Archiv der Kategorie: Leseempfehlung

Die Freitag Community revisited

Meine Erfahrungen als Autor der Freitag Community hatte ich seinerzeit auf der schneeschmelze verarbeitet. Der letzte Beitrag dort scheint von 2012 zu datieren. Verdammt lang her.

Wie sieht es dort heute aus? Die Community ist nur noch ein Schatten ihrer selbst, der inhaltliche Niedergang des crowdgesourcten Contents hat sich nach meinem Dafürhalten fortgesetzt, und Jakob Augstein erklärt in einem Interview gleichwohl ziemlich frei:

Die große Mehrheit unseres Netz-Inhalts stammt inzwischen aus der Community.

Obwohl in der Community also sehr viel weniger los ist als zu meiner Zeit (sie endete im November 2009), braucht man nur zum Füllen der Website mittlerweile keine Journalisten mehr. Man läßt zu einem großen Teil Freizeitblogger unbezahlt für sich schreiben. Und wenn man sie bezahlte, weil ihr Text in die Printausgabe übernommen wurde, honorierte man das mit 25 Euro, pauschal. Gilt das auch heute noch? Augstein ist trotz dieser Produktionsbedingungen der Ansicht, er verlege eine linke Zeitung.

Die Freitag Community sieht er als eine Ansammlung von Autoren, denen es leichter falle, Meinungsbeiträge zu schreiben als sachorientierte Texte. Darauf führt er seine Enttäuschung darüber zurück, daß es keinen Lokaljournalismus in der Freitag Community gegeben habe, was eine große Hoffnung bei deren Gründung gewesen sei.

Abgesehen davon, daß ich mich daran gar nicht erinnern kann, hatte ich als einer der wenigen, die damals über lokale Ereignisse geschrieben hatten, nicht den Eindruck, daß das auf Interesse stieß, weder bei der Community noch bei den Lesern noch bei der Zeitung. Meine Beiträge über kulturelle Veranstaltungen in Frankfurt wurden kaum gelesen, und die Redaktion flog sowieso die ganze Zeit in ihrem Raumschiff Berlin isoliert durch den weiten eher östlich orientierten Raum.

Auf die vielen ehemaligen Nutzer angesprochen, die die Freitag Community aufweist und deren Beiträge mittlerweile nicht mehr entfernt werden, auch wenn sie ihren Account dort schließen, raunt Augstein: Das ist ja ein atmender Organismus, ein normaler Prozess.

Man könnte auch sagen: Es ist ein langsames und stetes Ausbluten, ein Exodus der schreibenden Netizens, die immer weniger werden – nicht nur beim Freitag, sondern auch darüber hinaus im ganzen Web 2.0. Der Rückgang der Wikipedia-Autoren ist bekannt. Und für die Facebook-Nutzer ist das gerade wieder bestätigt worden: 30 Prozent weniger eigene Inhalte 2016 im Vergleich zum Vorjahr; merklich zurückgegangen sind aber auch die Likes pro Post, die Kommentare und das Sharing fremder Beiträge.

Der Erhalt von Texten ehemaliger Nutzer will diese übergreifenden Trends im Netz kaschieren. Beim Relaunch der Website des Freitags im Jahr 2012 löschte man noch die inaktiv gewordenen Blogs, so auch meines. Wenn man das heute machen wollte – was bliebe dann noch übrig? Dann doch lieber ein publizistisches Potemkinsches Dorf.

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Sich informieren V

Um eine Reihe von Beiträgen wieder aufzunehmen: Das sicherheitspolitik-blog, das am Frankfurter Lehrstuhl von Christopher Daase geschrieben wird, berichtet kompetent über jede Menge Fragen aus dem Politikfeld Internationale Beziehungen und Organisationen. Die Autoren sind Politologen des Lehrstuhls, teils Mitarbeiter der Hessischen Stiftung Friedens- und Konfliktforschung. Dort liest man unter anderem, daß Jihadisten „Kuriere mit USB-Sticks„ einsetzten, „die Daten von nicht ans Internet angeschlossenen Rechnern zu anderen nicht ans Internet angeschlossenen Rechnern transportieren.“ Soviel zum Thema Vorratsdatenspeicherung. Die Beiträge des Blogs werden auch auf dem Publikationsserver der UB Frankfurt eingestellt und sind daher z. B. über BASE zu finden.

Die Reihe wird fortgesetzt.

Les chroniques économiques de Thomas Piketty

Nachdem Ulrike Herrmann in der taz zu Anfang des Jahres schon einen Überblick über drei Digests vorgestellt hatte, die das voluminöse Werk des französischen Ökonomen lesbarer machen sollen, stellte sie in der gestrigen Literaturbeilage der taz zur Leipziger Buchmesse den neuen Piketty vor: „Die Schlacht um den Euro“ – 40 kurze Texte, die in der französischen Tageszeitung Libération erschienen sind und die die Zeitspanne von 2008 bis Januar 2015 umfassen, die der Beck-Verlag hinterhergeschoben habe, um erneut Kasse zu machen.

Schon etwas in die Jahre gekommen seien die Texte, das gebe der Autor selbst zu. Herrmann zufolge sei einerseits von dem Werk abzuraten, weil es in den unredigierten Beiträgen zu endlosen Wiederholungen komme. Andererseits sei das Buch aber wegen seiner anschaulichen Beispiele, etwa zum ganzen Ausmaß des deutschen Handelsbilanzüberschusses, doch lesenswert, meint sie. Die sich ansonsten aber von Piketty ein ganz anderes Buch noch wünscht, nämlich ein systematisches Buch, das die deutsche Debatte bereichern könnte, die bisher daran krankt, dass der neoliberale Mainstream dominiert und auswärtige Perspektiven konsequent ignoriert werden.

Na ja. Das wird sicherlich noch etwas auf sich warten lassen. Was aber die unredigierten Beiträge Pikettys angeht, so sind zumindest die neueren unter ihnen frei im Netz zu lesen als Les chroniques économiques de Thomas Piketty, derzeit von 2013 bis Januar 2015 bei Libération – wo man auch sonst immer wieder lesenswerte Texte findet. Man sieht: Auch Piketty ist ein Blogger.

(Wenn die Rezension von Ulrike Herrmann auf der Website der taz erscheint, verlinke ich sie.)

Hintergründiges zu Open Access

In zwei Beiträgen in meinem Feedreader wird die Diskussion über Open Access wieder aufgegriffen: Martin Ballaschk schreibt in den SciLogs über einen skurillen Vorgang aus der Welt der Wissenschaftsverlage: Das Haus Elsevier habe Ross Mounce zufolge einen Aufsatz, der ursprünglich bei Wiley unter einer CC-by-nc-nd-Lizenz als Open Access veröffentlicht wurde, über seine Plattform ScienceDirect verkauft (sic!). Man fragt sich, wie dieser dazu kam, dafür Geld auszugeben, und ich vermute, es steckte wohl ein Fehler im System dahinter, wenn man es so nennen möchte. Und die Aufgeregtheit, die hier inszeniert wird, wirkt auch gespielt.

Aber was für ein System ist das denn? Ballaschk weiß: Wissenschaftliche Verlage haben üblicherweise Gewinnmargen jenseits von 35% und zählen damit zu den profitabelsten Industrien, weit entfernt von der Pharma- oder Ölindustrie oder Apple. Elsevier und Wiley haben mit Sicherheit genug Geld, um etwa den reibungslosen Transfer von Lizenzen sicherzustellen, und zwar dauerhaft. Zur Not muss man dafür dann ein oder zwei Personen zusätzlich einstellen. … Dabei verspricht der internationale Trend zu Open Access eine Goldgrube für die Verlage zu werden. Die Autoren bezahlen meistens tausende Euro für jede Veröffentlichung, ein steter Strom an neuen Veröffentlichungen finanziert Kosten für Server, Layout, Software-Aktualisierungen und den Hausmeister. Der Inhalt der Arbeit selbst wurde über die Forschungsförderung bereits vom Steuerzahler finanziert, und Wissenschaftler übernehmen unentgeltlich Begutachtung, Fehlerkorrektur, Lektorat, Bildredaktion und Koordinationstätigkeiten.

Das mit der Goldgrube Open Access bestreitet wiederum Uwe Jochum, und zwar schon länger. Er meint, die Digitalisierung und Archivierung der Arbeiten sei teurer als bisher eingeschätzt, die Kosten würden dabei nur auf einen anderen Träger verschoben, nämlich auf den Betreiber des jeweiligen Servers, auf dem die Arbeit liegt. Das sei zumindest wenn die Arbeiten auf einem öffentlichen Server lägen nicht billiger als über die Verlage zu gehen. Darauf weist Günter K. Schlamp hin – der aber gleichzeitig einen Beitrag von Lambert Heller aus dem Jahr 2012 zitiert, in dem zehn echte Vorteile von Open Access genannt werden, die auch ich allesamt unterschreiben würde.

Schlamp erwähnt, verlinkt aber leider nicht die Kontroverse zwischen Matthias Spielkamp und Uwe Jochum, die sich vor sechs Jahren im immateriblog zutrug. Jochum focht auch damals schon mit dem Florett. Wiedergelesen, ein merkwürdiger Diskurs, der aber ebenfalls viel von den Hintergründen und den Emotionen zeigt, die bei dem Thema immer noch im Spiel sind.

Ausgelesen

Ich habe zuviele Bücher. Viel zuviele Bücher. Beim Durchsehen der Regale stoße ich auf „Netzkarte“ von Nadolny. Achtziger Jahre. Mit der Phantasie über die „Bäckerstochter von Jerxheim“. Nebenan steht mein Meyer, auch aus den Achtzigern. Jerxheim? J! Ich blättere, kreise das Stichwort ein. „Jesus Christus“ … „Jerusalem“. „Jerxheim“ fehlt aber. Was steht da noch so herum? „Risikogesellschaft“, natürlich. Und die „Firma Frankreich“ von Lothar Baier. Das meiste aus der Zeit habe ich schon fortgegeben. Entsorgt. Aus den Neunzigern ist noch mehr da. So merkt man, was einem tatsächlich etwas wert war, woran man heute noch zurückdenkt, denn das bleibt übrig. Eine Aus-Lese. Und sehr subjektiv. Und im übrigen gibt es Antiquariate. Und Bibliotheken, natürlich.