Wikimedia Deutschland zum Beispiel

Es ist ein vielschichtiger Vorgang rund um Wikimedia Deutschland und um die deutschsprachige Wikipedia, der gestern bei der Mitgliederversammlung in Berlin seine Fortsetzung erfahren hat. Einerseits die sprichwörtlichen Cliquen, Klüngel und Karrieren, die durchaus lustvoll ausgelebt werden; andererseits ein andauerndes Element der Netzkultur, immer noch einer der größten Knoten im Internet, trotz aller immer deutlicher werdenden Erosion. Der große Tanker hat einen langen Bremsweg.

Das Präsidium des Vereins hatte den Vorstand entlassen, weil es über Kurs und Leitung der Geschäftsstelle wohl grundsätzlich unterschiedliche und unversöhnliche Ansichten gab, wohl auch über den Führungsstil und die Führungskultur. Mit der Kehrtwende durch die Neubesetzung des Präsidiums und die Rückkehr derjenigen, die den Vorstand einst eingestellt hatten, eröffnet sich nun die Möglichkeit, zu den alten Verhältnissen zurückzukehren. Dies aber nur teilweise, denn gleichzeitig ist der Handlungsspielraum des nationalen Wikimedia-Fördervereins gerade durch die Empfehlung des Funds Dissemination Committee der Wikimedia Foundation erheblich eingeschränkt worden – siehe auch die Diskussion darüber. Es gibt also kein vollständiges Zurück – so wie früher wird es von nun an nicht mehr sein, die Bäume wachsen nicht mehr in den Himmel. Und: Kurzfristige Ergebnisse werden von den obersten Spendenverwaltern in San Francisco beileibe höher geschätzt als langfristige Arbeit für Aufklärung und Bildung.

Was die internen checks and balances bei WMDE angeht, so haben Kritiker den Verein schon längst verlassen. Übrig geblieben sind genaugenommen zwei Gruppen von Mitgliedern: Die sich mit allen vorgefallenen Verwerfungen der vergangenen Jahre arrangiert haben, aus welchen Gründen und Motiven auch immer; und die guten Willens meinen, bei WMDE handele es sich um eine NGO, die bestimmte zu billigende Werte vertrete, die sie deshalb fördern wollen, die aber keinen wirklichen Einblick in die Verhältnisse im Innern des Vereins oder in die Community haben.

Die hohen Spenden aus Deutschland gehen vor allem darauf zurück, daß Wikipedia und das zugrundeliegende Geflecht aus Wikimedia-Organisationen für die allermeisten auch weiterhin eine Black Box sind, die kaum ein Außenstehender je einmal durchschaut hat. Man zahlt „für Wikipedia“ und hat dabei irgendwie das Gefühl, etwas Gutes getan zu haben. Ein direkter Zusammenhang zwischen einer Spende und der inhaltlichen Qualität ist natürlich nicht gegeben, denn die Inhalte werden ja weiterhin ganz überwiegend von Amateuren in der Freizeit unentgeltlich erstellt.

Inmitten dieses Szenarios aus Geld, Internationalität, Wissensbefreiung unter freier Lizenz, Seilschaften und kalter Technik und ganz viel Nerd-Kultur versammeln sich mehrmals jährlich – und das schon seit vielen Jahren – ganz unterschiedliche Gruppen von Menschen, die miteinander um die Führung beim deutschen Wikipedia-Förderverein ringen. Wobei die Wahlergebnisse immer weniger bei der Mitgliederversammlung, sondern schon vorab durch die Briefwahl bestimmt sind.

Wie auch immer es weitergehen mag: Es ist jedenfalls eine Zeit des Umbruchs in Community und Förderverein, und am Ende bleibt auch bei langjährigen Beobachtern derzeit Ratlosigkeit zurück. Diese vielschichtigen Vorgänge werfen ein Blitzlicht auf den Normalbetrieb von Wikipedia. Wikimedia Deutschland – „der Verein“, wie Wikipedianer ihn nennen – und die Diskussionen von Netzaktivisten und Wikipedia-Autoren mögen als ein Beispiel für die zeitgenössische Zivilgesellschaft dienen.

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Project Gutenberg offline lesen

Das Kiwix-Team hat auf der Mailingliste Wikisource-l bekanntgegeben, dass alle Texte aus dem Project Gutenberg jetzt im Format ZIM für den freien Reader verfügbar seien. Das gesamte Archiv hat einen Umfang von 45 GB. Wer nur die gemeinfreien deutschen Texte nutzen möchte, ist mit einem Download von 509 MB als lokale elektronische Basisbibliothek gut bedient. Außerdem gibt es Sammlungen in französischer, spanischer, italienischer und portugiesischer Sprache. Wegen der Größe der Dateien stehen auch Torrents zur Verfügung. Lokal geboten wird der durchsuchbare Volltext in HTML5 und in EPUB; soweit PDFs angezeigt wurden, konnten sie bei einem Text unter Mac OS X 10.9.5 Mavericks nicht geöffnet werden. Die Software zum Erstellen des ZIM-Abzugs des PG steht als freie Software auf Github zur Verfügung.

Larry Sangers „Infobitt“

Der Mitgründer der Wikipedia Larry Sanger hat ein neues Projekt entwickelt. In einem länglichen Blogpost, von dem es auch eine kurze Fassung gibt, erzählt er noch einmal nach, wie er wurde, was er heute ist: Von den ersten Tagen der Wikipedia, über die Encyclopedia of Earth, Citizendium und WatchKnowLearn geht es darin auch um den pädagogischen Ehrgeiz bei der Erziehung seiner Kinder sowie schließlich um sein neuestes Baby: Infobitt.

Sanger beschreibt sich in dem Beitrag als ein von seinen Träumen Getriebener, und ein Projekt, in dem es um Nachrichten geht, sei einer seiner frühesten Träume gewesen, älter als die Wikipedia, aber, wie diese, auf das Crowdsourcing einer sehr großen Zahl von Beitragenden angewiesen.

Nachrichten sammeln, filtern und bewerten, nach ihrer Bedeutung ordnen und auswählen, was wirklich wesentlich ist, ohne Algorithmen, sondern durch Autoren, die „gelobt“ haben, sich dieser Sache zu widmen: Darum geht es auf der neuen Plattform. Um endlich ein helles Licht auf den Long Tail der Nachrichten scheinen zu lassen, von Bürgern geschrieben, von unbezahlten Laien, um das Grundrauschen im Strom der News leiser zu stellen. Das sei Bürger-Journalismus im besten Sinne. Was bei Wikipedia der Artikel ist, dem entspricht auf Infobitt das Bitt.

Zehn Top Stories soll es so jeden Tag geben, der Rest verschwinde in Ablage P, kategorisiert und verschlagwortet, natürlich. In der Beta-Phase seien seit August mit „8–20“ Testern pro Tag schon 119 Bitts pro Woche entstanden. Wer möchte, kann sie als Newsletter abonnieren. Von den Benutzern selbst verwaltet mit automatisierter Vandalenjagd. Längerfristig wahrscheinlich unter CC-by-sa 2.0, das sei noch nicht ganz sicher. Angestrebt werden 100.000 Beitragende. Man kann aber über seinen Account auch einfach nur mitlesen, schreibt Sanger. Ein Projektteilnehmer spricht die Top-Meldungen täglich ein und stellt die Datei auf Soundcloud bereit.

Das Projekt, über das es im Wikimedia-Umfeld erst drei Diskussionen gegeben hat – vor einem Jahr in der Mailingliste Wikien-l sowie kurz auf Sangers Diskussionsseite und aktuell auf Wikipediocracy –, wurde gestern nach zwei Jahren Vorarbeit zur Registrierung durch Benutzer allgemein freigegeben.

Kein Wort über Wikinews, nirgends.

„Helene Schjerfbeck“ in der Schirn Kunsthalle Frankfurt

Nachdem der Frankfurter Kunstverein einige Schlaglichter auf die finnische Gegenwartskunst gezeigt hatte, folgt nun die Schirn Kunsthalle mit einer Ausstellung über Helene Schjerfbeck.

Achtzig Bilder von ihr wurden für diese Schau zusammengetragen, die meisten davon sind Selbstporträts. Nicht ohne Grund: „Ich habe ein Selbstbildnis begonnen, weil mein Modell dann stets verfügbar ist“, soll Schjerfbeck gesagt haben, „obwohl es nicht lustig ist, sich dauernd selbst anzustarren.“ Die aus kleinen Verhältnissen stammende und nach einem Unfall als kleines Kind zeitlebends Gehbehinderte begann früh zu malen und und wurde entsprechend gefördert. Sie schloß eine Zeichenschule in Helsinki ab, später ging sie nach Paris, kehrte nach Helsinki zurück und unterrichtete dort an der Zeichenakademie, solange es ihre Gesundheit zuließ. Schließlich zog sie sich mit ihrer Mutter in das Dorf Hyvinkäa zurück. Keine „lustige“ Biographie, also.

Und so malte sie sich auf den meisten Bildern, die derzeit in der Schirn gezeigt werden, selbst, immer wieder. In der Regel blickt sie selbstbewußt den Betrachter an; wenn man genauer hinsieht, merkt man aber, sie schaut an ihm vorbei, als wolle sie ihm ausweichen oder sich nicht so richtig auf ihn einlassen. Sich genau betrachten, genau hinsehen und detailreich nachzeichnen, sich zwar zeigen, aber sich dabei nicht auf den anderen einlassen. Gar nicht. Und auf dem eindrücklichsten Bild ist ein kleines Mädchen zu sehen, das mit zerzausten Haaren, krank am Tisch sitzt und dabei verträumt und mit traurig großen Augen ins Leere schaut, „Die Genesende“ aus dem Jahr 1888. Schjerfbeck jung, reifend, erwachsen, schließlich alt, hat sie ihre Entwicklung, am Ende ihren körperlichen und geistigen Verfall als alte Frau minutiös und unerbittlich festgehalten in einer Malerei, die zwischen historisierenden Kopien, Historienbildern und Moderne schwankt. Auch wenn sie sich nicht selbst malte, malte sie letztlich sich selbst. Ein extrem selbstreferentielles Werk zeigt sich da, in sich gefangen, um sich kreisend. Im ganzen mitunter beinahe trostlos, aber immer kraftvoll und sehenswert.

Nur die Raumaufteilung in der Ausstellung läßt denn doch zu wünschen übrig, verwinkelt und etwas irrgartend und viel zu eng bahnt man sich als Besucher seinen Weg. Und wenn es das Gastland Finnland bei der Frankfurter Buchmesse nicht gegeben hätte, wäre es ganz sicherlich fernliegend gewesen, eine Ausstellung zu Helene Schjerfbeck in Frankfurt zu machen. So sorgt der Eventismus im Kulturbetrieb denn doch noch für Möglichkeiten, die sich sonst wohl nicht eröffnet hätten. Entlarvend.

Zur Einführung in Leben und Werk Helene Schjerfbecks hat die Schirn ein sogenanntes „Digitorial“ erstellt, das von der Presseabteilung als „‚Vorabkurs‘ der inhaltlichen und leicht zugänglichen Vorbereitung auf den Ausstellungsbesuch“ beschrieben wird, pad- und smartphone-tauglich soll es sein, kommt aber auch auf dem Desktop bildschirmfüllend rüber. Die Kunstvermittlung beginnt damit vor der Ausstellung, viele Aspekte, die bisher erst über den Katalog oder bei einer Führung vermittelt werden konnten, werden so gleichsam „vor die Klammer gezogen“. Beinahe enzyklopädisch ist der Auftritt geworden, Wikipedia kann einpacken. Und: Das Blog wird vom Kurs abgelöst, der Trend zu MOOCs bei der Vermittlung von Wissen stand Pate. Der Nachteil: Wenn man das Digitorial gelesen hat, bringt man schon ein sehr bestimmtes Bild von Künstlerin und Werk mit in die Ausstellung, was häufig den Blick einschränken und einengen kann. Geboten wird dasselbe Narrativ, das auch die Ausstellung vor Ort bietet. Weniger wäre mehr. Mut zur Lücke!

Helene Schjerfbeck“. Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main. Kuratorinnen: Carolin Köchling (Schirn), Anna-Maria von Bonsdorff (Ateneum Art Museum). Noch bis 11. Januar 2015.