Das ist die Ausstellung, in der es laut zugeht, in der es flimmert, zappt und dröhnt, alle zwei, drei Meter eine Station in Brusthöhe an der Wand montiert mit drei Mini-Monitoren, auf denen Interviewausschnitte gezeigt werden, der Ton kommt über Kopfhörer, und man muß schon sehr genau hinhören, was sie dort sagen, denn jeder Raum der zünftig gezimmerten Halle ist erfüllt vom lauten Sound und von dem Flimmern der Videos, die dort vorgeführt werden. Das ist zwar eindrücklich, aber es nervt auch, und der Ton dürfte gerne ein Drittel leiser sein, es sei denn, die Besucher ständen unter dem Generalverdacht der Schwerhörigkeit.
Die Ausstellung, die aus dem Dresdener Hygiene-Museum nach Frankfurt gekommen ist, handelt nicht nur von der Arbeit und vom Arbeiten, man muß sie sich auch selbst erarbeiten. Es ist viel zu lesen und zu erschließen: Statistiken über Beschäftigungsquoten und Einkünfte, ausführliche Gespräche mit Betroffenen. Es beginnt mit der Frage nach der Uhrzeit, zu der sie an einem Arbeitstag aufstehen – sehr verschieden – und mit einem Blick zurück in die bundesdeutsche Wirtschaftsgeschichte. Vollbeschäftigung war einmal, 1962 nämlich, danach nie wieder. Aber was ist eigentlich „Beschäftigung“? Nur das, was die Statistik als solche ausweist – an der ja auch immer wieder gedreht wurde und wird? Arbeit und Freizeit, Arbeit und Ehrenamt, bezahlte und unbezahlte Arbeit, Arbeit als Mittel gegen die Langeweile, als Einkommensquelle und als Belastung, Arbeit zur Selbstverwirklichung oder als Ursache von Krankheit.
Und immer öfter ist zumindest die bezahlte Arbeit im Leben der Menschen abwesend, immer weniger blicken auf eine sogenannte Erwerbsbiographie zurück und leben statt von selbst erwirtschaftetem Einkommen von Transferleistungen. Die Unfreiheit in der Gesellschaft verschärft sich dadurch, aber dem Betroffenen ist – zunehmend vereinzelt und zunehmend älter – auch die Aufgabe gestellt, seinem Leben ohne die Erwerbsarbeit einen Sinn zu geben, sich zu integrieren und das Gefühl zu erlangen, trotzdem ebenso wie die voll Arbeitenden gesellschaftlich dazuzugehören. Die Frage, wie es gelingen könnte, dies weiter zu entwickeln, ist offen. Leider bleibt auch die Arbeitslosigkeit selbst eher am Rande plaziert, indem man sich eher auf die Arbeit als auf deren Ausbleiben konzentriert. Aber das ist eben auch eine Frage des Blickwinkels, denn nur die Erwerbsarbeit wird immer weniger, darüberhinaus ist immer noch genug zu tun. Und so verweist diese ziemlich ökonomie- und sozialforschungslastige Schau denn doch auch auf die Entökonomisierung der Gesellschaft als langfristigem Trend, ohne das freilich ausdrücklich zu schlußfolgern. Die ausgiebigen Interviews wirken wie ein Abgesang auf das protestantische Arbeitsethos, dem sein Betätigungsfeld immer mehr abhanden kommt.
Die Ausstellung lotet die Grenze zwischen Arbeit und biologisch vorgegebener Betätigung aus, indem sie Schimpansen zeigt, die Nüsse solange berarbeiten, bis sie sie essen können, und Vogelnester, die mit einer gewissen Naturnotwendigkeit, je nach der Art, immer nach einem bestimmten Bauplan gefertigt werden. Anders der Mensch, der, formbar, von Kindheit an auf das Arbeiten in seinem jeweiligen Kulturkreis hin trainiert wird, wie pädagogische Lehrfilme zeigen, sowie Spielzeug, das Berufstätigkeit mimt.
Die vielen Statistiken und die volkswirtschaftlichen Grundlagen werden gemildert durch die lustigen kleinen Szenen, die von Puppen gespielt werden, die ökonomische Grundbegriffe erklären oder die sich, im letzten Raum, zu sozialpolitischen Lösungsansätzen wie dem bedingungslosen Grundeinkommen äußern. Verfremdet, wirken sie wahrer als die Politiker aus den Fernsehtalkshows, die ihnen gegenübergestellt werden und die die bekannten Sprechblasen voller populistischer Vorurteile und abwegiger und destruktiver Demagogie abgeben. Nach dem Besuch dieser Ausstellung wirken die Fernseher in dem Kreisrund wahrscheinlich nicht zufällig wie eine Insel der Ahnungslosen in einem Meer von Aufklärung.
„Was tun? Über den Sinn menschlicher Arbeit“, Senckenberg-Museum, Frankfurt am Main, noch bis 16. September 2012.
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