Harald Thomé hat die SPD-Mitglieder in seinem gestrigen Newsletter zum Grundsicherungsrecht dazu aufgefordert, den Koalitionsvertrag, den SPD, CDU und CSU geschlossen haben, abzulehnen.
In dem Vertrag heiße es unter anderem, die Ergebnisse der „Bund-Länder-Arbeitsgruppe zur Vereinfachung des passiven Leistungsrechts – einschließlich des Verfahrensrechts – im SGB II“ sollten „intensiv geprüft und gegebenenfalls gesetzgeberisch umgesetzt“ werden. Das werde zu einer ganzen Reihe von weiteren Verschlechterungen führen. Einen Mindestlohn werde es flächendeckend erst ab 2017 geben (das wäre kurz vor den nächsten Bundestagswahlen, also sozusagen am Sankt-Nimmerleins-Tag). Er solle (im Jahr 2017) 8,50 Euro in der Stunde betragen, das hieße (nach heutigen Verhältnissen und nach heutigem Geldwert) 1071,03 Euro im Monat für einen Alleinstehenden. Dazu solle es weiterhin viele Ausnahmen geben, auch dieser Mindeststandard werde also löcherig sein. Insbesondere geringfügige Beschäftigungsverhältnisse sollen davon (ganz oder teilweise, das sei noch nicht sicher) ausgenommen werden. Auch beim Streikrecht soll es Einschränkungen geben. Hintergründe zu dem Stichwort „Tarifeinheit“ könne man bei Labournet nachlesen. Außerdem seien weitere Verschärfungen von Maßnahmen gegen die Zuwanderung in die EU geplant.
Es ist auffällig und bezeichnend, daß sich die Massenmedien derzeit auf völlig belanglose Nebenschauplätze wie die Pkw-Maut konzentrieren, um von den sozialpolitischen Vorhaben abzulenken. Selbstverständlich trägt dieser Koalitionsvertrag, wie die SPD-Führung immer wieder sagt, „eine deutlich sozialdemokratische Handschrift“, nämlich die Handschrift von Hartz IV und die Absage an den Sozialstaat. Und es ist auch nicht weiter verwunderlich, daß Bettina Gaus von der taz im heutigen SWR2 Forum ganz begeistert war von diesem neuen/alten Regierungsprogramm. Es ist übrigens auch verständlich, daß eine rot-rot-grüne Mehrheit unter diesen Umständen nicht zustandekommen kann.
Die Berichterstattung der Massenmedien regt aber auch dazu an, den eigenen Medienkonsum zu überprüfen. Kann man sich über Tagesschau und Deutschlandfunk tatsächlich über die wesentlichen politischen Entwicklungen informieren, oder sollte man davon eher Abstand nehmen? Wie ich ja auch schon lange Spiegel online nicht mehr lese. Oder die Internetauftritte von FAZ und Süddeutsche. Auch Zeit online lese ich nur noch selektiv, einzelne Korrespondenten habe ich im Feedreader abonniert, wie bei der taz (Bettina Gaus ist nicht darunter). Aber auch das ist fragwürdig geworden.
Die vergangenen zwei Monate in den Massenmedien sind für mich tatsächlich eine Fallstudie gewesen, in der ich viel experimentiert habe. Ich habe meinen Feedreader vollständig umgebaut und radikal verschlankt. Es geht nicht anders: Nicht nur bei der beruflichen Weiterbildung, auch im Bereich der täglichen Nachrichten muß man sich alles selbst zusammensuchen. Muß Themen recherchieren, am besten aus Sachbüchern und aus Datenbanken sich bedienen und sich ein eigenes Bild machen. Es ist langfristig gesehen fruchtbarer, sich einmal ein paar Wochen mit einem Thema zu beschäftigen (Südamerika, Gesundheitspolitik, Flüchtlingspolitik der EU) und danach mit einem anderen, als laufend Zeitungen oder Newsticker mitzulesen. Das ist viel zu aufwendig und verstellt den Blick auf das Wesentliche. Auch Blogs sind insoweit nicht viel anders. Auch hier bin ich wählerisch geworden und lese sie mittlerweile vor allem aus persönlicher Verbundenheit mit den Autoren, deren Schriften ich zumeist langfristig folge, so daß mir ihr Urteil wichtig geworden ist. Es ist ein ständiges Anarbeiten gegen die Desinformation, gegen die Spindoktoren und die Agenden in PR-Abteilungen und Redaktionen – für die eigene Aufklärung.
Ganz hervorragender Beitrag, ich halte es ebenso. Schlimm nur der Gedanke, wie meinungsbildend die erwähnten (Online-) Medien trotzdem weiterhin sind.