„Die geplante Steuersenkung von 6 Milliarden Euro kommt vor allem den Beziehern hoher Einkommen zugute. Freibetrag und Eckwerte steigen. … Wenn dieses Modell so umgesetzt wird, spart ein Niedriglohnbezieher mit einem zu versteuernden Einkommen von 10.000 Euro 2013 im Monat knapp 1,60 Euro Steuern, so die Berechnung des Bundes der Steuerzahler. Bei einem mittleren Einkommen von 30.000 Euro liegt die Ersparnis bei 4,50 Euro im Monat, Spitzenverdiener ab 54.000 Euro sparen knapp 10 Euro im Monat. 2014 steigen die Werte an“, schreibt die taz über das, was der Spiegel, die FAZ und die Tagesschau „Entlastungen“ nannten. Gleichzeitig steigt der Beitrag zur Pflegeversicherung. „Der Deutsche Industrie- und Handelskammertag hingegen begrüßte die Einigung als ‚richtigen Schritt‘.“
11 Kommentare zu „Cui bono?“
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Es sind zwei Dinge, die mich an den Steuerplänen ärgern. 1) In Zeiten wie diesen mag ich keine Steuersenkungen erleben. Wenn man etwas tun will, dann kann man jederzeit umverteilen. Richtig wäre dabei, von oben nach unten zu verteilen. Natürlich ist ein solcher Schritt von der aktuellen Regierung kaum zu erwarten. Nicht einmal dazu haben sie die Größe. 2) Die vorgestellten Pläne werden unter dem Label als „Maßnahmen gegen die kalte Steuerprogression“ verkauft. Das macht mich richtig wütend, weil da wirklich nicht getrickst wird, sondern weil eine solche Behauptung schlicht eine Lüge ist. Sie belügen die Öffentlichkeit, wissentlich! Zur objektiven Überprüfung genügt mir der Blick auf das Gesamtvolumen dieser Maßnahmen. Mit 6 Milliarden Euro käme man in Sachen kalte Progression kaum von hier bis zwei Meter weiter.
Ich staune immer wieder neu, wenn ich den gesellschaftlicher Verfall wahrnehme, der solche Maßnahmen erst möglich macht. Und es regt sich kaum jemand nennenswert auf. Auch das ist für mich erstaunlich, immer wieder neu.
Und gerade das ist der Grund, weshalb auch von keiner anderen möglichen als der aktuellen Bundesregierung hier Besseres zu erwarten wäre. Sieht man daran, daß bei Rot und Grün immer noch die alte Hartz-IV-Truppe an der Spitze steht. Das ist auch konsequent, denn die Ärmeren gehen immer weniger zur Wahl. Man paßt sich also dem Markt an.
Das sehe ich genauso. Überhaupt ist es schwer, derzeit eine politische Vertretung zu finden, die sich halbwegs glaubhaft um die Belange „des kleinen Mannes“ kümmert. Auch das ist ein Punkt, über den ich mich immer wieder empören kann. Mal ganz ehrlich: als ich jung war, haben wir viel diskutiert über mancherlei gesellschaftliche Themen und wir haben als mögliche „Stolpersteine“ für ein weiteres friedliches Zusammenleben durchaus auch noch so manche Themenkomplexe entdecken können. Seither hat sich un-end-lich viel verändert. Wenn mir Anfang der 1980er Jahre jemand gesagt hätte, wo wir heute gesellschaftlich stehen und mit welcher Kaltschnäuzigkeit eine Minderheit die Probleme einer Mehrheit an Menschen einfach ignoriert und gleichzeitig akzeptiert, dann hätte ich dem Überbringer dieser Nachricht wohl nicht geglaubt. Dabei kann sich die politische Kaste hierzulande ihr Handeln leisten, weil eben nicht nur in Parteien so gedacht und gefühlt wird, sondern auch draußen, in den Firmen, bei den Nachbarn, in den Vereinen und eigentlich überall. Kälte im Umgang miteinander ist die Norm geworden und nicht mehr die Ausnahme.
Ja, aber es gibt schon einen Backlash. Die Ausgeschlossenen melden sich zu Wort: „Occupy“. Dabei wird immer deutlicher, wie sehr die veröffentlichte Meinung in den Massenmedien von der gesellschaftlichen Wirklichkeit abweicht. Da werden größtenteils Potemkinsche Dörfer an die Wand gemalt, bis zur Groteske. Die psychiatrischen und die psychosomatischen Kliniken sind voll, es fehlt an Psychotherapieplätzen. Der medizinische und psychotherapeutische Reparaturbetrieb kommt gar nicht mehr hinterher, so viele und so schwere Schäden verursacht diese Politik mittlerweile.
Das wird sich übrigens bei den nächsten Bundestagswahlen nicht ändern. Die SPD hat den „kleinen Mann“ aufgegeben, weil der nicht mehr zur Wahl geht, die „Linke“ lebt von einer anderen Klientel, vor allem im Osten, wo sie weiterhin eine Volkspartei ist, und die Piraten sprechen die Wähler aller Parteien ein bißchen an, sind aber im wesentlichen eine liberale, bürgerliche Partei, eine Art orangelackierte Grüne, dezidiert „new school“, sozusagen. Gewinnen wird aber „old school“, und dabei ist die parteimäßige Zusammensetzung wirklich egal.
Auf diese Aussichtslosigkeit muß man sich einstellen. Prognose: Die Kluft zwischen öffentlicher und veröffentlichter Meinung wird immer größer werden. Auch die Politik wird immer mehr vom Rest der Gesellschaft abrücken und den Kontakt zu allen Teilen der Gesellschaft noch weiter verlieren. Nach der „inneren Kündigung“ im wirtschaftlichen Bereich wird es zu einer Art „inneren Kündigung“ im gesellschaftlichen Bereich kommen, die aber mit „Politikverdrossenheit“ nichts mehr zu tun hat, das sehen wir derzeit, sondern die im Gegenteil zu einer Repolitisierung führt, die sich aber außerhalb der Parlamente abspielt. Vielleicht wird sie dazu führen, daß die Piraten in den Bundestag kommen. Aber ob sich daraus ein Impuls ergibt, der mit demjenigen vergleichbar ist, der mit dem Einzug der Grünen in den Bundestag vergleichbar war, bezweifle ich. Old school rulez.
Ich unterschreibe jedes einzelne Wort Deiner Analyse.
Was in mir bleibt ist die Frage, wohin uns das alles führt, denn in der Vergangeheit war es doch stets so, dass wirkliche, echte und nachhaltige Veränderungen selten gewaltlos stattgefunden haben. Gewalt ist das letzte, was ich mir wünsche, aber man darf sich schon fragen, ob die spürbare und weiter zunehmende Unzufriedenheit mit dem Status Quo eines Tages dazu führt, dass es doch ein gesellschaftliches Umdenken geben wird oder ob das aktuelle politische System den Willen nach mehr Teilhabe nicht folgt und sich dann die aufgestaute Unzufriedenheit eigene Wege sucht. Hmm ..
Die These wurde in der letzten Zeit schon mehrfach verarbeitet, z.B. von Inge Kloepfer (FAZ).
Puuuuh, da muss ich jetzt erstmal richtig durchatmen. Nein, dies meinte ich nicht, als ich von anderen Wegen sprach (und vor allem auch daran dachte, wer diese neuen Weg gehen würde). Und ich spreche auch nicht von der »Unterschicht«. Einen solchen Begriff lasse ich für mich nicht zu. Aber, langsam und in Ruhe ..
Die Tante von der FAZ. Solche Beiträg sind es, die es mir immer mehr verleidet haben, die Kulturzeit anzuschauen. Man schustert schnell schnell einen Beitrag zusammen. An diesen Beitrag hat man keine großen Ansprüche, denn er soll ja nur der Appetizer sein für ein Gespräch im Anschluß. Und da darf dann eine Tante von der FAZ Werbung für ihr Machwerk. Wir erinnern uns kurz: jetzt (bzw. 2009, als die Sendung wohl neu war) macht also die FAZ und ihre Tante damit Kohle, dass sie ein Buch schreibt über die Ergebnisse dessen, was sie seit jeher predigen (»mehr Markt«, »Privatisierung«, »Rückzug des Staates«, »stricktes Sparen«, etc.)? Noch dazu merkt man sowohl dem Moderator als auch der Tante von der FAZ an, wie fern sie den Menschen sind, über die sie da sprechen. Wenn man verstehen will, woher die Aufspaltung der Gesellschaft kommt, dann findet man hier 9 Minuten und 32 Sekunden Ursachen. Boah, ich rege mich auf und ich werde un-sag-bar wütend, wenn ich einen solchen Mist höre/sehe. Was ist eigentlich neu an dem, was die feine Frau da sagt? Ich kann ihr auf Verlangen Studien zeigen, die zehn Jahre alt sind, wo genau das auch schon alles drinsteht. Das hat die jeweiligen Bundesregierungen nicht davon abgehalten, trotz dieser Erkenntnisse, die teilweise aus Studien stammen, die vom wissentschaftlichen Dienst des Bundestages in Auftrag gegeben wurden, weiter das Bildungssystem kaputt zu sparen. Da kann man kein Ziel erkennen, kein Leitbild, kein gar nichts! Nur das Ergebnis, das Ergebnis dieses Nichts-Tuns, das ist klar und offen für jedermann sichtbar. Und obwohl das alles also sichtbar ist und nachlesbar, passiert nichts. Doch: Es werden Reden gehalten, Sonntagsreden, die mich immer wieder erschauern lassen, wenn ich mir den Unterschied zwischen Realität und diesen Reden vor Augen halte.
Mein Menschenbild und das Menschenbild aus diesem Beitrag. Ich kenne Leute, die sind nicht bildungsfern, sondern haben eine Lehre gemacht, sind Handwerker geworden oder haben ihren Industriemeister gemacht. In den 1980er Jahren konnte man mit einer solchen Ausbildung sein kleines Glück finden. Man konnte ein Häuschen bauen oder kaufen, konnte Kinder bekommen, diese Aufziehen und einfach leben. Heute ist das vollkommen unmöglich. Ich kenne Leute, die haben zwei Hochschulabschlüsse, beides besonders gute Abschlüsse, die zwar in ihren Fächern arbeiten, aber nicht von einem Job alleine leben können. Zukunftssicherheit? Null! Und ich spreche jetzt nicht von Philosophen oder anderen Studiengängen, die an dieser Stelle einer Diskussion mit dem Elfenbeinturm zusammengebracht werden, obwohl wir doch gerade in diesen Jahren erleben, dass wir nicht zuviel Nachdenken vorfinden im Handeln und Tun von Firmen, sondern eher zu wenig. Reflexion? Selbstreflexion? Fehlanzeige! Ich habe mit einem jungen Kerl aus Afrika studiert, der uns alle regelmässig durch seine fantastischen mathematischen Fähigkeiten begeistert hat. Der machte sogar unserem wirklich guten Mathe-Professor was vor (und dieser hatte die Größe, dies neidlos anzuerkennen), regelmässig. Er fand hierzulande keine Möglichkeit, einen adäquaten Job zu finden und verlies Deutschtland wieder, obwohl er hätte bleiben wollen, eigentlich. Ich könnte endlos weiterzählen. Wir leisten uns, all diese Leute zu vergraulen oder zumindest nicht für die Gesellschaft einzusetzen. Wieviele begabte Kinder erst gar nicht studieren, eben weil sie arm sind, dass mag ich mir gar nicht vorstellen. Auch dies ist keine neue Erkenntnis: Akademiker-Eltern bekommen Akademiker-Kinder, seien sie auch noch so doof. Arbeiter-Kinder oder Kinder mit einem Migrationshintergrund haben es neun Mal schwerer, um überhaupt erstmal die Hochchulfähigkeit zu erreichen. Und, ebenso gilt: gemessen an der Gesamtzahl der eineschulten Kinder studieren in Deutschland viel zu wenige davon. Und jetzt kommt so eine Trulla und will an diesen Verhältnissen auch noch ihren Reibach machen? Boahhh ..
Ich weiß, wir sprachen eigentlich über was anderes. Aber auch mein »Sich-Bahnbrechen-Argument« bezog sich nicht auf die deutsche Antwort auf die französischen »Banlieue«. Meine Gedanken wandern eher dahin, dass sich alle, die Grund hätten, formieren und wir allerdings evtl. unfriedliche Reaktionen bekommen, Demos, fliegende Steine, etc.. Dass findet dann statt, wenn die Leute den Eindruck bekommen, dass »denen da oben« nicht nur alles egal ist, sondern sie auch nichts mehr tun gegen solcherlei Fehlentwicklungen. Was ich meine, dass ist eher sowas wie eine Fortentwicklung von »Occupy«. Ich meine, was passiert, wenn die Leute sich immer weiter organisieren und es würden immer mehr Demonstranten und Demonstrationen, aber es resultieren aus all dieser gesellschaftlichen Empörung keine politischen Handlungen, weil die Politik sich weigert zu sehen, was da falsch läuft. Ich hoffe inständig, dass es soweit nicht kommen wird, weil wir als Gesellschaft doch vorher merken, dass wir umsteuern müssen. Aber, einfach davon ausgehen das »alles gut wird« kann man ja eben auch nicht. Dazu hast Du mit Recht schon Anmerkungen in Deinen Antworten gemacht.
«Disclaimer« Verzeih meine emotionale Reaktion. Mir kommt die Galle hoch, wenn ich »solche Leute« reden höre. Sie sind die geistigen Brandstifter und haben zu großen Teilen erst ermöglicht, was heute als normal gilt und voll akzeptiert ist. Beschlossen hat das alles eine ganz große Koalition aus beinahe allen Parteien. Grünen und Sozis nehme ich noch übler, was mit den Hartz-Gesetzen einen Anfang nahm und damals erstmalig eine staatliche Sanktionierung erlangte. Was die Dame im Beitrag schildert geht viel weiter als Gesetzte es jemals könnten. Sie hat schon Ghettos im Kopf und ist gleichzeitig unfähig einzusehen, dass ihre Leute es waren und sind, die als Brandstifter dafür sorgen, dass dieser gesellschaftliche Flächenbrand ein ebensolcher wurde und heute jeden Tag neu dafür sorgen, dass der Brand intakt bleibt.
Soviel ist richtig: Bildung lohnt sich schon lange nicht mehr. Aber die Bildungsverlierer und – ich nenne sie mal – die sonstigen Exkludierten bilden keine homogene Gruppe aller von der Teilhabe Ausgeschlossenen. Sie bilden Teilgruppen. Occupy ist eine Teilgruppe von gut gebildeten gesellschaftlichen Verlierern, die sich nun gut sichtbar bemerkbar machen (heute wieder), es ist aber bisher noch nicht zu einer wirklich großen Protestwelle gekommen, die alle erfaßt hätte, die Grund zum Protestieren haben. Was die Politik angeht, so glaube ich nicht, daß sie diese Impulse aufgreift. Gemeinsam mit den Massenmedien werden die Erfolge von Occupy kleingeschrieben und -geredet. Dabei ist das eine Riesenleistung, geht jetzt schon wochenlang, jedes Wochenende tausende Menschen in Frankfurt allein. Ich rechne nicht mit Gewalt. Das ist eine bürgerliche Angstphantasie, und Inge Kloepfer (habe ihr Buch hier vom Grabbeltisch für zwei Euro stehen) bedient die Ressentiments ihrer FAZ-Leser, sonst nichts. Was derzeit passiert: Die Leute richten sich mit der zunehmenden Armut ein, und es gibt keine politische Alternative, die dem ein Ende setzen könnte. Die einzige Partei, die weiterhin dezidiert gegen den Sozialabbau auftritt, die Linke, verliert an Zuspruch, und die einzige neue Bewegung, die hinzugekommen ist, sind die Piraten, denen das Soziale zumindest kein Kernanliegen ist.
Ja, natürlich ist die Gruppe inhomogen. Das genau zeichnet ja den derzeitigen Zustand der Gesellschaft aus: viele (aus vollkommen unterschiedlichen gesellschaftlichen Gruppen) verlieren und nur sehr wenige gewinnen. Ich sehe die Occupy-Bewegung als einen großen Mutmacher an. Es bleibt zu hoffen, dass diese Bewegung einen langen Atem hat. Übrigens: die ursrüngliche Occupy-Bewegung aus Amerika ist vielschichtiger als die Bewegung, die wir derzeit in Frankfurt und Berlin erleben. Da würde es nicht stimmen, dass sie sich ausschliesslich aus dem linken Spektrum heraus bildet. Ohnehin ist das Rechts-Links-Schema der USA mit unseren Augen betrachtet ja leicht anders. Ich meine: was in Amerika als fortschrittlich gilt, ist in vielen Details hier beinahe noch konservativ. Aber, das nur am Rande.
Gewaltbereitschaft. Mein Gedanke an einen sich verändernden Protest, der irgendwann auch gewaltbereiter wird, denkt offenbar in anderen zeitlichen Dimensionen. Ich gehe nicht davon aus, dass wir in wenigen Monaten oder Jahren eine solche Entwicklung sehen. Was ich allerdings meine ist, dass eine solche Entwicklung nicht ausgeschlossen werden kann, wenn sich über Jahre hinweg an der Ungerechtigkeit bei der Verteilung der Chancen nichts ins Positive verändert. Bis dahin liegen allerdings noch zahllose Chancen. Aber natürlich gilt auch: irgendwann muss eine solche Chance auch aufgenommen werden. Ohnehin sollten wir in vierlei Hinsicht umdenken. Mehr Demokratie von unten, viel mehr Transparenz in allem Tun und eine vollkommen neue Gewichtung dessen, was erstrebenswert ist und was nicht tut Not. Das alles zusammen ist aus meiner Sicht eine Kernvoraussetzung dafür, dass wir überhaupt noch eine Zukunft haben.
Die Piraten. Sie finden sich erst, sie sind aus meiner Sicht aber keine „Arbeiterbewegung“. Aber das heisst ja nicht, dass sie nicht trotzdem auch sowas wie ein soziales Gewissen in sich tragen. Schliesslich gehört es zu einem modernen gesellschaftlichen Konzept, auch Antwortansätze grundsätzlicher Natur zu entwickeln. Stichwort: Wo wollen wir hin (gesellschaftlich)? Natürlich ist es fraglich, ob manche Schichten die Piraten überhaupt jemals als eine Alternative wahrnehmen werden. Aktuell lebt man da ja tatsächlich in unterschiedlichen Kosmen. So jedenfallls mein aktueller Eindruck.
Nochmal zur Gewalt: Die Gewalt geht ja langfristig von „oben“ aus, gegen Arme, in vielfacher Weise: Durch Gesetzgebung, durch Gesetzesvollzug in Sozialbehörden oder durch Vorenthaltung von Arbeitsplätzen. Dem steht eine depressive Grundstimmung gegenüber, die nun punktuell in Wut umschwenkt (Occupy, Stuttgart21). Langfristig werden immer mehr zu Nichtwählern und distanzieren sich von allem Staatlichem. Der Staat hat sich entschlossen, auf die Solidarität zum Staat selbst verzichten zu können (das war seit Bismarck die Begründung für den Sozialstaat, damals als Flankierung der Sozialistengesetze). Dem Staat laufen die Bürger davon, mittlerweile bis in die Mittelschicht hinein. Sie laufen aber in eine neue Biedermeierlichkeit hinein, der Protest wendet sich bei den allermeisten nicht nach außen. Und in den Regierungen sind die Wendehälse am Werk, wie man sich das vor Merkel niemals hätte vorstellen können. Die Bürger melden zurück, daß sie mitbekommen haben, was da läuft, die politischen Mehrheiten ändern sich aber nicht. In den Umfragen läuft es langfristig bis zur nächsten Bundestagswahl wieder in Richtung CDU/FDP, ggf. CDU/Grüne. Außerdem entziehen sich immer mehr Bürger der Manipulation durch die Massenmedien und informieren sich fast ausschließlich übers Netz. Es ist schlicht nicht vorhersehbar, wann das in eine allgemeine Revolte umschlagen könnte.
Wie gerne würde ich widersprechen, aber die Wahrheit ist, dass ich die Dinge ähnlich bewerte wie Du. Es fällt mir schwer, »das alles« nahe an mich heran zu lassen und es ist mir gleichzeitig unmöglich, diese Dinge zu ignorieren. Das alles scheint so aussichtslos. Wie gerne würde ich mithelfen, die Dinge zu verändern. Kopfmensch der ich bin fällt es mir aber von Tag zu Tag schwerer, den Kampf aufzunehmen. Wann war eigentlich der letzte unbeschwerte Moment? Und wann wird der nächste gelingen? Wird überhaupt nochmal ein postiver unbeschwerter Moment gelingen?
Ich weiß, das hat etwas von »Weltschmerz«. Die Wahrheit ist, dass ich aus diesen Teufelskreisen seit einiger Zeit selten herausfinde. Und ich stecke selber noch nicht einmal in wirklichen, d.h. konkreten Problemen. Kein Amt droht mir, keine staatliche Stelle schreibt mir existentiell vor, wie ich zu leben habe. Und doch sieht der Blick in Richtung Zukunft trübe aus.