Der „Mittelhessen-Express“ der Deutschen Bahn, ein Zug, dessen Name entschieden zuviel Dynamik suggeriert, brachte mich in die Stadt, die sich zu beiden Seiten der Lahn erstaunlich hügelig hervorhebt innerhalb des weiten Landes, dessen Anblick von Feldern, von Feldern und von ganz viel Himmel geprägt ist. Die aus dem Norden entgegenkommenden Züge: Voll von Schnee, hier regnete es. Die Altstadt, die ich auf dem Heimweg zur Entspannung in Richtung Bahnhof im Nieselregen durchquerte, besteht in ihrem Kern vorwiegend aus der Universität, einschließlich einem burschenschaftlichen Gebäude mit bunt wehender Fahne im Vorgarten, das ich wegen der Farben spontan für ein italienisches Konsulat gehalten hätte, viel alte Bausubstanz. Wikivoyage hat Recht: „Living in this town is exercise.“ Aber auch eine Anzahl einladender kleiner Cafés sowie mehrere Buchhandlungen. Kopfsteinpflaster, hier möchte man nicht bei Eisregen unterwegs sein. Einige größere Schulen liegen am Stadtrand im Westen, zehn Minuten zu Fuß vom Haltepunkt Süd entfernt, in OpenStreetMap ist mein Ziel innerhalb eines ansonsten akribisch gemappten Stadtteils, erst seit gestern abend verzeichnet, ich habe es selbst nachgetragen, unmittelbar neben dem Gymnasium gelegen, wie konnte man das dort vergessen? Aus dem Raum, in dem wir uns trafen, ging der Blick auf das Schloß. In der Tat ein erhebender Anblick. Immerhin: Das Internet ist schon da.
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Very, very yesterday
Ein geglückter Übergang ist schwer zu finden. Mal ist er zu schnell, mal zu langsam, mal zu zögerlich, mal zu abrupt gewählt. Manche Übergänge sind unvermeidbar, manche gar schädlich, und von anderen wiederum möchte man besser ganz abraten.
Die Fahrt mit dem Zug von Frankfurt nach Nürnberg führt durch fränkische Weinberge hindurch, die sanft hügelig am Rande der Bahnstrecke stehen und dichter bepflanzt zu sein scheinen als die badischen Weinberge im Markgräflerland zwischen Freiburg und Müllheim, durch die ich vor etwa einem Jahr hindurchfuhr und an die sie mich entfernt erinnern.
Wer aus dem Rhein-Main-Gebiet nach Nürnberg kommt, bewegt sich in einem sehr umfassenden Sinn in die Vergangenheit. Die Innenstadt, in die man nach zwei Stunden hineinkatapultiert wird, zeigt sich mittelalterlich. Sie wurde zwar zum größten Teil durch alliierte Bombenangriffe während des zweiten Weltkriegs zerstört, man hat sie aber wieder aufgebaut, und, wie man hört, hätten sich gar manche Einheimischen darüber nicht nur geärgert. Der Krieg habe – als Ursache der auf ihn folgenden baulichen Rekonstruktion und Modernisierung – nicht nur schlechte Seiten gehabt, trotz allem. Allerdings das Festhalten am ganz Alten. Man pflegt dieses Faible, die Inkonsequenz, und es geht soweit, die Gebäude in der Innenstadt nur drei Stockwerke hoch zu bauen. Dadurch bleiben die Türme der zahlreichen Kirchen über den Dächern weithin sichtbar. Eine der Kirchengemeinden unterhalte übrigens Beziehungen nach Coventry, hörte man später.
Wer ein Café betreiben möchte, sollte das in Nürnberg tun. Selten habe ich eine Fußgängerzone mit so vielen Cafés gesehen, die allesamt gut besucht waren. Die Gastronomie übrigens sehr gut, freundlich und zuvorkommend. Überhaupt die Organisation.
Die braune Vergangenheit der Stadt ist gerade deshalb so gegenwärtig, weil sie aus dem Stadtbild verdrängt worden ist. Während es in Berlin eher zuviel des Gedenkens gab, ist es in Nürnberg eher zu wenig. Überraschend wenig.
Mitten in den Fußgängerzone am Josephsplatz gibt es eine Peep-Show. Sowas hat man lange nicht gesehn. Aber hierhin paßt es. Very, very yesterday, wie die Portale der Kirchen, die alten Brunnen und das alt daherkommende Kopfsteinpflaster.
Aber der Sonnenuntergang entschädigt für alles. Auch wenn der Sommer nie so plötzlich zuende gegangen ist wie an diesem fränkischen Wochenende. In der Nacht von Freitag auf Samstag halbierte sich die Temperatur beinahe.
Der Rückweg geht langsamer vonstatten als erwartet, weil es am Fürther Hauptbahnhof zu einem Oberleitungsschaden gekommen ist, der den gesamten Bahnverkehr in Nord-Süd-Richtung behindert. Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.| Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.| Warum sehe ich den Radwechsel| Mit Ungeduld?
Zurück in der Gegenwart, hängt mir Nürnberg nach. Ich brauche länger für den Rück- als für den Hinweg. Auch dieser Übergang gestaltet sich schwierig – das Leitmotiv der drei Tage –, und der Bruch, der damit verbunden war, macht mich auch ein bißchen traurig.
Protest in Neu-Isenburg gegen die „AG Wohlfahrt“ des Kreises Offenbach
Am Samstagmittag aßen wir im Tierra Verde in der Neu-Isenburger Bahnhofstraße ausgesprochen freundlich bewirtet an einem Tisch mit unmittelbarem Blick zur Fußgängerzone gut zu Mittag, als auf der Frankfurter Straße Fahrzeuge der Polizei mit Blaulicht vorfuhren: Zuerst mehrere Transporter und Mannschaftswagen, dann kamen Beamte in leichter Schutzkleidung und mit Schlagstöcken versehen zu Fuß vorbei, kurz darauf mehrere Polizisten auf Motorrädern, als würde gleich etwas Größeres passieren. Wenige Minuten später kam ein Demonstrationszug des Wegs. Die Sprechchöre verstanden wir leider nicht, und die Transparente waren auch zum größten Teil nicht zu lesen. Es wurden aber Handzettel verteilt, und ein Teilnehmer kam auch ins Restaurant herein und bot uns freundlich ein Blatt an.
Wir sahen den „antirassistischen Stadtspaziergang“ der örtlichen Antifa. Aus dem Flugblatt, das wir erhielten, ging hervor, daß sich der Protest gegen die sogenannte „AG Wohlfahrt“ des Kreises Offenbach und der Polizei richtete, die schon seit längerem von sich reden macht. Eine Internetrecherche, die ich eben durchgeführt habe, ergab, daß in dieser bundesweit einmaligen „AG“ Sozialbehörden des Kreises und die Polizei bei dem Versuch zusammenarbeiten, Ausländer, die Sozialleistungen zu Unrecht beantragen, zu ermitteln und dann abzuschieben. 2006 berichtete sogar der ferne „Tagesspiegel“ kritisch über die Anfänge dieser Arbeit. Die Ergebnisse wurden damals in einer Pressekonferenz vorgestellt. Die Kosten der Ermittlungsgruppe sind sehr hoch, und die dabei verfolgten Ziele sind vom politischen Gegner aus ganz grundsätzlichen Erwägungen heraus kritisiert worden. Die Grünen und die Linke fordern, diese „Arbeitsgruppe“ aufzulösen. Nachdenklich macht, daß die NPD die Einrichtung der „AG“ gelobt habe. Die Demonstranten wiesen in ihrem Flugblatt darauf hin, der Nachfolger von Landrat Peter Walter, Oliver Quilling (beide CDU), solle die diesbezüglichen „Fehler“ seines Vorgängers „nicht wiederholen“. Man gehe „rassistisch, brutal und menschverachtend“ gegen Flüchtlinge vor und schüre dabei die „negative Grundstimmung“ gegenüber Ausländern und Asylbewerbern.
Die Demonstration verfolgte meines Erachtens ein unterstützenswertes Anliegen, und das Engagement, das darin zum Ausdruck kommt, finde ich sehr lobenswert. Umso mehr wunderten wir uns über den völlig überdimensioniert wirkenden Polizeieinsatz, der über die zu dieser Zeit recht stille Neu-Isenburger Innenstadt hereinkam. Die eigentliche Demonstration bestand aus etwa 40, allerhöchstens 50 Personen, ganz überwiegend junge Leute aus dem gesellschaftskritischen Spektrum, dem Auftreten nach wahrscheinlich Gymnasiasten. Ich sah eine junge Frau mit handbemalter Armbinde mit der Aufschrift „Ordner“. Man war insgesamt locker zugange und guter Dinge. Dem Zug folgten zwei Männer, denen man sehr deutlich ansah, daß sie Beamte in Zivil waren. Noch am späten Nachmittag stand am Bahnhof ein Streifenwagen mit zwei Insassen und beobachtete die leere Szene.
Die Wikipedia hat heute abend über sich selbst diskutiert
Zur Aufregung der deutschsprachigen Blogosphäre über die ganz normale Löschpraxis in der deutschsprachigen Wikipedia hatte ich schon etwas geschrieben. Worum es dabei geht, ist nicht neu, sondern seit vielen Jahren gängige Praxis, und die ganze Erregung ist deshalb vor allem ein Hinweis auf eine nachholende kritische Auseinandersetzung mit der Wikipedia als Quelle und Medium. Mit der Wikipedia als sozialem Projekt, als „Bewegung“ beschäftigten sich bisher vor allem eine Illustrierte wie der „Stern“ und wenige Autoren wie Günter Schuler 2007 in seinem Buch „Wikipedia inside“, in dem er auch viele Wikipedia-Promis vorstellte. Auch manches, was online abläuft, ist eben nur zu verstehen, wenn man sich die gruppendynamischen Prozesse anschaut, auf denen das für alle sichtbare Ergebnis beruht. So ist die Wucht, mit der die derzeit stattfindende Diskussion abläuft, wahrscheinlich vor allem mit einer sehr weitgehenden unkritischen und emotionalen Identifikation der Netzgemeinde mit dem Wikipedia-Projekt zu erklären.
Heute abend fand zu alledem nun eine Diskussion statt, die von Wikimedia Deutschland veranstaltet wurde, dem Verein hinter der Wikipedia, der die Infrastruktur trägt und der dem ganzen virtuellen Projekt ein reales organisatorisches Fundament gibt. Und über diese Veranstaltung habe ich mich denn doch ziemlich gewundert, weil sie weder dem Anlaß noch dem Selbstverständnis des Wikipedia-Projekts gerecht wurde.
Zunächst fand ich erstaunlich, daß man sich „in der großen Stadt Berlin“ (Erich Kästner) an einem so kleinen und beengten Ort traf: „Das Setting der Wikipedia-Diskussion ist indiskutabel. Hälfte der ‚Teilnehmer‘ ist im Raum nebenan“, schrieb Frank Rieger dazu. Provinziell. Es wurden nur 42 Teilnehmer eingelassen (sic!). Zu Wort kamen vor allem die Diskutanten, die die bereits bekannten Thesen aus ihren Blogbeiträgen wiederholten. Man blieb auffällig unter sich in der Welt des „freien Wissens“. Und die technische Qualität des Video-Livestreams war leider unter aller Kritik. Ohne Kopfhörer war der Ton nicht zu verstehen, weil er viel zu leise ankam. Fefe, der das alles mit angestoßen hatte, aber nicht eingeladen worden war, hat darüber schon sehr schön live und aus der Ferne gebloggt. Anne Roths Statement war für mich noch das originellste. Sie verglich die deutschsprachige Wikipedia mit Indymedia, wo das Mitmach-Web unter anderem mal begonnen hatte. Man kann die Gegenöffentlichkeits-Plattform Indymedia natürlich nicht so ohne weiteres mit der doch sehr mainstreamigen Wikipedia vergleichen, die sich bei ihren Inhalten bekanntlich maßgeblich am sogenannten „neutral point of view“ orientiert. Aber die soziale Komponente sei vergleichbar, meinte Anne Roth. Immer mehr Mitarbeiter strichen die Segel; dadurch steige die Belastung der verbleibenden Admins; die Stimmung im Projekt spanne sich an; normale Nutzer würden vergrault; der Bürokratismus nehme weiter zu; wodurch wiederum mehr Regulars das Handtuch würfen; usw., usf. Been there, seen that.
Indymedia spielt mittlerweile keine große Rolle mehr.
Auch in der Freitag Community, 5. November 2009.
Bücher in die Bibliotheken!
Wilfried F. Schoeller hatte für den deutschen PEN erklärt, wenn 80 Prozent der Bücher, die Google digitalisiert habe, in den Bibliotheken nicht mehr greifbar seien, so sei dies „eine Mangelerscheinung, die auf die Bibliotheken zurückfällt. Daraus kann man nicht ableiten, dass sie nun ins Internet gestellt werden sollen und die Urheber dafür nur Peanuts bekommen.“ Dazu schrieb ich am 22. April 2009 in einer privaten E-Mail (bisher unveröffentlicht):
Schoeller hat Recht. Wenn ich bedenke, wie viele Bücher ich in den letzten Jahren bei unserer Stadtbücherei, pardon: seit ein paar Jahren „-bibliothek“, schon auf dem Flohmarkt wohlfeil gekauft habe oder hätte kaufen können, die nicht in neuer Auflage wiederbeschafft worden sind, kann man den ständigen Verlust an Kulturgütern erahnen (u.a. Arno Schmidt – Zürcher Kassette, Ror Wolf & Robert Walser & Musil – Werkausgaben, Brecht in der es, Gedichtbände von Enzensberger, Reiner Kunze (Erstausgaben), teils mit Widmung d. Autors, Ernst Bloch, Mitscherlich usw. usf.). 😦
Aber die 1000 coolsten Steuertips von Konz und Co. sind selbstverständlich mehrfach im Bestand vorhanden und werden laufend aktualisiert.
Literaturkritischer Nachmittag in Neu-Isenburg
Zum Tag der Bibliotheken war heute nachmittag der Literaturkritiker Denis Scheck in die Neu-Isenburger Stadtbibliothek gekommen, und da kann ich noch so verschnupft sein: Wenn eine Woche nach der Buchmesse ein literarischer Event zehn Minuten von meiner Wohnung entfernt stattfindet, gehe ich natürlich hin.
Zwei Nachbarinnen waren schon dort, als ich in der Bibliothek eintraf, so saßen wir gemeinsam nebeneinander im Publikum. Denis Scheck war gekommen, um eine „Orientierung im Bücherdschungel“ zu geben und um „druckfrische Bücher“ vorzustellen, hieß es in der Einladung zur Veranstaltung, die sich schon in der Vorstellung des Gastes durch den städtischen Kulturdezernenten sehr schön provinziell gab. Scheck kam aus der weiten Welt zu uns in den engen Raum herein. Er habe an ausländischen Universitäten studiert, bei denen der Vorredner sich schwertut, sie einigermaßen richtig auszusprechen in der gedämpften Stimmung, die heute hier am verregneten Samstagnachmittag herrscht.
Scheck erzählte, mit pinkfarbener Krawatte und dazu passendem Einstecktuch gewandet, routiniert und locker ins Mikrophon, und er wirkte auf mich – trotz oder gerade wegen der Photographen von der lokalen Presse – vielleicht auch ein wenig erschöpft nach dem großen alljährlichen Klassentreffen in den Frankfurter Messehallen. Verteilt wurde zur Einführung ein Papier, das doppelseitig nicht weniger als 45 Autoren mit neu erschienenen oder sonst aus Sicht des Kritikers empfehlenswerten Titeln ausweist, von Harry Rowohlts Bären Pu über Max Goldt und Sibylle Berg bis hin zur neuen Anna-Karenina-Übersetzung von Rosemarie Tietze zum Tolstoi-Jahr.
Ausführlich erzählte und las Scheck aus David Foster Wallaces Essay „Schrecklich amüsant, aber in Zukunft ohne mich“. Aufgepaßt, an Wallace könne man beobachten, wie ein Autor nun nach seinem Tod mit allen Mitteln der Kritikerzunft zum Heiligen gemacht werden könne. Ein Selbstläufer war auch seine geschliffene Rede zu Alan Bennetts „Souveräner Leserin“, die natürlich nichts bahnbrechend Neues mehr aufs Tapet bringen konnte, sich aber immerhin eignete, um einmal einen Anfang mit dem Kritikernachmittag zu machen. Wirklich empfehlenswert schien ihm Kerstin Ekmanns „Hundeherz“ zu sein, ein Buch, so sachlich, als habe Kafka über Hunde geschrieben. Und überhaupt: Sheik Mohammed al Maktoums Gedichte „In der Wüste findet nur der Kluge den Weg“ seien ein Beispiel dafür, daß man nicht arm und sozial randständig sein müsse, um gute Lyrik schreiben zu können – was er gegen Ende mit Bezug auf die Lage in Deutschland dann aber wieder ganz anders beurteilt, wenn er meint, die nächste Schriftstellergeneration werde von den Migranten geprägt sein. Ja, was denn nun?
Zu Kathrin Schmidts buchpreisprämiertem Werk „Du stirbst nicht“ sprach er erst auf Nachfrage. Der Preis sei gerechtfertigt gewesen, die Jury habe es nach der Verleihung des Nobelpreises für die gleichermaßen nominierte Herta Müller eben schwer gehabt. Das Buch habe den Preis aber verdientermaßen erhalten. Ruthard Stäblein hatte das am Abend der Preisverleihung zwar anders gesehen, als er auf Deutschlandradio Kultur meinte, der Makel, statt Müllers „Atemschaukel“ ausgezeichnet worden zu sein, werde Schmidts Buch nun anhängen, und die Prämierung gehe überhaupt vorwiegend darauf zurück, daß das Jurymitglied Iris Radisch schon im Vorfeld in einer Kritik in der „Zeit“ zu erkennen gegeben habe, daß sie Müllers zeitgeschichtlichen Text ablehne, und sich dem absehbar bereits zwei weitere Juroren (Winkels und Lüdtke) angeschlossen hätten, weil sie weiter bei Radisch publizieren wollten, so daß – Suhrkamp war letztes Jahr schon dran und Fischer im Jahr davor – diesmal KiWi zum Zuge kam. Aber sei’s drum. Auf alle Fälle empfehlenswert nämlich sei, so Scheck, das Hörbuch „Die Nacht ist aus Tinte gemacht“, in dem Müller über ihre Kindheit im Banat erzähle.
Kein Vortrag Denis Schecks, natürlich, ohne einen Schlenker zu seinem Liebligsschriftsteller Arno Schmidt. Der habe einmal vorgerechnet, wie viele Bücher man bei wohlwollendster Schätzung in einem Leben überhaupt lesen könne, falls nichts dazwischenkomme. Die Zahl ist verschwindend gering. Trotzdem fragt man sich, wie Scheck, der bekanntlich als Redakteur für Literatur beim Deutschlandfunk arbeitet und der, auch nach eigenem Erzählen, ständig unterwegs ist, das ernorme Lesepensum bewältigen mag, von Thomas Pynchon über Roberto Bolaño bis hin zu Robert Gernhardt und – um noch einen Bestseller zu nennen, den er in seiner Fernsehsendung wohl in den Mülleimer geworfen hätte – die Erinnerungen des Fußball-Torwarts Oliver Kahn, der auf Seite 168 seines Buches erklärt habe, die Trennung von seiner Frau habe „nichts mit ihrer Person zu tun“ gehabt, was ein klares Zeichen dafür sei, daß Kahn den Text nicht selbst geschrieben habe. Wer weiß.
Obwohl er im Fernsehen und auch im Radio sehr viel pointierter und frischer produziert wird, als er heute rüberkam, hat mich der Nachmittag bei Scheck nicht enttäuscht, denn mehr hatte ich mir nicht erwartet, und nach einer durchwachten Schnupfennacht hätte mich viel mehr Aktion auf der Bühne auch eher angestrengt und zum Abwenden gebracht. Dazu kam es nicht. Aber es war eben auch ein Vortrag, nach dessen Ende ich mich problemlos auf den Heimweg machen konnte und auch wollte.
Gleichzeitig veröffentlicht am 24. Oktober 2009 in der Freitag Community.