Wikinews – Bürgerjournalismus im Wiki?

In der Diskussion um die Schließung von Wikinews auf Meta-Wiki hat sich gestern User:Tempodivalse zu Wort gemeldet, der den mittlerweile geschlossenen Wikinews-Fork OpenGlobe betrieben hatte. Tempodivalse hat eine hintergründige Analyse zum Bürgerjournalismus im Allgemeinen und zu den Bedingungen, unter denen Wikinews geschrieben wird, gegeben. Auszüge:

„The fundamental question is, to what extent is the journalism model realistically workable through the wiki medium. … Wikinews is the odd man out. Journalism demands a perpetual flow of content. With paid journalists, there is no difficulty in satisfying this demand because that is their job. But what happens when you replace paid workers with volunteers who write in their free time? The content flow becomes inconsistent since there is no schedule that must be adhered to. You can’t fire volunteers for not contributing enough.| Picture a bowl with many small holes. If you pour water into the bowl at a fast enough rate, water will accumulate despite the leakage. But the moment the water flow stops, the bowl empties. The water, in this analogy, is content and usefulness; the bowl is the wiki. Wikinews has to struggle against this sieve every day. As a result, it has no chance of slowly evolving into a large, broad project like the other wikis, whose bowls are watertight. Instead, it can only hope to break even in the short-term. … I do not believe Wikinews is a failure. But it’s not a success, either, and I believe it is inherently unable to succeed. … If you look at existing citjournalism websites (e.g. IndyMedia), you’ll notice that most, if not all, consist primarily of biased reports and/or tabloid-quality content. The contributors‘ main motivation is the ability to air their views in a prominent forum. Contrariwise, there is little to no incentive for people to write neutrally and professionally for free.“

Ein angestellter Redakteur würde sicherlich für einen kontinuierlichen Strom an Nachrichten sorgen, es wäre aber fraglich, ob die Communities das wollten, fügt er noch hinzu.

Wikinews funktioniert wie Wikipedia: Ehrenamtliche Autoren schreiben und redigieren in ihrer Freizeit Texte, in diesem Fall nicht, wie in Wikipedia, über enzyklopädische Themen, sondern über Nachrichten im weitesten Sinne. Dabei sind sie, wie in Wikipedia, dem Prinzip des neutralen Standpunkts verpflichtet, und sie müssen die Quellen angeben, auf die sie sich stützen. Die deutschsprachige Wikinews hat derzeit vier Autoren, die mehr 100 Bearbeitungen und 16, die mehr als fünf Bearbeitungen im Monat vornehmen. Sie veröffentlichen langfristig durchschnittlich zwei Artikel am Tag. Zum Vergleich: Die deutschsprachige Wikipedia hat etwa 1000 Autoren mit mehr als 100 und etwa 7000 Autoren mit mehr als fünf Bearbeitungen im Monat bei einem Output von gut 400 Artikeln pro Tag. Wikinews hat einen Alexa-Traffic-Rank von 34595, während Wikipedia weltweit auf Rang 6 liegt.

Die Frage, ob man Wikinews schließen sollte, ist nicht mit Ja oder Nein zu beantworten. Maßgeblich ist, ob die Wikinews-Community Reformen zugänglich wäre oder nicht. Die Gründe für die Probleme, an denen das Projekt leidet, sind vielfältig – um einige zu nennen: Alle kennen Wikipedia, kaum jemand kennt ihre Schwesterprojekte, von denen Wikinews eines ist. Fast alle verfügbaren Autoren wollen in Wikipedia Artikel über aktuelle Ereignisse schreiben, aber kaum jemand möchte das in Wikinews tun. Wikinews kann nicht wachsen wie Wikipedia, denn Nachrichten sind abgeschlossene Ereignisse, für jede muß ein eigener Artikel angelegt werden, während Wikipedia-Artikel weiter bearbeitet und ausgebaut werden können. Ältere Artikel aber werden kaum genutzt. So gerät die ehrenamtliche Arbeit, die in das Projekt einfließt, schnell aus dem Blick.

Nicht zuletzt ist Wikinews auch ein Opfer der Blogosphäre. Plattformen wie Wikinews, indymedia, Net News Global oder GlobalVoices sind Nischenkanäle, von denen sich aber nur Wikinews ausschließlich an den Nachrichten-Mainstream anhängt. Es gibt kaum eigene Berichte („originäre Berichterstattung“) von Wikireportern, fast alles wird den großen Nachrichtenwebsites entnommen und unter Angabe der Quellen nacherzählt.

Vor allem aber sind Nachrichten kein knappes Gut. Zeitungen verkaufen sich auch deshalb immer schlechter, weil sie kaum exklusive Inhalte bieten. Die Informationsflut ist auch ein Grund, warum es immer weniger Bürger einsehen, noch Rundfunkgebühren für Tagesschau und heute zu zahlen, wenn ihnen die manipulativen Ergüsse der Nachrichten- und PR-Agenturen mit ihren Kampagnen und ihren Agenden ansonsten kostenlos hinterhergeworfen werden. Die wirklich wichtigen und interessanten Nachrichten erreichen uns heute über soziale Netzwerke und Blogs am schnellsten und am zuverlässigsten. Inhaltliche Korrekturen von Meldungen werden durch die leichte Verfügbarkeit unterschiedlicher Stimmen bewirkt, die nebeneinander in meinem Feedreader auftauchen. Die Angabe der ursprünglichen Quelle für eine Meldung dient daher in den meisten Fällen lediglich zur Prüfung der Inhalte bei Bedarf, wenn es wirklich einmal darauf ankommt.

Wirklich knapp sind dagegen Analysen. Der Erfolg von Wikipedia im aktuellen Bereich geht auch darauf zurück, daß Leser Zusammenhänge erklärt bekommen möchten. Der Second screen boomt, man googelt neben den Nachrichtensendungen direkt nach ergänzenden Informationen, und die bietet ein Projekt wie Wikinews gerade nicht, das von vornherein über den Inhalt der Quellen, auf das sich die dortigen Artikel stützen, nach den selbst gegebenen Regeln nicht hinausgehen darf.

Außerdem liest man heute Autoren. Das Wikiprinzip sorgt aber für anonyme Texte, deren Urheber nur über die Versionsgeschichte abrufbar sind. Daß eine laufende Berichterstattung zu allen denkbaren Themen am Zufallsprinzip bei der Erstellung und an der geringen Mitarbeiterbasis scheitert, ist nur ein Aspekt, der einer Verbesserung bedürfte.

Der deutschsprachigen Wikinews fehlt es vor allem an einem guten redaktionellen Konzept, und den Artikeln fehlt es an Hintergrund, am Erklären von Zusammenhängen und an kritischen Standpunkten. Das wäre auch mit wenigen, aber guten Autoren zu leisten und böte „einen Mehrwert“ für die Leser. Eine Nachrichten-Website, die das heute angesichts der meinungsstarken Blogs nicht mehr aufbietet, hätte aber tatsächlich keine Daseinsberechtigung mehr.

Wikinews wurde 2005 gegründet, und der Bürgerjournalismus wird mittlerweile durch die Blogger, durch die Blogosphäre erledigt. Er braucht keine großen Portale mehr. Jeder kann innerhalb von Minuten ein eigenes Blog eröffnen und seine Meinung beitragen. Unter diesen Umständen muß sich auch ein großer Dampfer wie Wikimedia schon einiges einfallen lassen, um Autoren zur Mitarbeit auf einer kleinen Galeere wie Wikinews zu bewegen, die zudem im großen Ozean des Internets mangels Beachtung durch die Blog- und Nachrichtensuchmaschinen kaum sichtbar ist.

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Vom „echten Bloggen“ IV

Die depressiv gestimmten Ausführungen von Sascha Lobo zum Scheitern der Netzgemeinde angesichts der Einführung des Leistungsschutzrechts für Presseverleger führen mich erneut zu meiner These vom „echten Bloggen“ zurück. Ich greife seine Aussagen zur Rolle der Blogs in Deutschland heraus. Lobo schreibt, daß

„das wichtigste eigene Instrument der Netzgemeinde, das Blog, sich kaum weiterentwickelt hat, auf keiner Ebene. Weder wirtschaftlich, noch technisch, noch inhaltlich, noch von der Reichweite oder der medialen Wirkung her. Niemand hatte den Mut, groß zu spielen, alles ist Hobby geblieben. Wir bloggen halt so vor uns hin und hoffen heimlich, dass Schirrmacher anruft oder wenigstens die taz, um des Gefühls willen, auch außerhalb der Bloglandschaft eine Wirkung erzielt zu haben. Man bloggt und bloggt und keiner dankt’s einem.“

Ist das so?

Der Blogosphäre fehlt es nicht an Leitfiguren, die sich anschicken, „groß zu denken“. Lobo ist eine davon. Think big. Manche haben sie A-Blogger genannt. Und manche von ihnen träumen davon, mit dem Bloggen Geld verdienen zu können. So richtig viel Geld. Dann muß man tatsächlich auf den Anruf von Schirrmacher warten oder auf den Anruf von einem, der noch viel, viel größer ist als der. Wenn man das tut – das haben einige von ihnen mittlerweile auch schon am eigenen Leib erfahren –, muß man allerdings auch in dem Schirrmacherschen Biotop funktionieren. Unsere Konzernpresse ist, wie sie ist, weil das eben so ist. Es wird nicht geschrieben, wenn etwas passiert ist oder wenn der Autor Zeit und Lust hat, etwas zu schreiben, sondern weil ständig etwas publiziert werden muß, um wiederum ein attraktives Umfeld für die Werbung zu bieten. Erstaunlich, daß jeden Tag genau soviel passiert, wie in eine Zeitung paßt, sagte schon Karl Valentin dazu. Und online gilt das eben rund um die Uhr. Haben Schirrmachers oder Augsteins Blogger deshalb Gewicht in der Blogosphäre gewonnen? Eher nein. Eher ist das Gegenteil der Fall.

Was Lobo übersieht: Kommerzielle Blogs sind keine Blogs. Deshalb können sie auch keinen Einfluß haben. Im Gegenteil: Gerade mit der Kommerzialisierung benimmt sich ein Blogger seines Einflusses. Er macht sich gemein mit den „Professionellen“, die nach dem Brot gehen und ihren Werbekunden verpflichtet sind. So entstehen rasch Interessenkonflikte und Abhängigkeiten. Er verliert seine Glaubwürdigkeit. Das Blog degeneriert zur „Plattform“, zur Werbeplattform nämlich. Es wird zum „Format“, das befüllt werden muß, um ständig neue Leser zu ziehen – siehe oben. Die Kommerzialisierung ist keine Lösung, sie bringt nur Probleme mit sich.

Und: Das „echte Bloggen“, das freie Schreiben ist kein bloßes Hobby. Aus der Sicht des einzelnen liegt ihm ein echtes Publikationsbedürfnis zugrunde, aus politischer Sicht spielen Blogs eine wichtige Rolle für die Meinungsbildung und für die Verständigung der Gesellschaft über sich selbst. Diese Leistung wird immer nur von wenigen Intellektuellen erbracht und wirkt dann in die restliche Gesellschaft hinein. Blogger nehmen hieran teil. Das ist aber kein schlichtes Hobby mehr, sondern im besten Fall authentisches politisches Handeln.

Außerdem: Mit dem Bloggen ist keine konkrete „Wirkung“ verbunden. Man erhält keinen „Gegenwert“ für einzelne Blogposts, und die Leser von heute ziehen morgen schon woanders hin. So funktioniert das Netz mit seinen Knoten eben. Was „wirkt“, ist der Diskurs in der Blogosphäre insgesamt, von der man ein Teil ist.

Es ist richtig: Blogs haben sich in den letzten vier Jahren nicht sonderlich entwickelt. Aber das haben Wikis auch nicht. Das Potential für Blogger wie für andere regelmäßige Schreiber im Web ist ausgeschöpft, es liegt laut ARD-ZDF-Onlinestudie bei etwa zwei Prozent aller Online-Nutzer in Deutschland. Mehr geht nicht, und mehr muß ja auch gar nicht gehen. Die „echten Blogger“ waren immer unter sich, und sie werden es auch zukünftig sein. Schreiben ist ein Lebensmittel.

Daß angesichts dessen jemand in Depression verfallen oder ein Versagen konstatieren kann: Erstaunlich. Ich würde all dies auf jeden Fall wertschätzen und erhalten wollen. Ich sehe angesichts dessen keinen Anlaß zum Pessimismus, und erst recht keinen Bezug zur politischen Durchsetzung des Leistungsschutzrechts für Presseverleger.

In einer anderen Liga

Ich glaube nicht, daß die FAZ sich mit der Abmahnung von Klaus Graf sozusagen fahrlässig (Vollzitat bei Erbloggtes) „Sympathien bei Bloggern und in den Social Media aktiven Menschen verscherzt“ hat. Sie macht genau das, was sie sonst auch das ganze Jahr über tut: Sie setzt ihre rechte Agenda, zumal gut 200 Tage vor der Bundestagswahl. Und sie kümmert sich um ihr Geschäft, indem sie ihrer Klientel suggerieren möchte, daß Blogs etwas Schlechtes seien. Daß Blogger vor gar nichts zurückschreckten. Daß sie unseriös seien und was weiß ich, was sonst noch alles.

Die Abmahnung gegen Klaus Graf zielt auf alle kritischen Blogger. Sie ist Teil einer Kampagne, die schon seit langem läuft. Blogs verlören Leser. Blogs seien in eine Krise geraten, hieß es da zur letzten Jahreswende. Blogs seien wieder weniger interessant für die Leser geworden als die Zeitungen. Woher wissen die das eigentlich, die Zeitungen? Über aktuelle Ereignisse informiere ich mich seit langem zu gut 90 Prozent aus Blogs. Und im übrigen lese ich ausländische Zeitungen wie den Guardian oder die Nachrichten des australischen Rundfunks, die bei dem, was sie schreiben, den nötigen Abstand zu den hiesigen Kampagnen haben. Kampagnen wie diese, zum Beispiel.

Es ist auch kein Zufall, daß hier ein Blogger angegangen wird, der sich vehement für wissenschaftliche Redlichkeit und gegen das Leistungsschutzrecht für Presseverleger verwendet hat, das gerade von rot-grün im Bundesrat durchgewunken worden ist. Der große Auftritt der Opposition blieb aus. War ja klar: Man möchte es sich ja schließlich nicht mit der Journaillie verderben, gut 200 Tage vor der Bundestagswahl.

Diese Kampagne ist aber auch eine der letzten ihrer Art. Hier erleben wir noch einmal den großen Aufstand der großen Rechtsabteilung eines ganz großen Pressekonzerns, der es nötig hat, gegen einen Wissenschaftsblogger aufzutreten, der in einer ganz anderen Liga spielt, in einer ernstzunehmenden nämlich. Und darauf darf die Blogosphäre doch auch stolz sein. Blogger, die Roß und Reiter nennen, verteidigen die Meinungs- und Pressefreiheit gegen die politisch vermachtete Konzernpresse. Soweit ist es gekommen.

Das sind letzte Gefechte und peinliche Stellvertreterkriege. Klaus hat unsere Geduld anderweitig durchaus in Anspruch genommen, aber hier bin ich mit ihm solidarisch, denn was er damals geschrieben hatte, war harmlos und durchweg der kritischen Aufklärung verpflichtet, verglichen mit dem, was die FAZ tagtäglich unter dem Deckmantel der bürgerlichen Ideologie so in die Welt setzt.

Und in gut 200 Tagen ist Bundestagswahl.

Der kurze Brief vom langen Abschied von Wikiversity

Wikiversity wird derzeit von etwa einer Handvoll Professoren für den Hochschulunterricht aktiv genutzt, außerdem von wenigen Schullehrern. Als E-Learning-Plattform ist Wikiversity veraltet, weil Multimedia-Inhalte außerhalb von Commons und Applets nicht eingebunden werden können. Die Wikimedia Foundation stellt die hierzu erforderlichen Plugins und Extensions aus einer Reihe von Gründen nicht bereit. Hinzu kommt die allgemeine Entwicklung im E-Learning. Universitäten und engagierte Schulen betreiben heute ihre eigenen Plattformen. Wikiversity bietet heute fast ausschließlich Nischenfächern eine Plattform, und es ist nicht absehbar, daß ihre Bedeutung je noch einmal hierüber hinaus gehen könnte.

Der in der neueren Diskussion in der Wikiversity-Cafeteria angedachte Rückbau der alten Strukturen, die im Jahr 2008 aufgebaut worden waren, wäre sehr aufwendig, während ein Nutzen genaugenommen aber nicht ersichtlich ist. Die heutigen Benutzer stört es nicht, daß der Rest des Wikis weitgehend tot und unnütz hier herumsteht, und neue Benutzer würden durch einen solchen Umbau nach Lage der Dinge ganz sicherlich nicht angezogen. Der Umbau wäre aber für die Administratoren mit sehr viel Arbeit verbunden. Das wäre nicht vertretbar.

Ich sehe deshalb meine Aufgabe als Pedell auf Wikiversity darin, die aktuelle Arbeit zu begleiten und das Wiki soweit wie nötig weiter zu pflegen. Ein Entwicklungspotential sehe ich nicht. Das Projekt:Wikiversity wiederbeleben wird deshalb von mir mangels Erfolgsaussicht nicht mehr weiter verfolgt. Der letzte macht das Licht aus. Ich hielte es für erwägenswert, die deutschsprachige Wikiversity auf dem derzeitigen Stand einzufrieren.

Zuerst in der Diskussion auf Wikiversity, 24. März 2013.

Zur Abschaltung des Google Reader

Nachdem Google gestern abend angekündigt hatte, seinen Google Reader – einige sagen: mangels Rendite, andere sagen: wegen Google+ – einzustellen, war das Jammern in der Netzgemeinde erst einmal groß. Als late adopter unterschätzt man leicht sowohl die Verbreitung solcher Dienste in gewissen Kreisen als auch die geringe Leidensfähigkeit der Benutzer bei Änderungen. Ehrlich gesagt, verstehe ich die Aufregung nicht. Natürlich gibt es Alternativen zu Google Reader. Und RSS ist weiterhin das Transportmittel Nummer eins für den Fluß von Daten zwischen den Knoten im Web. Aber in der heutigen Debatte kommt wohl vor allem etwas über den derzeitigen Standort der Webgemeinde zum Ausdruck. Drei Punkte scheinen mir bedeutsam zu sein:

Zum einen ist es zu einer erheblichen Erschütterung des Glaubens an die Datenkrake Google gekommen. Der Glaube an die ewige Verfügbarkeit des weißen Online-Riesen, der nicht Böses tue, zumindest ist er stark angeschlagen, und das ist gut so. Android hat sich damit größtenteils erledigt. Die nächsten großen mobilen Plattformen kommen wohl von Microsoft und Firefox. Apples Marktanteil im mobilen Segment dürfte allerdings bis auf weiteres ausgeschöpft sein. Da entsteht ein kompletter Markt vollkommen neu, und zwar, wie es scheint, über RSS hinaus. Es ist Zeit für frischen Wind. Der Muff von tausend Google-Jahren hat lange genug das Netz erfüllt. Am Ende hat Google selbst die Fenster geöffnet und endlich frische Luft hereingelassen.

Ein erheblicher Teil der Diskussion hat diesen Übergang, der nicht erst in weiter Ferne, sondern schon in drei Monaten bevorsteht, als einen Wechsel von der Technik RSS hin zu sozialen Plattformen beschrieben, am tiefgründigsten ganz sicherlich Günter Hack beim ORF und etwas knapper und glatter auch Nicholas Carr. Während Hack mit spitzer Feder nach Alternativen zu den proprietären Big-Data-Diensten sucht und Szenarien beschreibt, die auf eine selbstbestimmte und freie Nutzung der Inhalte hinauslaufen, ist es für den Kulturpessimisten Carr eine ausgemachte Sache, daß RSS an den Rand gedrängt werde von den großen „Plattformen“. Es werde wohl überdauern, aber „die Plattform“ stehe nun im Mittelpunkt. Das ist aber falsch. Soziale Netzwerke waren niemals ein Ersatz für RSS. Indem sie Filterblasen und Empfehlungswolken erzeugen, eignen sie sich nicht als Reader. Nur der Reader zeigt mir direkt, was tatsächlich auf diversen Diensten, die ich verfolge, verbreitet wird. Er ist vollständig durchsuchbar und damit für mich auch wesentlich interessanter als etwa eine Nachrichtensuchmaschine wie Google News, die nur eine Auswahl nach undurchschaubaren Kriterien bietet. Immerhin rückt so noch einmal in den Mittelpunkt, daß es überhaupt an freien Plattformen fehlt, nicht nur für RSS-Dienste, sondern auch bei den sozialen Netzwerken. Warum eigentlich?

Schließlich liegt dem ganzen Jammern um die Abschaltung von Google Reader ein Mißverständnis über ein Phänomen zugrunde, das seit ein paar Jahren in den Schlagzeilen ist: Die „Cloud“. Wir sind die erste Generation, die mit Wikipedia ihre Enzyklopädie seit gut zehn Jahren schon in die Cloud verlegt hat. Und auch „Nachrichten“ findet man natürlich erst einmal dort. Man ist sich aber wohl des grundlegenden Unterschieds zwischen Cloud- und lokalen Lösungen nicht mehr hinreichend bewußt. Die Cloud ist unsicher. Nur mein lokales System steht mir tatsächlich zur Verfügung und wird von mir gestaltet und befüllt. Alles weitere da draußen kann jederzeit verschwinden, seien es Inhalte oder Dienste, auch so große wie Google selbst – das ist nicht nur ein Traum von Datenschützern, sondern Wirklichkeit. Die Bibliotheken, die seit ein paar Jahren nur noch E-Books und Zeitschriften online abonnieren, werden das wahrscheinlich bald schon bemerken. Die E-Mail-Adresse fürs ganze Leben von der E-Post gab es nicht lange, und wie lang sich De-Mail halten wird, die bestimmte Rechenzentren voraussetzt, muß man auch erstmal abwarten. Bis dahin dürfte sich das auch von selbst erledigt haben. Wer ernsthaft meint, man könne auf solche Lösungen bauen, täuscht sich eben. Die VZ-Netzwerke, von Millionen jahrelang genutzt – wo sind sie gleich geblieben? Je mehr Dienste von der Bildfläche verschwinden, desto wackeliger und damit uninteressanter werden Clouds für die Anwender. Der Feedreader wird ein Revival erleben, und auch der E-Mail-Client ist noch nicht ganz tot. Überhaupt: Der E-Mail-Verteiler bzw. die Mailingliste (vielleicht nicht gerade als Google-Group). Das selbstgehostete Blog dürfte demnächst bei einigen wieder auf der To-do-Liste stehen.

Der mit dem Bus fährt

Das nenne ich Öffentlichkeitsarbeit. Weltweit auf Platz eins der Nachrichten, obwohl sich die Organisation ebenfalls weltweit auf dem absteigenden Ast befindet. „2000 Jahre Erfahrung im Eventmanagement. Das macht sich bezahlt.“ Noch nicht einmal in Südamerika kann man mehr ohne weiteres davon ausgehen, daß man es überwiegend mit Katholiken zu tun habe. Überraschung: „Es ist ein Junge!“ Und von den Schattenseiten schreibt wieder nur die Sammelmappe, denn wo viel Licht ist, ist eben auch viel Schatten. Ist es möglich: Er „fährt sogar mit dem Bus“. Und auch während der Diktatur stand er auf der falschen Seite – heißt es. Oder auf der richtigen, wenn man seinen Aufstieg als Erfolg beschreiben wollte. Auch die taz versagt: Er wirke „wie ein Landpfarrer“, schreiben sie. Jubelt Ihr nur. „Buona sera“, hat er gesagt. Mich friert es bei soviel Strickjacke heut abend vor Gemütlichkeit.