Archiv der Kategorie: Grundsicherungsrecht

Ponader geht

Johannes Ponader hat eine Meldung von Spiegel online auf Nachfrage bestätig, daß er sich im übernächsten Monat nicht mehr für das Amt des politischen Geschäftsführers der Piratenpartei bewerben werde. Die innerparteilichen Querelen sind eine Sache. An denen wird er wahrscheinlich auch seinen Anteil gehabt haben, denn dazu gehören zwei, mindestens. Ebenso die völlig unfähige programmatische Arbeit der Partei im ganzen, die beispielsweise zu dieser unsäglichen Renten-FAQ geführt hat. Die öffentliche Figur Ponader und der Umgang mit ihm aber ist die andere Seite.

Johannes Ponader war der erste Politiker in einer herausgehobenen Position in Deutschland, der von Hartz-IV-Leistungen lebte. Und der Umgang mit ihm war dementsprechend. Fast keine Talkshow ohne Bezugnahme auf seine persönliche prekäre Lage. Dabei hätte es sich angeboten, anhand seines Beispiels über die Lage von Künstlern in Deutschland zu sprechen. Über politisches Engagement von hilfebedürftigen Menschen überhaupt. Aber auch das hätte seine politischen Wirkungsmöglichkeiten wiederum eingeschränkt – was auch nicht wünschenswert gewesen wäre. Dabei ist Ponader nicht allein. Vorher hatte auch die Linke in Hessen vor mehreren Jahren schon einen Bewerber um das Amt des Vorsitzenden, der von Hartz-IV-Leistungen lebte, gemobbt und dessen Wahl damit verhindert. Der Hartz-IV-Bezieher als Paria. Anscheinend geht es nicht anders.

Das wirft ein Licht auf die Diskriminierung von armen Menschen hierzulande. Und das am Tag der Bekanntgabe des „Armuts- und Reichtumsberichts“, der noch in der frisierten Fassung eine immer größere Schere zwischen Arm und Reich konstatiert und den FDP-Wirtschaftsminister Rösler in den Tagesthemen jubeln läßt: „Deutschland ging es nie so gut wie heute“. Ach, so ist das.

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„Ich habe keinen Fehler entdeckt“

Beim Stöbern auf SoundCloud stoße ich auf ein Interview, das von SWRinfo mit Wolfgang Clement vor vier Monaten geführt worden war. In seinen Worten kommt die ganze Kälte der Hartz-IV-SPD mit wünschenswerter Deutlichkeit zum Ausdruck. Auch wenn Clement die SPD mittlerweile verlassen hat: Er verkörpert weiterhin eine Seite dieser Partei, die sich auch in dem nunmehrigen Kanzlerkandidaten Peer Steinbrück wieder zeigt, dem ebenfalls das Verständnis für soziale Belange vollkommen fehlt. Neun Monate vor der nächsten Bundestagswahl lohnt es sich, ein Interview wie dieses zu hören. Es ist ganz sicherlich meinungsbildend, deshalb gebe ich es weiter.

Diesem Interview möchte ich die neueste Folge des Podcasts von Torsten Larbig auf Audioboo gegenüberstellen. Er kommt aufgrund von alltäglichen Beobachtungen zum Strukturwandel von der industriellen Gesellschaft hin zur digitalen Gesellschaft zu dem Ergebnis: „Im Augenblick wird eine neue Gesellschaft geschaffen, in der vieles neu verhandelt werden muß.“ Die Überlegungen, die er dabei anstellt, sind so differenziert ausgefallen, daß die Plattheit, die technokratische Kälte und der ganze Unverstand des obigen Politikersprechs offen hervortreten. Der Kontrast könnte nicht deutlicher sein. Ich leide unter diesem Kontrast, denn ich empfinde das Niveau solcher politischen Diskurse wie des clementschen als eine wahre Zumutung, die ich mir als Bürger verbitten möchte.

Ein wirkliches Interesse

„… Guido Westerwelle spricht mit seinem ‚Leistung muss sich wieder lohnen‘ also weder etwas Neues noch etwas Sinnvolles aus, sondern ruft ein Weltbild ab: Mein finanzielles Interesse in einem Nicht-Satz verpackt, der nur als Maske getragen werden kann, mit dem man in den öffentlichen und halb-öffentlichen Räumen kenntlich ist… ein wirkliches Interesse beispielsweise, das in einer demokratischen und sozialstaatlichen Öffentlichkeit nicht benannt werden darf…“ (aus: Markus Metz, Georg Seeßlen: Blödmaschinen. Die Fakrikation der Stupidität. Edition Suhrkamp, es 2609. Berlin 2011. Seite 13 f.)

„Wer privat vorgesorgt hat, der muss im Alter mehr Einkommen haben als die Grundsicherung und mehr als derjenige, der nicht vorgesorgt hat“ (aus: Kerstin Schwenn: Rentenkonzept. „Gut gemeint, aber nicht die Kompromisslösung“. In: Frankfurter Allgemeine Zeitung. 3. Oktober 2012.

Wohlgemerkt: Es geht bei dem zuletzt zitierten Satz – er soll von „14 jungen Abgeordneten“ von CDU und FDP stammen, was glaubhaft ist – darum, daß der Staat eine Benachteiligung von bereits Benachteiligten noch weiter verschärfen und für deren Alter zementieren soll. Wer nicht „vorgesorgt“ hat, ist nämlich in der Regel zu arm dazu. Er ist typischerweise so arm, daß er keine Ersparnisse für den Sankt-Nimmerleins-Tag bilden kann, an dem er möglicherweise in Rente gehen würde, wenn er das dazu erforderliche Lebensalter erreichen täte und wenn er dementsprechende Ansprüche gegen einen Rentenversicherngsträger hätte. Man kann die Ansicht der „14 jungen Abgeordneten“ daher mit Fug und Recht als Diskriminierung bezeichnen, als ein „wirkliches Interesse“ der Reichen, die verstanden haben, daß es sich bei der Reichtumsverteilung um ein Nullsummenspiel handelt und die der Ansicht sind, daß sie immer noch nicht genug hätten. Als „ein wirkliches Interesse…, das in einer demokratischen und sozialstaatlichen Öffentlichkeit nicht benannt werden darf“, weil sonst jeder, der noch einigermaßen bei Verstand ist, weiterzudenken begänne und Schlüsse daraus zöge, die dieser weiteren Reichtumsanhäufung entgegenständen und sie beeinträchtigen könnten. Sie beeinträchtigen sollten. Sie verhindern und umkehren müssten.

Der Jahrestag

Die Bundesregierung begeht den zehnten Jahrestag der Bekanntmachung des Berichts der sogenannten Hartz-Kommission mit einem neuen Gesetzentwurf. Er wurde gestern im Bundeskabinett verabschiedet und hat zum Zweck, die Prozeßkostenhilfe und die Beratungshilfe für die Betroffenen einzuschränken. Bei „kleinen Streitwerten“, die für das Sozialrecht typisch sind, soll es keine Prozeßkostenhilfe mehr geben. Außerdem würden „die Freibeträge für Geringverdiener gesenkt und Ratenzahlungszeiträume“ für die Tilgung von Darlehen und die Stundung von Zahlungen verlängert.

Wer den RSS-Feed des Bundessozialgerichts mitliest, weiß, daß dort mittlerweile schwerpunktmäßig Hartz-IV-Verfahren bearbeitet werden. Man kennt auch die Erfolgsquote dieser Verfahren. Noch nie hat es im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland so einen großen Anteil erfolgreicher Verfahren gegeben wie hier. Das Sozialrecht und die Sozialgerichtsbarkeit sind seit den Reformen durch Rot-grün nicht mehr wiederzuerkennen. Der Pressesprecher der Bundesregierung erklärt dagegen angesichts der Aktenberge in den Sozialgerichten, es gehe darum, durch die Erschwerung des Zugangs zum Rechtsweg den „Missbrauch staatlicher Hilfeleistungen zu verhindern“.

Was da im einzelnen geplant worden ist, wissen wir bisher offenbar noch nicht, denn es spielt sich unter Ausschluß der Öffentlichkeit in Kabinetten und sonstigen geschlossenen Gremien ab, nur wenige Zeitungen schreiben darüber, und auch das nur sporadisch. Die Sozialverbände waren jedenfalls unisono dagegen, liest man, aber ihre Kritik sei in keinem Fall in den Gesetzentwurf eingeflossen. Man habe sie einfach nicht beachtet, sagte der Referatsleiter für Sozialrecht beim DGB-Bundesvorstand Robert Nazarek gegenüber dem Neuen Deutschland.

Die beeindruckend lange Liste der „für nichtig oder verfassungswidrig erklärten Bundesgesetze“ wird wohl noch länger werden, denn wenn ein typisierendes Gesetz bei der Festlegung von Bagatellbeträgen oder Einkommensgrenzen genau so zugeschnitten wird, daß es typischerweise zu Härten führt, weil dadurch der Zugang zu den Gerichten für belastende Maßnahmen der staatlichen Gewalt, die existenzsichernder Art sind, unmöglich gemacht werden soll, dann ist das ein ziemlich klarer Verstoß gegen Artt. 19 IV, 3 I, 1 I GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes. Erst schafft man ein Gesetz, gegen das der Bürger klagen muß, wenn er überhaupt noch Leistungen erhalten will, und dann entzieht man dem mittellosen Bürger noch die wirtschaftliche Möglichkeit, sich kompetent gegenüber der staatlichen Gewalt, die seine Rechte nicht angemessen würdigt, vertreten zu lassen. Das Ziel, gerade hier Kosten zu sparen, ist dabei besonders verwerflich, denn dazu stände dem Gesetzgeber ein einfacherer und leichterer Weg zur Verfügung, indem er nämlich praktikablere Regelungen schüfe und vor allem auch geeigneteres Personal einstellte, so daß es von vornherein gar nicht notwendig wäre, über Fehler der Verwaltung zu streiten und Rechtsrat bei einer unabhängigen Beratungsstelle wie etwa einem Rechtsanwalt einzuholen.

Das weitere Gesetzgebungsverfahren ist zu beobachten. Nächstes Jahr sind Bundestagswahlen.

Henry Moore

Unter den wenigen Werken, die die Kunsthalle Mannheim während der Sanierung noch zeigt, hat mich Henry Moores Krieger mit Schild in meiner Traurigkeit bei weitem am meisten angerührt. Der verwundete, zum Torso reduzierte Mann, der da lebensgroß vor mir saß. In der sich selbst schützenden Haltung erstarrt, führt er längst schon einen ganz anderen Kampf gegen einen unsichtbaren Gegner, dem er sich nicht zuwendet, vielmehr schaut er mich an, dabei kraftvoll, trotz des enormen Verlusts, sein ihm verbliebener rechter Arm hält den Schild und läßt keine weitere Verletzung zu. Sein früheres Leben ist noch ahnbar. Was ihm geblieben ist, ist vor allem sein großer, mächtiger Körper, der sich zwar neigt, dabei aber aufrecht bleibt. Er leidet stolz, trotz seines Untergangs, er bleibt auch in dieser Lage männlich, ohne tumb zu wirken. Die Gefahr droht von allen Seiten. Vereinnahmt mich nicht, ich sorge für mich zuerst, wie es mir jetzt geht. Ein anrührendes Pathos, das man, wie ich meine, aus dem ursprünglichen historischen Kontext lösen und neu verstehen kann. Es ist eine Skulptur, die heute durchaus für die vielen Ausgeschlossenen stehen kann, denen nur verbleibt, sich zu schützen und vor dem noch Schlimmeren zu schützen, weil ein Weitergehen nicht mehr absehbar ist, alle Wege verschlossen oder für sie ungangbar geworden sind. So halten sie sich den Schild schützend vor die Brust und schauen, sitzend, aus leeren Augen in die Ferne. Wohin.

MedienMittwoch in Frankfurt: „Zukunftsfähige Arbeitswelten – Diskutiert unter den Bedingungen von Globalisierung, Finanzkrise und Klimawandel“

Er habe gemeinsam mit zwei ehemaligen Kommilitonen eine Firma gegründet, erzählte mir etwas aufdringlich der junge Mann, der gerade den freien Platz neben meinem erobert hatte. Auf Nachfrage: Davor habe er die Deutsche Bank in Marketing-Fragen „beraten“, jetzt verkauften sie Ausschreibungen für Online-Stellenportale an Arbeitgeber. Wie er denn auf die Veranstaltung aufmerksam geworden sei? Er sei „neu in der Stadt“, und „richtige Frankfurter“ hätten ihm geraten, sich hier schnell „zu vernetzen“, deshalb sei er heute abend gekommen. Ob er die Ausstellung schon besucht habe, in deren Begleitprogramm die Veranstaltung stattfinde? – Welche Ausstellung? Nein, er komme heute zum ersten Mal zum MedienMittwoch. Die Ausstellung beschäftigt sich mit dem „Sinn menschlicher Arbeit“, und das war ja genau das, wovon er gerade erzählt hatte. Was ich denn so mache? Ich erzähle ihm von mehr idealistischen Aufgaben, die einen großen Stellenwert für mich haben. Mein Sitznachbar verstummt und rückt bald einen Platz weiter nach links. Das Publikum hat sich brav Namensschildchen geholt, was mir ganz entgangen war. Ich werde meinem Schildchen nicht hinterherrennen – es ist auch entbehrlich gewesen.

Eine etwas fremd anmutende Szene um mich her. Überwiegend Betriebswirte, wie mir scheint, und sie stellen sich auch in der Diskussion ganz stolz genau so vor. Sie möchten etwas „als Betriebswirte“ erfragen oder sie bitten als solche das Panel um Auskunft. Da vorne sitzen auf bequemen Sesseln – man beginnt mit akademischem Viertel – ein „Coach“ („Hast Du Probleme, geh zum Coach!“), ein „Zukunftsforscher“ aus dem Zukunftsinstitut von Matthias Horx, dessen Name mir gerade entfallen ist, ein Wirtschaftsprüfer, der sich auch für die bessere Architektur interessiert, und ein Banker, den man vielleicht besser einen Bankier nennen sollte. Dunkle Anzüge, die Krawatten sind zuhause geblieben, wirkt irgendwie grün, und dann doch wieder nicht. Drei von vieren stellen sich dann ebenfalls als Betriebswirte vor und erklären, ihre Ausbildung präge ihre Sicht der Dinge. Ich schaue zum ersten Mal auf meine Uhr an diesem Abend.

Dann gibt jeder der vier Herren einen Impuls. Wenn man diese kleinen Powerpoint-Shows sieht, bemerkt man, warum Lawrence Lessigs Vorträge so kunstvoll sind. Der Zukunftsforscher bot den bei weitem beschränktesten Ausblick auf die Arbeitswelt, den man sich überhaupt vorstellen könnte. Alles Angenehme und Menschliche hat bei ihm nur den einen Zweck, die Arbeitsproduktivität noch weiter zu erhöhen. Kaffeetrinken nennt er „Socialising“. Und damit ist sein Beitrag an diesem Abend auch schon vollständig beschrieben. Der Wirtschaftsprüfer Peter Wesner beschrieb den weitesten Horizont, indem er als einziger auch die gesellschaftlichen Aspekte von Arbeitslosigkeit und die sozialpolitische Reformdiskussion von Anfang an mit einbezieht, dabei gleichzeitig aber sich dagegen verwahrt, als allzu links abgestempelt zu werden. Wer das täte, täte ihm wahrscheinlich tatsächlich Unrecht, er ist einfach ein aufgeklärter und kluger Kopf. Und der Bankier in der Runde, Norbert Schenzle, hatte gerade eine Genossenschaftsbank gegründet, in der er „konservative Werte modern leben“ möchte. Bei seinem schwäbischen Akzent glaubt man ihm das auch. Er möchte eine solide Bank für den Mittelstand bieten als eine Alternative zu den Casino-Banken, die die Finanzkrise herbeigeführt hatten, „auch wenn manche von Ihnen darüber lächeln mögen“.

Der Abend lebte ganz von den Beiträgen Peter Wesners, der anmerkte, daß eine Gesellschaft die Dauerangst der Arbeitslosigkeit sehr wahrscheinlich nicht aushalten könne und daß es ein großer Fehler sei, Arbeitslose als solche abzustempeln und in die politisch gewollte Armutsfalle namens Hartz IV zu verbannen. Sehr bald fiel denn auch der Begriff des bedingungslosen Grundeinkommens, der sowohl von den anderen Diskutanten als auch vom Publikum erstaunlich offen aufgenommen wurde, niemand wehrte sich merklich dagegen. Wahrscheinlich hat man sich damit abgefunden, daß die Underperformer, „die wir nicht mehr lebenslang einstellen können“, sowieso mit durchzuschleifen sind. Es gebe eine Diskrepanz zwischen der Erkenntnis von Problemen und der Umsetzung von Lösungen. Niemand traue sich hierzulande, kleine Schritte anzugehen, solange nicht abzusehen sei, daß sie sicher zu einem bestimmten Erfolg führen könnten. Am Ende eine Prophezeihung: Nach der Bundestagswahl 2013 werde es krachen. Auf Nachfrage einer Teilnehmerin im Publikum: Es werde sehr wahrscheinlich wieder eine Währungsreform geben mit einer sehr schlimmen Inflation, denn die Schuldtitel und die Geldmenge, die derzeit im Umlauf seien, machten etwa das Dreißigfache von dem aus, was an Werten in der Realwirtschaft vorhanden ist. Deshalb sei diese Folge unausweichlich. Applaus.

Die Wirtschaftsjournalistin, mit der ich mich beim Hinausgehen unterhalte, ist enttäuscht vom Verlauf des Abends und vom Geschwätz der Nieten in Nadelstreifen auf dem Podium. Ich hatte nichts anderes erwartet. Wesner war gut, wir sind uns einig, aber auch für ihn war die Frauenförderung kein Zweck an sich, sondern nur ein Ausdruck von betriebs- und volkswirtschaftlicher Effizienz: Wenn man Frauen nicht einstelle, würde ja etwa die Hälfte dessen, was volkswirtschaftlich für die Schul- und Universitätsbildung ausgegeben werde, verschwendet, das sollte man sich doch noch einmal überlegen.

Applaus.

Die Teilnehmerin, die sich zum Klimawandel äußern sollte, war kurzfristig erkrankt und mußte absagen, deshalb konnte zu diesem Punkt keiner etwas beitragen.

Man lächelt.

Die Aufzeichnungen der Diskussionen des MedienMittochs werden in der eigenen Mediathek gesammelt.