Claudia Andujar: „Morgen darf nicht gestern sein“ im MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main

Eigentlich sollte Claudia Andujar die Yanomami Anfang der 1980er Jahre nur zur Durchführung einer Impfkampagne fotografieren. Die Indigenen starben an Krankheiten, die von Arbeitern eingeschleppt wurden, die aus dem Süden Brasiliens kamen: Grippe oder Masern. Weil Yanomami keine Namen tragen, sondern sich nur unter Rückgriff auf ihre Verwandtschaftsbeziehungen bezeichnen, hängte man ihnen Schilder mit Nummern um, um sie wiederzuerkennen, damit ihre Behandlung dokumentiert werden konnte. Dabei entstanden dokumentarische Aufnahmen, die aber auch darüberhinaus einen künstlerischen Wert haben, weil Andujar für manche einen ganzen Film verbrauchte, bis sie mit dem Ergebnis zufrieden war.

Die Bilder wurden erstmals 2006 bei der Biennale von São Paolo ausgestellt. Sie sind seitdem als Marcados bekannt geworden – die Markierten. Man erfährt: Andujars (jüdische) Verwandte väterlicherseits waren in Konzentrationslagern ermordet worden. Sie floh mit ihrer (protestantischen) Mutter zunächst in die Schweiz, wo sie auch 1931 geboren worden war, dann weiter nach Nordamerika und kam erst in den 1950er Jahren nach Brasilien, wo sie seitdem lebt. Die durchnumerierten KZ-Opfer waren für sie die mit dem Tod Markierten. Die Yanomami wollte sie mit den Nummern, die sie ihnen gab, für das Leben, für das Überleben markieren.

Das ist ein berührendes Projekt, und man stellt sich natürlich die Frage, warum man erst jetzt davon erfährt. Claudia Andujar ist in Lateinamerika ziemlich bekannt, Berichte über sie findet man dementsprechend vorwiegend in spanischsprachigen, aber auch in französischen Medien, so etwa die Biografie bei Photophiles. Ein Gespräch, das die Kuratorin Carolin Köchling für den Katalog der Ausstellung im Frankfurter MMK geführt hat, erschließt den Kontext für den deutschsprachigen Raum. So mag es zwar die erste umfassende Werkschau in Europa sein, es ist aber nicht ihre erste Ausstellung hier, Paris (Fondation Cartier, 2013) und Genf (Musée d’ethnographie, 2016) gingen voraus, das MoMa schon in einer Gemeinschaftsausstellung 2010.

Thierry Chervel vom Perlentaucher hatte es beim Relaunch 2014 beklagt: Die Zeitungen blicken kaum noch über den nationalen Tellerrand hinaus. Es wird immer wichtiger, aktiv sich umzuschauen, um neue Anregungen zu finden. Die Echokammer, die die Presse konstruiert, wird immer kleiner, immer enger. Durch die zunehmende Kommerzialisierung wird das von den Blogs kaum aufgefangen. Aber die Museen können dazu ein wirksames Korrektiv bilden.

Claudia Andujar. Morgen darf nicht gestern sein. MMK Museum für Moderne Kunst Frankfurt am Main. Katalog im Kerber Verlag, 25 Euro, im Buchhandel 28 Euro. Ein Kurzführer ist für Besucher kostenlos. Bis 25. Juni 2017.

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„In die dritte Dimension. Raumkonzepte auf Papier vom Bauhaus bis zur Gegenwart“ im Städel Museum, Frankfurt am Main

Die Beschäftigung mit der Leere zieht sich bei den Frankfurtern schon etwas länger hin. Schon in der Giacometti-Nauman-Ausstellung in der Schirn zur letzten Jahreswende tauchte Heidegger auf, der in seinem Essay Die Kunst und der Raum geschrieben hatte: Die Leere ist nicht nichts. Sie ist auch kein Mangel.

Diesen Faden nimmt das Städel Museum nun auf und zeigt in sieben Räumen wie dreizehn Künstler mit dem Raum umgegangen sind – vom Blatt zur Skulptur, vom Blatt als Skulptur oder vom Raum an sich.

Die abstrakten Werke beginnen beim Bauhaus mit El Lissitzky und László Moholy-Nagy und enden als Höhepunkt bei eben jenem Heidegger und Chillidas Collagen, die tatsächlich eine hohe Meisterschaft zu dem Thema zeigen. Wer zum Schluß den raunenden Vortrag des Meisterdenkers zu alledem hören möchte, kann sich den Kopfhörer aufsetzen und der alten Schallplatte rund zwanzig Minuten lang lauschen.

Heideggers Essay liefert die Vorlage für eine Meditation über die Differenz zwischen dem Raum im naturwissenschaftlich-mathematischen Sinne und dem Raum in der Kunst. Der Raum ist immer ein wahrgenommener und damit auch ein konstruierter Raum, der als eine grundlegende Kategorie allem zugrundeliegt, was man denken kann. Die sparsamen Linienzüge, die Norbert Kricke auf Papier zeichnete, werden ohne weiteres als räumlich gesehen. Die dicken schwarzen Linien auf braunem Karton kreuzen sich nicht einfach nur, sie suggerieren Räumlichkeit, obwohl es dafür sonst keinen Anhalt gibt.

Das gilt auch für die Faltungen von Hermann Glöckner, der große Papierbögen mehrmals knickte und die Flächen, die dabei entstanden, mit Farbe gleichmäßig bestrich. Das Papier ist nicht ganz flach, es hat Vor- und Rückseite, es hat eine Dicke, es hat also schon auch eine dritte Dimension. Das Material wird ebenso zum Raum wie die Leere, die selbst ein Material und damit voller Leben ist.

Wer sich weiter mit dem Raum in der Kunst beschäftigen möchte, möge seinen Rundgang im Museum für Kommunikation fortsetzen, wo noch bis zum 23. Juli 2017 der Goldene Schnitt untersucht wird.

In die dritte Dimension. Raumkonzepte auf Papier vom Bauhaus bis zur Gegenwart. Städel Museum Frankfurt am Main. Kuratorin: Jenny Graser. Katalog im Museum: 9,90 Euro. Bis 14. Mai 2017.