Mit Open Access gegen die VG-Wort-Verlags-Ausschüttung?

Nachdem die Diskussion um den Anteil, den die Verlage an wissenschaftlichen Publikationen haben, wieder einmal ins Rollen gekommen ist, auch meine 2ct dazu:

Der Anteil, den die Verlage an meinen Veröffentlichungen hatten, war genau null. Insoweit decken sich mein Erfahrungen mit dem, was auch aus anderen Fächern als Jura schon hinreichend beschrieben worden ist. Es gab und gibt nur einen Grund, bei einem Fachverlag zu veröffentlichen: Die Sichtbarkeit der Arbeit im Bibliothekskatalog und die Beachtung durch das Schrifttum und durch die Rechtsprechung. Bundessozialgericht und Bundesverfassungsgericht hätten meine Diss nicht zitiert, wenn sie bei Books on Demand erschienen wäre. Natürlich wäre es dieselbe Arbeit gewesen. Derselbe Text. Aber so sind sie halt, die großen Leute, um es mit Saint-Exupéry zu sagen.

Das einzige, was sich in der Rechtswissenschaft seitdem verändert hat, ist, daß Urteile mittlerweile zunehmend aus proprietären Datenbanken heraus zitiert werden, statt aus Zeitschriften oder amtlichen Entscheidungssammlungen. Um das zu ermöglichen, wurden sie mit amtlichen Randnummern versehen. Und solange die Rechtswissenschaft so funktioniert, kann man eigentlich niemand dazu raten, in dem Fach auf Open Access zu setzen.

Der Wandel wird nicht durch die Autoren kommen, er müßte notwendigerweise von der anderen Seite ausgehen, um den Autoren ein Signal zu setzen. Und warum sollte das so sein? Gerichte und Schrifttum haben dazu keinen Anlaß. Ein Verdienst der Verlage ist das gewiß nicht. Und erst recht kein Grund, ihnen einen Obulus aus den Einnahmen der VG Wort zuzuschachern, wie es die Bundesregierung nun wieder tun will.

Die Diskussion krankt daran, daß sie alle Verlage über einen Kamm schert. Belletristik und Sachbücher, die aufwendig zu lektorieren sind, sind eben ein anderes Geschäft als Wissenschaft, wo überhaupt nichts lektoriert wird. Hier werden wissenschaftliche Texte 1:1 übernommen, der Verlag hat daran überhaupt keinen Anteil. Er sorgt – siehe oben – ausschließlich für die Beachtung des Textes in der Öffentlichkeit des jeweiligen Fachs.

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Nachdenken über Sci Hub

Auf der Mailingliste Inetbib ist am Wochenende ein Beitrag über Sci Hub aus Archivalia kontrovers diskutiert worden. Klaus Graf hatte darin der derzeitigen Stand zum Verhältnis von Fernleihe und Open Access zusammengefaßt und dabei auch Portale einbezogen, die weitergehen, als nur Open-Access-Papiere im Rahmen der jeweiligen Lizenz weiterzuverteilen. Repositorien gibt es viele. Sci Hub bietet, wenn ich es richtig verstanden habe, so gut wie alles an, was im Format PDF daherkommt und nicht bei drei auf den Bäumen ist, ohne sich dabei um das Urheberrecht der Autoren und die davon abgeleiteten Verwertungsrechte von Verlagen zu kümmern.

Die Fernleihe, die von den Verlegern immer wieder gern gegen die Zeitschriftenkrise angeführt wird, sei, so Klaus Graf in seinem Beitrag, zumindest in ihrer nordamerikanischen Spielart ILL, nicht attraktiv genug und könne das Unvermögen der chronisch unterfinanzierten Bibliotheken, die Informationsflut zu den Lesern zu bringen, langfristig nicht ausgleichen. Zudem würde sie hierzulande subventioniert – das seien Kosten, die man genaugenommen mit einbeziehen müsse, wenn man ausrechne, wieviel Open Access den Steuerzahler letztlich koste. Wenn alle Wissenschaft Open Access wäre, entfielen auch diese Kosten, und allen wäre gedient. Bis es aber soweit sei, so könnte man es auf den Punkt bringen, müsse man wohl mit grauen Portalen wie Sci Hub leben. Und: Mit Sci Hub ist es wie mit dem Leben: Genießen wir es, solange es geht.

So dauerte es dann auch nicht lange, bis ein Listenteilnehmer den Vorwurf erhob, das sei im Grunde genommen eine Aufforderung, massenhaft Rechtsbruch zu begehen. Er genieße an seinem Leben, dass er aufrecht gehen kann und sich nicht wie ein Dieb wegschleichen müsse. Dagegen erhob sich substantiierter Widerspruch, zumal der damit angegriffene Blogpost mehrfach die Unrechtmäßigkeit der diversen Schattenbibliotheken betont.

Man kann die Diskussion als eine Fallstudie lesen, sowohl auf die Lage der Literaturversorgung als auch auf die Entwicklung des Netzes.

Die vorgenannten Kommentare liefen auf einer Mailingliste ein, der größten bibliothekarischen Liste im deutschsprachigen Raum zwar, aber auf einer Liste, die doch sehr viel enger daherkommt als die Öffentlichkeit, die die Archivalia finden – das Blog ist darüberhinaus für viele lesenswert, auch abseits der Bibliotheksszene. Es gab Widerspruch, aber nicht im Web 2.0, also in den Blogkommentaren, sondern in dem alten Medium der Mailingliste, in deren Archiv man das also nachlesen kann. Und zwar, weil der Blogpost von seinem Autor auch dort angekündigt worden war. Darin wird die fortwährende Fragmentierung der Datennetze deutlich. Zwar hatte Geert Lovink schon 2008, auf dem Höhepunkt des Blog-Booms, in seinem „Berliner“ Buch Zero Comments das Ausbleiben der Kommentare bemerkt. Sie sind aber auch nicht an einen neuen Ort „umgezogen“. Diskutiert wird in Diskutiermedien, und das sind weiterhin Mailinglisten. Jede Nachricht wird an die Teilnehmer persönlich versandt und zugestellt. Twitter spielte bei der Verbreitung des Posts eine gewisse Rolle, so gelangte der Beitrag auf Rivva; dort werden bisher aber nur drei Blogs erwähnt, die das Thema aufgegriffen haben – auch bei ihnen wurde bisher nicht kommentiert.

Man kann diese Diskussionsmüdigkeit im Web 2.0 mit mehreren Trends in Beziehung bringen: mit dem Ekel vor dem Netz im Zuge der Snowden-Affäre, aber auch mit dem allgemeinen Rückzug aus dem Netz infolge der Shitstorms, der Online-Kampagnen und der sonstigen nervtötenden Begleiterscheinungen. Die Blütezeiten des Netzes sind vorbei. Das Pendel schwingt in die andere Richtung, und die Gruppen der Intensivnutzer und der Zurückhaltenden scheiden sich immer deutlicher.

Zum anderen greift Archivalia aber auch einen sehr wesentlichen Trend auf, den man aufmerksam beobachten sollte. Denn Portale wie Sci Hub, von einer Studentin gegründet, und sonstige schwarze Kanäle verweisen auf die Einstellung der Menschen zum Recht.

Wenn es heißt, Sci Hub sei unrechtmäßig, so ist das wahrscheinlich richtig. Aber diese Wertung trifft auf eine Generation, der die Quellen, aus denen sie schöpft, egal geworden sind – und zwar gerade auch im Angesicht der allgemeinen Überwachung. Es wäre aus technischer Sicht überhaupt kein Problem, sie zu stellen, das hat man bei der Verfolgung der Software- und Musik-„Piraterie“ gesehen. Aber vielleicht wird es dazu bei der Literaturversorgung gar nicht kommen, denn die Verlage rudern ja schon lange zurück, etwa indem das „harte DRM“ bei E-Books zunehmend fallengelassen und durch bloße Wasserzeichen ersetzt wird. Den Rest besorgte bei der Musik der Übergang von Download zu Streaming. Dazu wird es auch hier immer mehr kommen. Gerade deswegen muten ja der PDF- und EPUB-Download bei der Onleihe und der Versuch des Marketings der Süddeutschen Zeitung so retro an, im Zuge ihrer Panama-Papers-Kampagne Abonnenten für ihr E-Paper zu gewinnen. Der direkte Zugriff auf Daten aus dem Web und die Flatrate sind die Zukunft, und zwar nicht die Flatrate für eine Zeitung oder Zeitschrift, sondern für so etwas wie Sci Hub, wo man alles aus einer Quelle bekommt. So wie man ja auch bei Google irgendwie alles finden kann. So nehmen die meisten Menschen eben das Internet wahr: Alles aus einer Hand. Verteilte Lösungen schwinden, zentralisierte wachsen. Ein Paradoxon im fragmentierten Netz mit seinen fragmentierten Öffentlichkeiten. Am Ende finden sie sich alle an einen Knoten im Netz wieder. Im Bibliothekswesen überschneidet sich das mit der Erzählung von der Bibliothek von Babel, die am Ende die ganze Welt ist. Und wenn die Verlage das nicht von sich aus einsehen und sich für die Vermarktung zusammentun, werden die Benutzer das eben ganz pragmatisch auf andere Weise herbeiführen.

Am Ende wurde die Pirate Bay kommerzialisiert und aus dem Reich der Schattenwirtschaft ins helle Licht geführt – bevor sie schließlich aus dem allgemeinen Bewußtsein verschwand. Heute kennt sie keiner mehr. So wird es auch mit Sci Hub und Co. kommen. Bloß die Fernleihe, die wird es ganz sicherlich auch neben der normalen Ausleihe und dem Verkauf von Texten weiterhin geben, und das würde ich doch auch hoffen.

Denn eine Welt mit 100-prozentigem Open Access ist wahrscheinlich nicht erreichbar. Und das liegt einfach daran, daß es mehr Prestige mit sich bringt, bei einem externen Verlag zu publizieren als auf dem OA-Server der universitätseigenen Unibibliothek. Nur der Dritte kann die Gewähr dafür bieten, daß der Autor und sein Text ausgewählt worden sind, dort zu erscheinen. Auch wenn das Lektorat mittlerweile vielfach ausfällt: Do-it-yourself und Selfpublishing werden nicht für alle Zwecke und auch nicht für alle Fächer eine gangbare Lösung sein. Bei den Juristen wird jedenfalls weiter ganz viel gedruckt. Es ist kein Zufall, daß sich die Konstanzer Juristen gerade gegen eine Verpflichtung zur Zweitveröffentlichung ihrer Texte gewandt haben. Und auch dieser Bedarf will weiterhin über Bibliotheken verteilt sein. Nur sie können sowohl eine Infrastruktur für proprietäre als auch für offene Medien organisieren und betreiben. Mit der Fernleihe auch ortsübergreifend.

Ob das eine billiger als das andere sein wird, ist am Ende übrigens geschenkt, denn beides wird nebeneinander bestehen. Das Verlagsprodukt wird man ebensowenig verdrängen können wie den Open Access. Die Autoren wie die Benutzer haben sich darauf eingestellt.

Nichts Neues kommt aus Panama

Die kritischen Anmerkungen an der Panama-PapersKampagne der Massenmedien reißen nicht ab. Der Corporate-Blogger Michael Firnkes fragt: Und wer kontrolliert den Datenjournalismus? Er zählt eine Reihe von Unwägbarkeiten bei dieser investigativen Arbeitsweise auf und endet: Normalerweise bräuchte jeder Verlag, jeder Medienschaffende eine oder mehrere unabhängige Instanzen, welche die Ergebnisse und die Folgeerscheinungen des Datenjournalismus kontrollieren und monitoren. Das ist aber angesichts der Geheimniskrämerei um die Daten, aufgrund deren der Hype erfolgt, nicht möglich. Die Unterlagen sollen auch nicht an die Staatsanwaltschaft gegeben werden, um Strafermittlungen anzustoßen. So stellt es sich die Süddeutsche Zeitung jedenfalls vor: Der Perlentaucher schreibt – wenn auch mit nichtzutreffender Quelle –, man fühle sich dort nicht als der verlängerte Arm der Staatsanwaltschaft. Als was aber dann? Alles also doch nicht so ernst gemeint? Und Ronen Palan bemerkt im Verfassungsblog, er habe bisher nichts Neues gelesen, was ihm nicht vorher schon bekannt gewesen wäre. So, what?

Das gewünschte Ergebnis ist erreicht: Die Nachrichten und die Sozialen Netzwerke werden auf Wochen hinaus mit dem Thema gefüllt sein. Ein bißchen Wind im Social Web ist günstig zu haben. Man kann das buchen. Bis in den privaten Raum hinein, greift das Thema um sich. Und da der Umfang der Nachrichten in den Massenmedien ein Nullsummenspiel ist – die Tagesschau hat jeden Abend nur 15 Minuten –, geht das auf Kosten sehr viel wichtigerer Themen, die schon jetzt viel zu kurz kommen. Die Initiative Nachrichtenaufklärung veröffentlicht jedes Jahr die Top-Themen, für die man sich eine angemessene Berichterstattung gewünscht hätte. Sie kommen damit noch kürzer. Ehrenwert wäre es gewesen, hunderte Leute dranzusetzen, wenn es um die nächste Hartz-IV-Reform und die Frage ginge, wie die armen Leute immer noch ärmer gemacht werden. Oder wie AfD und Pegida finanziert werden.

Es geht der SZ und den anderen Medien, die sich dieser Kampagne angeschlossen haben, nicht ums Thema, sondern um Werbung und PR in eigener Sache – und alle machen mit. So entsteht eine Neuauflage von Settings, die in den 1980er Jahren noch in Seifenopern wie Dallas oder Denver Clan daherkamen. Man soll sich also über die Machenschaften der Reichen aufregen, kann daran aber selbst nichts ändern. Die bunten Zeichnungen in der Zeitung zeigen es: Putin gibt diesmal den J.R. Ewing. So werden die Bürger am Ende nur abgelenkt von den Dingen, an denen sie tatsächlich politische Selbstwirksamkeit erleben könnten. Bei den Römerberggesprächen hatte Wilhelm Heitmeyer 2011 auf die Frage hin, wie man die Demokratie stärken könne, empfohlen, gerade diese Selbstwirksamkeit zu stärken, und zwar im möglichst kleinen Rahmen: Ich habe etwas Konkretes bewirkt durch die Stimmabgabe, durch mein politisches Engagement. Aber hier wird ausschließlich Ohnmacht deutlich. Es fängt bei der fehlenden Möglichkeit an, all das zu überprüfen, was in den Berichten erzählt wird, und es geht bei der fehlenden Möglichkeit einzugreifen weiter. Das lähmt, statt zu mobilisieren. Und es bedient nur alte Feindbilder.

Und das ist schlechter Journalismus, der mit einer riesigen PR- und Social-Media-Kampagne daherkommt, der nicht selbst Fragen nach seiner Finanzierung stellt. Der wichtigere Themen verdrängt, um sich selbst als Aufklärer zu inszenieren, obwohl dabei nur eine Show entsteht, die am Ende Desinformation bewirkt. Die Zweifel überwiegen deutlich. Der große Hype, der demonstrieren sollte, wozu die Presse doch noch gebraucht werde, kehrt sich ins Gegenteil: So eine Presse, die sich vor allem selbst in Szene setzt und die von den politischen Themen, die in den letzten Wochen bestimmend waren, möglichst wirksam ablenkt, braucht tatsächlich niemand.

Remote Access: Die Stadtbibliothek Darmstadt baut ab

Die Stadtbibliothek Darmstadt bietet KLG, KLfG und PressReader über Munzinger an; außerdem Genios, letzteres aber nur noch mit einer kleinen Auswahl an deutschsprachiger Presse; die Fachzeitschriften wurden vor einem halben Jahr schon fallengelassen, schrieb ich vor kurzem. Und stelle nun fest, daß die Süddeutsche Zeitung ziemlich leise aus dem Darmstädter Genios gestrichen worden ist. Dafür gibt es nun sehr viel Provinzpresse, also etwa die Osterländer Volkszeitung. Nichts gegen die Osterländer Volkszeitung, aber die Entwicklung ist doch enttäuschend. Es verbleiben für meine Interessen: Zeit, Spiegel, Frankfurter Rundschau, taz, NZZ und Der Standard. Nicht gerade wenig, aber es fing mal attraktiver an. Mit fehlt weiterhin die FAZ. Zumal der PressReader via Munzinger doch ziemlich umständlich zu bedienen ist, bei mir nur in Safari und Google Chrome funktioniert und offenbar auch keine Volltextsuche über alle Texte anbietet. Ebenso wie die E-Papers aus der Onleihe. Man muß sie einzeln herunterladen und kann nicht gezielt alle Beiträge zu einem bestimmten Thema ansehen. Sehr nachteilige Entwicklung für die Benutzer.