie sie das Thema Massentierhaltung so sehen. 40 Prozent erkennen keinen Zusammenhang zwischen der Tierhaltung und der Vergiftung von Tieren und tierischen Produkten. Und gut 8 Prozent wollen ihr derzeitiges Ausweichverhalten später noch einmal überdenken.

Die Umfrage hat einen Makel: Es ist nicht möglich, mit einem schlichten „Ja“ zu antworten. Man kann daher nicht sagen, wer sein Verhalten von nun an geändert hat, nur wer es sich „vorgenommen“ habe. Dieses Vorgehen bei der Befragung ist inkonsequent – und es entspricht insoweit wahrscheinlich der Haltung der Mehrheit in der Bevölkerung, die ein Grund für den Fortbestand der derzeitigen Verhältnisse ist.

Screenshot: © 2011 FAZ.NET

Wikipedia at its best

Seit gestern entsteht in der deutschsprachigen Wikipedia ein Artikel zu Constanze Kurz. Und da Kurz eine der Sprecherinnen des Chaos Computer Clubs ist, geschieht dies unter reger Anteilnahme und Beteiligung der Netzgemeinde. Wikipedia-Fan Fefe bloggte schon innerhalb der ersten Stunden darüber und hieß die Betroffene im Kreise der Promis mit eigenem Wikipedia-Artikel willkommen. Im Laufe eines Tages wurde auf der Diskussionsseite oder unmittelbar in den Edits schon über fast alles gestritten, was so üblich ist: Die Relevanz einer wissenschaftlichen Mitarbeiterin, die bisher immerhin als Sachverständige bei Bundestag und Bundesverfassungsgericht sowie als Autorin bekannt geworden war, über das richtige Bild zum Artikel (heute steuerte Kurz über die Benutzerin WiseWoman vorläufig selbst eines bei, „bis ein besseres sich einstellt“. Noch nicht erschienene, aber kurz vor dem Erscheinen stehende Literatur der Autorin sei vorläufig wegzulassen. Und ihr Profil beim Deutschen Bundestag, wo sie derzeit gemeinsam mit den üblichen Verdächtigen in einer Enquete-Kommission sitzt, sei redundant, was es zu vermeiden gelte. Natürlich wird in der Diskussion auch an Rants nicht gespart. Ich nehme doch mal sehr an, Fefe diskutiert auch mit, wenn auch nur als IP… ganz großes Kino, also. Und es hat tatsächlich etwas von einer daily soap