„Es gibt noch Richter in New York“, schreibt Jürgen Kaube zu Recht gestern in der FAZ zur Niederlage von Google in dem Verfahren über das Google Books Settlement. Ein New Yorker Richter, der das Verfahren so lange hinausgezögert hatte, daß man sich mitunter fragen konnte, ob er, zwischenzeitlich an ein höheres Gericht aufgestiegen, aber anscheinend nach amerikanischem Prozeßrecht immer noch für die Sache zuständig, überhaupt noch ein Urteil fällen werde. Er tat es und kam zu dem Ergebnis, Googles Selbstbedienungsmentalität nach Art des Wilden Westens sei auch nach amerikanischen Maßstäben rechtswidrig bzw. nicht „fair, adequate and reasonable“. Man dürfe sich nicht erst selbst aus den Werken anderer bedienen und dann abwarten, ob die Urheber dem widersprächen, man müsse folglich vorher um Erlaubnis fragen, ob man das alles tun dürfe. Es sei das Recht des Urhebers zu schweigen, er müsse kein „opt-out“ erklären, und schweige er, so habe das allein keinen Erklärungswert. Außerdem hat das Gericht die höchst disparaten Interessen der verschiedenen Gruppen von Autoren gewürdigt. Wissenschaftliche Autoren haben ganz andere Vorstellungen von der Verwertung ihrer Werke als belletristische Autoren oder als die Urheber von Kochbüchern und sonstigen Druckerzeugnissen, an denen eher ein kurzfristiges monetäres Interesse bestehen dürfte.
Eine spannende Entscheidung, gerade vor dem Hintergrund der wirklich aberwitzigen Szene, die ich vergangenen Herbst am Stand von Google auf der Frankfurter Buchmesse erlebt hatte. Eine Entscheidung, die sich der Macht des Geldes, der Unverfrohrenheit des Faktischen und auch der Arroganz des großen Geldes verweigert hat.
Um es ganz klar zu sagen: Ich lehne dieses Unternehmen ab, ich benutze seine Suchdienste nur, wenn es nicht zu vermeiden ist, und ich finde weiterhin genug freie und kommerzielle Alternativen zu Google, die das nicht als Verzicht, sondern eher als eine erhebliche Bereicherung und als eine Erweiterung des Horizonts erscheinen lassen. Es geht auch anders. Und es wäre sehr zu wünschen, daß die Gerichte nun auch gegenüber Google Streetview kritischer würden und die Mentalität dieses Konzerns, alles zu kommerzialisieren, dessen er habhaft werden kann, wirksamere Barrieren in den Weg stellen. Das setzte natürlich voraus, daß es noch Richter gäbe, nicht nur in New York.
Ich sehe die zunehmende Dominanz und Werteverschiebung durch Google ähnlich kritisch, würde aber gern eine Sache zu bedenken geben: Natürlich haben Autoren verschiedene Vorstellungen von der Verwertung ihrer Bücher, von ihrem Urheberrechtsverständnis, Copyright usw. Dennoch denke ich, dass gerade die Schriftsteller – unabhängig von Google – noch immer zu wenig über ihr Autoren(selbst)verständnis nachdenken und danach auch handeln, d.h. ihre Bücher veröffentlichen. Warum denn nicht freie Lizenzen (Creative Commons o.ä.), warum keine komplett online stehenden Texte (sozusagen als großer Appetitanreger für das gedruckte Werk), warum nicht – wie etwa in der Musik – Remixangebote, unfertige Texte, offene Werke etc.etc.etc. ? Das wäre eine Möglichkeit, aktiv zu werden, auch und gerade gegen die zunehmende Kapitalisierung des Buchmarktes (wie sie letztlich auch und gerade Google trotz seines kostenlos-Angebotes betreibt). Was wir brauchen, ist eine Kultur, die sich von den Kapitalinteressen der großen Companies, Firmenkonglomerate und Marktbestimmer absetzt. Was wir brauchen, sind Autoren, die zumindest mal versuchen, andere Wege zu gehen. Leute wie Cory Doctorow, Arthur Missa, Jonathan Rosenbaum u.a. haben es doch vorgemacht – Bücher, die kostenlos (nicht via Google!) lesbar sind, die aber zugleich auch gedruckt existieren.
Hier wäre anzusetzen, weiterzugehen (wie etwa Missa mit seinen offenen Texten) und Neues auszuprobieren. Damit es irgendwann mal heißt: „Es gibt noch Autoren in dieser Welt.“
Unter einer freien Lizenz zu veröffentlichen dürfte nur für solche Autoren ernsthaft in Betracht kommen, die ganz oben in der ersten literarischen Liga spielen.
Wie das für die Masse der Sachbuch- und Belletristik-Autoren funktionieren soll, die auf einigermaßen zuverlässig fließende, und seien es auch bescheidene, Einkünfte angewiesen sind, vermag ich nicht nachzuvollziehen.
Zudem müssen das Autoren sein, welche die neuen Spielregeln gut beherrschen und sich selbst vermarkten können. Unter den Zeitgenossen, die sich zur Schriftstellerei hingezogen fühlen, findet man oft eher introvertierte Charaktere.
Den Google-Books-Rechtsstreit zu bewerten maße ich mir nicht an; es scheint aber Einigkeit zu bestehen, dass der Gesetzgeber gefordert ist (schreibt im übrigen auch der Richter in seiner Entscheidung).
Aus der Sicht eines Konsumenten finde ich es wunderbar, (kostenlosen) Zugriff auf eine große Anzahl von copyright-freien Büchern zu bekommen.
Die mit viel Getöse angekündigten staatlichen bzw. öffentlichen Digitalisierungsprojekte müssen erst mal in die Puschen kommen.