Seit dem Sommer 2009 ist viel passiert, vieles hat sich geändert, aber eins ist gleich geblieben: Die Piratenpartei ist aus sozialpolitischer Sicht weiterhin nicht wählbar.
Stephan Erdmann weist heute auf ein Interview hin, das der Bundesvorsitzende der Piratenpartei Sebastian Nerz der Passauer Neuen Presse gegeben hatte, es erschien am 2. Januar 2012. Darin äußert er sich unter anderem zur weiteren programmatischen Entwicklung und zu möglichen Koalitionspartnern der Piratenpartei auf Bundesebene:
„… In der Bürgerrechtspolitik gibt es große Nähe zu den Grünen und zur FDP. In der Sozialpolitik können wir uns mit vielem anfreunden, wofür die SPD steht. Im Großen und Ganzen können wir gut mit den kleinen Parteien, wenn man einmal von der Linkspartei absieht. … Wir sind weder rechts noch links. Politikwissenschaftler verorten uns irgendwo zwischen der FDP und der SPD. Ich halte nichts von diesem Schubladendenken und tue mich schwer mit einer Einordnung. Uns ist wichtig, dass wir bis zur Bundestagswahl zu allen politischen Themen Grundsatzfragen beantworten können. Wohin wollen wir mit Europa? Welche Richtung muss eine moderne Wirtschaftspolitik haben? Bis 2013 werden wir diese Fragen für uns grundsätzlich klären. Dennoch: Niemand sollte Detailkonzepte von uns erwarten. Das würde uns überfordern. … Meine Traumkonstellation wäre immer eine Koalition mit Grünen und FDP. Aber man muss auch realistisch sein: Dafür ist eine Regierungsmehrheit nun wirklich nicht in Sicht. Mit der Union haben wir sehr große Differenzen in Fragen der Inneren Sicherheit und der Sozialpolitik. Die SPD hat sich jetzt für eine Vorratsdatenspeicherung ausgesprochen. Das ist für uns ein absolutes No Go. Ein mögliches rot-grün-orangenes Bündnis könnte an dieser Frage scheitern. Wir werden keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, in dem eine Fortsetzung der Vorratsdatenspeicherung vorgesehen ist. …“
Kein Wort über die sozialpolitischen Vorstellungen dieser Parteien, dafür ein Bekenntnis zu den Grünen und zur FDP – zwei Parteien, die bekanntermaßen die besserverdienende Klientel bedienen. Außerdem zur SPD, die immer noch die Workfare-Politik von Gerhard Schröder gut findet – Kritiker sind dort längst gegangen. Im Prinzip ist das ein Bekenntnis zum „Weiter so“, nur ohne Vorratsdatenspeicherung.
Solche Sorgen möcht‘ ich haben! Zugespitzt gesagt: Solange der Nerd sein Netz hat, solange der Server rund läuft und die Kunden bezahlen und solange man sich auf Augenhöhe mit Grünen und FDP auf der einen Seite und mit der Hartz-IV-SPD auf der anderen Seite sieht – solange ist ihnen das Soziale herzlich gleichgültig – und solange wird die Piratenpartei unwählbar bleiben, weil sie es nicht verdient hätte, eine wichtigere Rolle in der Politik zu spielen. Denn solche Parteien gibt es schon, dazu braucht es keine Wiedergänger.
Umgekehrt werden die Piraten für die etablierten Medien durch solche Interviews attraktiv. Sebastian Nerz war ursprünglich acht Jahre lang CDU-Mitglied und erklärte die ehemalige NPD-Mitgliedschaft eines Piratenparteimitglieds kurzerhand zur „Jugendsünde“. Das Gerede ums bedingungslose Grundeinkommen schadet ihnen auch nicht, denn erstens meinen sie es damit sowieso nicht so ernst (es soll erst eine Volksabstimmung darüber durchgeführt werden, und was dann passiert, hat man gerade bei Stuttgart 21 gesehen – eine sozialpolitische Bankrotterklärung), und zweitens lenkt es vom Eigentlichen ab: Daß die Piratenpartei nämlich gar nicht so sehr viel anders ist als die derzeit „im Bundestag vertretenen Parteien“ – „wenn man einmal von der Linkspartei absieht“ –, sondern daß sie Fleisch vom Fleische der anderen sind und diesen nun auch ganz offen zustreben. Hin zum „antilinken Maintream“ (Stephan Erdmann).
Man kann die Partei sozialpolitisch wahrscheinlich gar nicht einordnen, trotz Nerz; ich glaube, dafür ist sie zu heterogen.
Sozialpolitische Fragen wird diese Partei noch nicht mal fundiert stellen können, solange sie sich nicht wirklich bewusst macht, dass Serverstruktur, WLan-Verfügbarkeit, Hardware, Partizipation usw. grundlegend mit Eigentumsverhältnissen und sozialen Infrastrukturen zusammenhängen. Vielleicht übersehe ich auch nur entsprechende Diskussionen, die über ein Abhaken auf der Positions-Todo-Liste hinausgehen.
Eben. Die Eigentumsverhältnisse grundlegend zu diskutieren, hieße, aus der Nicht-links-nicht-rechts-Haltung herauszutreten. Sie stehen sich selbst im Weg.
Die Linken sind doch echt Naiv, ob das Eigentum an den Produktionsmitteln nun von einem Kapitalisten oder von einem Staat verwaltet wird macht KEINEN unterschied. Beides führt zur ENTMÜNDIGUNG der arbeitenden Bevölkerung ! Sozialismus ist nichts weiter als Staatlich organisierter und geplanter Kapitalismus. Ob sich der Kapitalist den Mehrwehrt aneignet und damit einen Palast baut oder ob sich der Sozialistische Staat den Mehrwert aneignet um damit Panzer zu kaufen um das eigene Volk zu unterdrücken. Wo ist der Unterschied ?
Ob ich nun in einer Kapitalistischen oder in einer Sozialistischen Fabrik langweilige und Stumpfsinnige Arbeit leisten muss macht keinen Unterschied. Genauso wenig bei den Medien, ob ich im Kapitalismus durch kommerzielle Werbung im TV manipuliert werde oder ob ich im Sozialistischen Fernsehen mit Staats und Ideologiepropaganda vollgepumt werde, wo ist der Unterschied ? Ob nun Kapitalistische Konzerne wie Google oder Facebook meine Privatsphäre verletzen und Daten speichern oder die Stasi, was solls. Kommt aufs gleiche raus.
Sozialismus und Kapitalismus werden immer als Utopische Gegensätze aufgebaut, im Alltagsleben sind sie sich dann in der Realität doch sehr ähnlich. Die einzig echte Alternative dazu ist der bisher von allen Seiten verteufelte Anarchismus und der ist eben jenseits von Kapitalismus und Staatssozialismus.
Die Piratenpartei hat viele Probleme, vor allem ist es schwierig, einen Vorsitzenden zu haben und zugleich der Öffentlichkeit zu erklären, dass dessen politische Meinung die Partei nicht repräsentiert. Sebastian Nerz hat viel (auch unberechtigte) Kritik für dieses Interview bekommen. Der nächste Bundesparteitag findet ohne Heimvorteil in Neumünster statt und wahrscheinlich wird es dann einen neuen Vorsitzenden geben.
Der Beschluss zum BGE ist natürlich konfus und nicht praktikabel. Hatte wahrscheinlich in der Form Erfolg, weil er mehrere Lieblingsthemen der Piraten zusammenbracht. Grundeinkommen, Expertenglaube, direkte Demokratie. Aber ich finde es beachtlich, dass eine Zweidrittelmehrheit ein sozialpolitisches Programm will, das Grundeinkommen einbezieht. Zu Hartz IV gab es übrigens neun Beschlüsse in Offenbach:
http://piratenpad.de/ep/pad/view/ro.EKTgXyr97xze/latest
Den Piraten mangelt es natürlich an Expertise und Strukturen, aber sozialpolitisch bewegt sich da einiges (#Sozialpiraten).
@Goncourt. Es gibt so unendlich viele Texte, du übersiehst da bestimmt etwas 😉 Gerade der Infrastrukturbegriff ist ziemlich zentral und Ausgangspunkt für ein Programm. Es wird durchaus die Eigentumsfrage bei Infrastruktureinrichtungen gestellt.
PS: Schrecklich, der Kommentar liest sich wie Parteipropaganda.
Mal ein paar Gedanken:
Die Piraten versuchen Nähen und Koalitionen auszuloten. Was soll deine Prinzipopposition bringen? Als Partei mit funktionierender Basis werden die Piraten vielleicht gar keine Koalition anstreben, sondern permanent ihre Position neu bestimmen. Aber sobald die anderen Parteien eine Koalition bilden, sind sie außen vor.
Die Piraten bestehen im Gegensatz zu den Grünen eben nicht aus Besserverdienern, und sie haben Bürgerrechte im Fokus. Vorratsdatenspeicherung und Bedingungsloses Grundeinkommen zeigen es doch.
Verstaatlichungen sind gerade nicht gewünscht. Da dies der einzige Programmpunkt der Linken ist, besteht keine Schnittmenge. Die Piraten wollen die Allgemeinheit stärken, nicht die Regierung.
Sorry, aber dass die Infrastruktur des Internet teuer ist, wollen uns nur manche Konzerne erklären. Natürlich kann man alle Videos zentral bei Google speichern und alle Nachrichten zentral bei Facebook. Wenn man eine anfällige und teure Struktur haben will. Aber man kann sich auch für wenige Euro einen Mailserver und einen Blog zu Hause oder ins Rechenzentrum um die Ecke stellen. Dann entfallen nahezu alle Kosten, die uns die CDU gerade erklären will. Auf einem Server für 50 Euro im Monat bei Hetzner in Nürnberg lassen sich problemlos 10000 Facebook-Profile speichern und rasend schnell nutzen.