Dörte Böhner greift dankenswerterweise das fortbestehende Unbehagen an der Onleihe wieder auf. Mein erster Beitrag zur Onleihe aus dem Jahr 2009 gehört mittlerweile sozusagen zur Backlist der schneeschmelze – der Text läuft und läuft und läuft, er wird auch heute noch ständig abgerufen. Und es hat sich ja auch nichts geändert seit der Zeit.
Dörte Böhner faßt eine Diskussion unter Bibliothekaren zusammen, die sich auf Facebook zugetragen hat. Das heißt, sie befreit die dortigen Inhalte aus dem Walled Garden Facebook und bringt sie ins freie Internet, was an sich schon einmal sehr verdienstvoll ist. Mir ist weiterhin unverständlich, daß sich Leute in die Abgeschiedenheit eines hochkontrollierten kommerziellen Netzwerks begeben, um solche Dinge zu diskutieren, die alle angehen.
In der Diskussion wird die Kritik an der Onleihe resümiert, dabei wird aber sehr schnell deutlich, daß es hier eigentlich um eine sehr grundlegende Verunsicherung der Bibliothekare geht:
- Die Bibliothek, die die Onleihe anbietet, verleiht „im Prinzip gar nichts“ und „unterstützt ein furchtbares Verwertungsmodell“, um „wenigstens ein Angebot machen“ zu können für den Online-Bereich.
- „Bibliotheken und die in ihnen Beschäftigten agieren zum großen Teil völlig apolitisch. Eine Haltung, die nachhaltig Schaden anrichten wird.“
- Durch den Einsatz der Onleihe wird „einer kleinen Gruppe von Unternehmen“ die Möglichkeit eröffnet, „letztlich das Bibliothekswesen zu ‚kontrollieren‘“.
- Die Versprechen „Bibliotheken sind hipp“ und „24/7 wird nicht gehalten“, weil die Onleihe eben nicht jederzeit für jeden verfügbar ist. Die künstliche Verknappung der Inhalte durch DRM führt zur Frustration, denn Vormerkungen nehmen weiterhin viel Zeit in Anspruch.
- Durch die Empfehlungen von Bibliotheksverbänden zugunsten der Onleihe werden deren Wettbewerber – genannt wird Ciando – faktisch ausgeschlossen. An Alternativen zu denken, gerate zur „Nestbeschmutzerei“.
- Und grundsätzlicher: „Letztlich müssen wir uns fragen, was vom Konzept der öffentlichen Bibliotheken zukunftsfähig ist und was nicht. Wenn der Verleih von Medien zu einem Geschäftsmodell privatwirtschaftlicher Unternehmen wird, was bedeutet das dann für Bibliotheken?“ Das bloße Kuratieren von Inhalten über den eigenen Bestand sei auf Dauer nicht mehr tragfähig, denn es gebe zu viele Inhalte.
Alternativen werden dringend gebraucht. Der faktische Monopolist Onleihe wirkt sich nachteilig auf das Bibliothekswesen in Deutschland aus.
Eine Lösung wären m.E. Nationallizenzen, die aus einer Kulturflatrate finanziert werden und die den freien Download für alle Bibliotheksbenutzer ermöglichen. Auf Plattformen, die von den Bibliotheken selbst betrieben werden.
Klar ist: Bücher sind ein Kulturgut, und die öffentlichen Bibliotheken müssen weiterhin eine Grundversorgung bereitstellen. Das gilt auch für den digitalen Bereich. Das neoliberale Modell der Public-Private-Partnership kann keine Lösung sein, weil sie all das nicht berücksichtigt und auch die Technik weiterhin nicht auf allen Plattformen und Endgeräten funktioniert.
Es gibt nur einen erfolgversprechenden und anzustrebenden Weg: Kultur ist ein öffentliches Gut, kein Business. Sie muß aus der Hand der Firmen befreit und jedermann zur Verfügung gestellt werden. Hier sind wichtige Korrekturen nötig. Die kommerzielle Lösung hat sich dauerhaft nicht als gangbar erwiesen.
Vielen Dank für das Aufgreifen und Zusammenfassen hier. Eine solche Diskussion kann nicht weit genug verbreitet werden.
Ein paar kleine Anmerkungen noch: Facebook ist in mancher Hinsicht eine scheinbar geschützer, kleiner Raum, in dem sich eine Diskussion manchmal eher entwickeln kann, als dies in offenen Räumen passiert. In einem Workshop auf einer Weiterbildung ergreift man eher mal das Wort und bezieht klarer Stellung, als man das auf einer Podiumsdiskussion vor 400 Zuhörern täte. Nach Außen kann es auch von dort getragen werden, z.B. durch einen Mitschnitt oder einen Bericht. Ungefähr so verhält es sich gefühlt mit Facebook und freiem Internet.
Zweitens: Ciando ist im Grunde kaum anders, nicht besser oder schlechter als die Onleihe, weil hier gleiche Mechanismen verwendet werden, um die Nutzung und den Zugang einzuschränken. Damit hat man keine echte Alternative zur Onleihe, aber es kann momentan als Aha-Effekt gesehen werden, wenn eine Bibliothek sich bewusst für Ciando und gegen die Onleihe entscheidet. Overdrive, um einen weiteren, wenn auch englischsprachigen Anbieter in dieser Sparte zu nennen, ist naturgemäß in Deutschland nicht verbreitet. Andere Anbieter von E-Books konzentrieren sich auf wissenschaftliche Bibliotheken, da hier andere Bedingungen herrschen.
Kommerzielle Lösungen für den ÖB-Bereich sehe ich machbar, jedoch nur, wenn sich die Firmen dabei von der Einzeltitel-Einzeldownload-Variante (sprich: Wir machen Digitales analog) verbschieden. Was spricht beispielsweise gegen: Sie zahlen für 200 Titel und 30.000 Downloads und welche Titel wie oft gleichzeitig „ausgeliehen“ werden, ist uns egal und wie lange Sie an einem Titel lesen, interessiert uns nicht, da Sie sowieso nur einen Titel gleichzeitig nutzen können. Funktioniert sicherlich nicht für alle denkbaren Nutzungsmodelle, aber für den Freizeitbereich schon.
Was weder in der aktuellen Diskussion noch hier angeklungen ist, ist die Tatsache, dass durch die horrenden Kosten, die die Onleihe verursacht, es auch zunehmend zu einem „Digital Divide“ [(finanzielles) Zugangsproblem] bei den Bibliotheken kommt. Zwar werden über Verbünde und Konsortien versucht, diesen aufzufangen, aber dabei wird das Monopol der Onleihe gestärkt.
P.S. Ich werde den Kommentar mit Bezug auf diesen Beitrag hier auch bei Bibliothekarisch.de noch einmal veröffentlichen 🙂
@Dörte: Den Hinweis auf die „Digital divide bei den Bibliotheken“ finde ich sehr wichtig. Bisher ist ja damit argumentiert worden, die Bücher in der Onleihe kosteten genausoviel wie in Print. Weil die Leser zunehmend auf Online umstiegen und die Nachfrage dann eben auf diesem Wege befriedigt werde, bliebe es insgesamt bei denselben Kosten für die einzelne Bibliothek. Und zumindest im Rhein-Main-Gebiet haben mittlerweile alle Stadtbüchereien die Onleihe im Angebot, das gehört hier also mittlerweile zum Standard. Dem gehe ich gerne weiter nach.
Durch konsortiale Angebote hat sich hier sicherlich eine Verbesserung auch für kleine Bibliotheken ergeben. Dennoch verschlechtert sich die Lage kleiner Bibliotheken erheblich, da das eh schon schmale Budget für aktuelle Anschaffungen überproportional verkleinert wird. Die Bibliothek vor Ort möchte sicherlich auch „Bestandslesern“ aktuelle gedruckte Literatur bieten können. Wenn große Bibliotheken statt 5 Exemplaren, nur noch zwei gedruckt kaufen, hätte die kleine Bibliothek sowieso nur ein Exemplar gedruckt gekauft. Jetzt muss sie sich entscheiden, ob sie es elektronisch oder gedruckt erwerben will. Defakto stellt dies also eine erhebliche Verschlechterung für das Angebot dar. Ich hoffe, ich konnte jetzt noch ein wenig genauer darstellen, worauf ich damit hinaus wollte.
Ja, danke sehr! Durch die Teilnahme an der Onleihe wird immer ein bestimmter Teil des Budgets gebunden, das dann für Print nicht mehr zur Verfügung steht, und das auf Dauer. Das ist durchaus ein Problem.
Ich denke, wir müßten tatsächlich sehr viel stärker in Richtung auf Nationallizenzen und andere alternative Finanzierungsmodelle hinarbeiten.
Ja, das war eine kleine und spontane Diskussion in der Abgeschiedenheit der Fachwelt in einer „Gated Community“. Fakt ist aber auch, dass solche Diskussionen online auch eine Vorbereitung sind, konzentrierter und besser vorbereitet weiteren Fachdiskussionen zu begegnen. Inhaltlich ist dem Artikel hier ja nicht hinzuzufügen 🙂
Sicher, ein Teil des Budgets wird gebunden. Das ist nichts grundsätzlich Neues, das war mit Standing Order und Abonnements immer schon so. Und mit jeder Inflationierung und Ausdifferenzierung des Bestandes („Neue Medien“) traten die ÖBs mit sich selbst in Ressourcenkonkurrenz, wobei durch Ranking und monetäre Reduktion („Wieviel Nutzen bekomme für 100 DM?“ – Umlauf) dieser Trend noch verstärkt wurde. Nun könnte an den Gedanken wagen, dass mittlerweile die Ausdifferenzierung zurückgeht und die Substituierung zunimmt. Im Hinblick auf die Ressourcenkonkurrenz mit sich selbst bedeutet das: Es werden Mittel frei! Davon profitieren aber nicht die dezentralen Bibliotheken, sondern die zentralen Aggregatoren. Bibliotheken stecken jetzt in der selbst gebastelten Falle: Sie müssen sich an den hohen Zahlen messen, auf die sie immer so stolz verwiesen haben.
Bei der Legitimation wird – das nur als Nebengedanke – die Verfügbarkeit immer noch als ein Problem des Mangels dargestellt. In Wirklichkeit haben wir ein Problem des Zuviel.