Eine Welt, in der anonymes Lesen kaum noch möglich ist

Evgeny Morozov schreibt in der FAZ über Roboterjournalismus. Ein Computerprogramm erstellt für Forbes die langweiligen Berichte über die Geschäftszahlen von Unternehmen. Die Firma, die das entwickelt, heißt „Narrative Science“ und hat derzeit dreißig Kunden, die solche Fließbandtexte abnehmen und an ihre Leser weiter verbreiten. Billige Massenware für ein Massenpublikum im Bereich Wirtschaft und Sport.

Aber Morozov spinnt den Faden noch etwas weiter. Er verbindet diese Entwicklung mit der googleschen „Filter-Bubble“ und stellt sich vor, wie die Profile, die überall über die Internetnutzer angelegt werden, den Nachrichten zugrundegelegt werden, die sie erhalten. Wer die New York Review of Books liest, für den erstellt der Computer eine andere Nachricht als für denjenigen, der die leichtgewichtige USA Today konsumiert. Und er schließt:

„Die eigentliche Gefahr liegt darin, dass wir nicht nach den sozialen und politischen Konsequenzen fragen, die in einer Welt zu gewärtigen sind, in der anonymes Lesen kaum noch möglich ist. Die Werbebranche will, gemeinsam mit Google, Facebook und Amazon, diese Welt möglichst rasch nach ihrem Geschmack einrichten; aber eigenständiges, kritisches und unkonventionelles Denken wird es in dieser Welt immer schwerer haben.“

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2 Kommentare zu „Eine Welt, in der anonymes Lesen kaum noch möglich ist“

  1. Um nochmal auf Narrative Science zurückzukommen:

    Diese Art automatisierter Erstellung von Artikeln ist – zumindest derzeit – auf sehr spezielle Textgattungen beschränkt. Es geht dabei im Prinzip nur um die Verbalisierung von Zahlenmaterial, um dieses dadurch für Menschen leichter aufnehmbar zu machen.

    Ich lese gerade den preisgekrönten Bestseller „The Boys of Summer“ des amerikanischen Sportjournalisten und Schriftstellers Roger Kahn ( http://en.wikipedia.org/wiki/Roger_Kahn ). In diesem zum Teil autobiographischen Buch beschreibt der Autor seine Lehrjahre als junger Sportreporter bei der New York Herald Tribune Ende der 40er, Anfang der 50er Jahre.

    Eine seiner Tätigkeiten bestand darin, spät abends aus dem Nachrichtenticker (der damals wirklich noch auf einem Papierstreifen ausgedruckt wurde) die einlaufenden Zwischenergebnisse eines noch laufenden Baseballspiels praktisch in Echtzeit in Worte zu gießen und einen Spielbericht zu schreiben. Er diktierte dabei einem Drucker, der vor seinem Schreibtisch wartete, den Artikel in den Setzkasten. Man wollte damit den Konkurrenten New York Times ausstechen und noch in der Nacht mit dem aktuellsten verfügbaren Zwischenstand in Druck gehen.

    Nichts anderes leistet jetzt die Software von Narrative Science. Dabei liefert das Programm bisweilen wohl sogar bessere Ergebnisse als ein Mensch.

    1. Letzteres wissen wir aber nicht. Und wir wissen auch nicht, ob es bei der Verbalisierung von Zahlenmaterial bleiben wird. Morozov beschreibt ja, welche Weitungen die Entwicklung nehmen kann.

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