Es hat ein bißchen gedauert, bis ich mich wieder dem Kunst- und Kulturbetrieb zugewandt habe. Ich war schon ganz lange nicht mehr als embedded blogger zugange, und ich habe mich auch sonst ziemlich von den organisierten Spektakeln ferngehalten. Aus Gründen. Auch die 200. Geburtstagsfeier des Frankfurter Städels habe ich distanziert beobachtet – über die Pressemaschine, natürlich, die seit Monaten schon auf vollen Touren läuft. Monet und Umfeld also, ungefähr hundert Bilder sollen es sein.
Zwar konnten wir die Touristen nicht ganz vermeiden, aber wir hatten wohl doch einen vergleichsweise günstigen Moment erwischt, an einem Nachmittag so gegen drei. Die Busse parkten um die Ecke, und die Schlange vor den Kassenhäuschen vor dem Haus war nicht allzu lang. Es waren sogar noch ein paar Schließfächer frei. Im Innern aber zogen während unseres Besuchs gleich vier Führungen an uns vorüber – oder waren es fünf? Kunst im D-Zug-Tempo, dort hinten hängen noch mehr Bilder, und die nächste Führung kommt gleich hinterher. Handys klingeln, es gibt wenig Platz, und die Klimaanlage hat sich sehr bemüht. Am Ende kamen sich zwei Führungen in die Quere, und es wurde wirklich eng. Das ruhigere Zeitfenster, das schon Isa Bickmann in Faust-Kultur empfohlen hatte, tat sich dann so gegen halb sechs auf, kurz bevor auch wir gingen. Am Museums-Shop vorbei, übrigens, der diesmal strategisch mitten im Haus plaziert ist, unmittelbar am Eingang zur Ausstellung. Man soll ihn nicht verfehlen.
Die Geschichte des Impressionismus wird chronologisch anhand von Hauptwerken Monets und weiterer Künstler erzählt. Die ganze Dramaturgie ist auf die beiden „Mittagessen“ von 1868/69 und 1873 ausgelegt, die zentral in der Mitte des Verlaufs stehen. Der erste Teil der Schau endet mit dem monumentalen Werk aus der Sammlung des Städel, der zweite Teil beginnt mit der Leihgabe aus dem Musée d’Orsay. Und auch „La Grenouillère“ und der „Boulevard des Capucines“ sind zu sehen. Eine Welt voller Sonne, voller Licht und Leichtigkeit, eine Welt des Morgens und des Mittags. Harte Schatten. Regen nur als Schauer. Aus dem Spätwerk, in dem sich die Konturen auflösen und die Farben pastellig zerfließen, viermal die Kathedrale von Rouen, zwei Londoner Brücken und die auf den Expressionismus weisende Darstellung der „Japanischen Brücke“. Das ist ein geballtes Programm an Kunstgeschichte. Was fehlt, sind die späten Seerosenbilder, aber davon war ja eines, das letzte, vor zwei Jahren in der Schirn zu sehen.
Man sollte die kleinen Nebenräume beachten, wo zeitgenössische Photographien gezeigt werden, die von der Malerei beeinflußt wurden und die – umgekehrt – wiederum auf die Malerei gewirkt hatten. Außerdem werden dort Karikaturen gezeigt. Wahre Preziosen sind darunter. Die Journale stammen aus dem Bestand der Frankfurter UB, sie sind wunderbar erhalten und lichttechnisch in Szene gesetzt. Es scheint, als habe ich ein paar Jahre im falschen Lesesaal gesessen.
Vernachlässigt wird leider das gesellschaftliche Umfeld der künstlerischen Produktion, denn die Jahre nach 1848 bis 1880 waren natürlich eine bewegte Zeit, die von den romantisierenden Darstellungen der Impressionisten geflissentlich geschönt worden waren. Die aufkommende soziale Frage findet in dieser Ausstellung nicht statt. Nur in einem Wandtext wird darauf hingewiesen, die Tuilerien würden unbeschädigt gezeigt, trotz des Brands von 1871. Die „krisenhafte Zeit“, von der Felix Krämer im Ausstellungsfilm spricht, wird in der Ausstellung zu wenig gewürdigt. Ist diese Malerei ein Beispiel für Eskapismus oder ist es im Gegenteil ein trotziger Gegenentwurf zu den Zeitläuften?
Aus Anlaß der Ausstellung wurden fünfzehn Bilder von Restauratoren einer aufwendigen Untersuchung unterzogen, deren Ergebnisse teilweise auf der Website des Museums zu sehen sind.
Die Kunstvermittlung wird derzeit beim Städel online stark ausgebaut, so entschieden wie bei keinem anderen europäischen Museum, meinte die Zeit. Es gibt sie noch: Den Katalog, das Begleitheft und die Wandtexte, auch die Führung und den Audioguide und das Städel-Blog, aber das „Digitorial“ und die aufwendig gestaltete Digitale Sammlung sind hinzugekommen. Außerdem gibt es eine käufliche App für Android und iOS. Ein „edukatives Computerspiel für Kinder“ und ein „Online-Kunstgeschichtskurs“ kommen bald hinzu, las man bei den Blättern der Ulmer Südwest Presse. Der Bildungsauftrag wird offenbar ernst genommen. Man überläßt die Präsentation der eigenen Bestände nicht, wie gerade eben das Wuppertaler von der Heydt-Museum zur dortigen Pissarro-Ausstellung, den Amateuren von Wikipedia, sondern behält alles selbst in der Hand. QR-Codes werden sparsam bei den Bildtexten eingesetzt. Und das freie WLAN hat an dem Nachmittag offenbar kein Besucher benötigt. Es waren schon genug Bilder an den Wänden. Demgegenüber ist die Überblicksführung nicht mehr im Eintrittspreis enthalten, sie kostet fünf Euro extra und findet mit Headset und Kopfhörern nur für die zahlende Kundschaft statt. Für alle anderen gibt es ja das Internet. Bring your own device.
Insgesamt aber ist auch das Material, das man auf diese Weise angeboten bekommt, so reich, daß das Feuilleton endgültig zurücktritt. Auch das ein Übergang. Ein Blick in die Pressedatenbank zeigt, daß die Zeitungen diesmal tatsächlich nichts Substantielles mehr beizutragen hatten, was man noch in die Ausstellung hätte mitnehmen können. So werden auch die infolge der geschrumpften Redaktionen überforderten Journalisten – mit sehr wenigen Ausnahmen – immer mehr zu bloßen Transmissionsriemen der PR-Abteilung des Museums. Ich denke, ich tue gut daran, den Abstand zu dieser Pressemaschine weiter zu pflegen.
Monet und die Geburt des Impressionismus. Bis 28. Juni 2015 im Städel Museum, Frankfurt am Main. Kurator: Felix Krämer. Katalog in der Ausstellung: 39,90 Euro.