Angenommen, das Leistungsschutzrecht für Presseverleger würde heute in Kraft treten, so, wie es aktuell vom FDP-Bundesjustizministerium vorbereitet worden ist. Die Folge wäre keinesfalls, wie man derzeit immer wieder liest, daß wir keine Links mehr auf die Websites von Zeitungsverlagen setzen dürften, in denen eine Nutzung liegen könnte, die möglicherweise über das – immer erlaubte – Zitieren einer anderen Quelle hinausginge. Es ist völlig klar, daß diese Rechtsfolgen vom Gesetzgeber nicht wirksam angeordnet werden könnten, weil sie völlig unverhältnismäßig wären und weil sie die Tragweite der Sozialbindung des Eigentums vollständig verkennen würden.
Ein solches Gesetz müßte verfassungskonform dahingehend ausgelegt werden, daß ein Verlinken in Blogs oder auf Twitter weiterhin möglich ist, auch mit einem kurzen Teaser versehen – und selbstverständlich auch in Wikipedia und bei den kommerziellen Weiterverwertern. Die Online-Nutzung von „Inhalten“ einschließlich Pressetexten hat eine so große Bedeutung für die politische Meinungsbildung und für das Bildungswesen erlangt, daß sie nicht einfach so par ordre de mufti in den Giftschrank weggeschlossen werden können. Wo leben wir denn?
Erst wenn die verfassungskonforme Auslegung nicht gelingen würde – wer mag dem vorgreifen? –, käme man freilich zu dem Ergebnis, daß das Gesetz klar verfassungswidrig wäre. Vieles spricht dafür, daß es die kommunikativen Grundrechte – die Informationsfreiheit, die Meinungsäußerungsfreiheit, gegebenenfalls auch die Wissenschaftsfreiheit – in ihrem Wesensgehalt antastet – wenn man sich die Bedeutung von Blogs und sozialen Netzwerken vor Augen führt, auf denen sich Bürger ununterbrochen über gesellschaftliche Ereignisse gegenseitig informieren, indem sie andere Quellen verlinken, zitieren und diskutieren, spricht vieles dafür. Eine klare Abgrenzung zwischen der rein privaten und der „gewerblichen“ Nutzung ist bei Angeboten im Netz kaum möglich. Die Demokratie und die offene Gesellschaft sind aber ohne den freien Fluß an Informationen und ohne die Möglichkeit, frei zu diskutieren und sich auszutauschen, auch online sich auszutauschen, auch mittels Verlinkung, Zitat und neuen Mitteln wie Linklisten oder Tweets, nicht denkbar. Wenn die Verlage das einschränken wollen, mögen sie es technisch tun. Soweit sie das nicht heute schon machen, müssen sie mit den Folgen ihrer Angebote leben. Es trifft sie hart: Die Welt da draußen erführe, was in ihren Zeitungen steht – wer hätte das gewollt?
Ich könnte mir allerdings gut vorstellen, daß die Verlage, die letztlich selbst darüber entscheiden, wer welche ihrer Inhalte nutzen darf, hier weit über das Ziel hinausgeschossen sind und nun tatsächlich an dem Ast sägen, auf dem sie sitzen. Ich könnte mir eine Gesellschaft vorstellen, die sich um diese und ähnliche Versuche, ihre kommunikativen Grundrechte einzuschränken, einen feuchten Kehricht schert und sich davon überhaupt nicht beeindrucken ließe. Eine Gesellschaft, in der kommerzielle Angebote immer mehr von freien Plattformen ersetzt werden, auf denen die eigentliche politische Willensbildung stattfindet, digital, frei, unbeschränkt und jederzeit. Und immer weniger unter der Kontrolle des Kapitals oder der Politik. Eine Zivilgesellschaft, die sich ihre eigenen Informationskanäle schaffen wird, wodurch die Verlage am Ende ganz außen vor bleiben werden. Eine Gesellschaft, die es lernt, zu paraphrasieren, statt zu zitieren. Die sich abwendet von solchem „Journalismus“ und, damit einhergehend, ein weiter zunehmender Boom von Blogs, Wikis und sozialen Netzwerken, von wo aus die Welt, die die kommerziellen Lohnschreiber zeichnen, schon lange sich wie Potemkinsche Dörfer ausnehmen, skurril bestenfalls, manchmal ungewollt komisch, ein eitles Kunstprodukt, von dem man sich fragt, wo sie eigentlich leben, die so schreiben, denken und ihren Einfluß versuchen, politisch durchzusetzen. Das Urheberrecht muß auch die Funktion erfüllen, Kommunikation, politische Meinungsbildung und Bildung zu ermöglichen. Sonst wäre es kein Recht für eine demokratische und soziale Gesellschaft.