Archiv der Kategorie: Sich informieren

Relaunch von sozialgerichtsbarkeit.de

Harald Thomé weist in seinem letzten Newsletter auf den Relaunch der Website sozialgerichtsbarkeit.de hin. Hinter dem Suchformular verbirgt sich ein veritabler Klassiker unter den freien Rechtsportalen, nämlich die Volltexte vieler sozialgerichtlicher Entscheidungen, auch von Instanzgerichten, zurückgehend bis zum Beginn des Internetzeitalters und darüber hinaus, teilweise bis in die 1980er Jahre. Beschlüsse und Urteile von Sozialgerichten aller Bundesländer und aller Instanzen unter einer Oberfläche recherchierbar – im Gegensatz zu den nach Ländern zersplitterten Rechtsprechungsdatenbanken. Ein Zugang zur gesamten sozialrechtlichen Rechtsprechung, ein wichtiges Stück Rechtsgeschichte.

Leider ist die neue Version nur noch nach Stichworten durchsuchbar, früher ging da mehr, es gab eine erweiterte Suche und leistungsfähige Filter, die Sortierreihenfolge entzieht sich meiner Einschätzung und es ist definitiv Luft nach oben, es gab auch mal einen Download der Volltexte als PDF und XML, aber alles ist frei abrufbar, immerhin. Es ging wohl darum, die Inhalte nach dem Untergang der alten Website überhaupt zu retten und sie wieder online zu stellen. Geblieben ist immerhin ein Formular für die neuen Entscheidungen, in dem man auch nach Aktenzeichen und nach Rechtsgebieten suchen kann. Vielleicht tut sich da ja noch was, es wäre schön! Mag auch sein, dass mich meine Erinnerung trügt und mir die Vergangenheit allzu goldrandig erscheint…

Eine Initiative der Sozialgerichte, die viel zu wenig bekannt ist. Und die den Blick darauf lenkt, dass die Rechtsinformatik einst mit dem Arbeits- und Sozialrecht begann. Auch Juris wurde zunächst mit Inhalten aus diesen Rechtsgebieten aufgebaut. Bevor alles kommerzialisiert und verpaywallt wurde. Aber das ist eine andere Geschichte.

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Die rechte Buchmesse

In Halle 4.2 gab es gestern auf der Frankfurter Buchmesse üble Szenen: Auf einer Veranstaltung eines neurechten Verlags traten Vertreter von rechten Parteien und sonstigen Gruppierungen auf; Demonstranten störten die Veranstaltung, so dass diese abgebrochen wurde; und dann kam es nicht nur zu Wortgefechten und Spruchchören gegeneinander, sondern auch zu Handgreiflichkeiten. Die Polizei stellte sich zwischen die beiden Gruppen; es heißt aber auch, sie hätte sich geweigert, Strafanzeigen gegen rechte Gewalttäter aufzunehmen und deren Personalien aufzunehmen. Der Direktor der Buchmesse Jürgen Boos mitten in dem Trubel, auf einem Video auf Twitter war zu sehen, wie ihm ein Megaphon von dem Veranstalter des Podiums weggeschlagen wurde, so dass er nicht sprechen konnte.

Abends um 22 Uhr schob er gemeinsam mit dem Hauptgeschäftsführer des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels Alexander Skipis ein windelweiches Statement hinterher, man wende sich gegen jede Form von Gewalt, weil sie dem Austausch von politischen Positionen entgegenstehe.

Heute morgen gab es dazu vor allem drei Reaktionen:

Enno Park verglich die Pressemitteilung der Buchmesse auf Twitter mit den selbstentblößenden Aussagen, die gerade aus Amerika zu hören waren:

Wie Trump nach Charlottesville.

Der Deutschlandfunk-Büchermarkt-Redakteur Jan Drees bloggt und spricht einen Kommentar, der größtenteils aus einem Zitat aus einer Neuerscheinung zum Thema besteht, das endet:

„…Und irgendwann werdet ihr natürlich auch auf Nazis stoßen. Da könnt ihr gerne weggucken, eure Sache. Aber verkauft uns das dann bitte nicht als ‚deutsche Geschichte‘. Aus der kann man doch die Verbrechen der Deutschen nicht einfach abziehen wie einen unbequemen Bilanzposten.…“

Und Margarete Stokowski entwirft im taz-Buchmesseblog eine alternative Pressemitteilung, die sie gerne gelesen hätte:

„Die Frankfurter Buchmesse lebt von der Vielfalt der Meinungen und ist ein Ort des freien Dialogs. Das ist die unveränderliche Haltung der Frankfurter Buchmesse und des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels. Wir haben in der Vergangenheit und auch in diesem Jahr versucht, dieser Haltung zu entsprechen, in dem wir auch Aussteller der Neuen Rechten auf dem Messegelände zugelassen haben, und gehofft, damit einen freien Dialog zu befördern. Dies erscheint uns angesichts der aktuellen Lage nicht mehr aussichtsreich. Nun, da es auf mehreren Veranstaltungen von Verlagen der Neuen Rechten zu Handgreiflichkeiten kam, haben wir uns entschieden, ein klares Zeichen zu setzen. Wir werden in Zukunft keine Aussteller mehr zulassen, die dem Milieu der Neuen Rechten zuzurechnen sind. Die Frankfurter Buchmesse soll eine Veranstaltung sein, auf der Hass keinen Platz findet – auch im wörtlichen Sinne. Für Vielfalt einzustehen bedeutet nicht, allen Positionen Raum zu geben, auch wenn sie menschenfeindlich sind. Vielfalt muss vor denjenigen geschützt werden, die sie bedrohen. Hier auf dem Messegelände treffen 7.150 Aussteller aus 106 Ländern auf rund 278.000 Besucher und 10.000 akkreditierte Journalisten. Sie alle sollen sich sicher sein, dass die Frankfurter Buchmesse kein Ort für Rassismus und völkisches Denken ist, sondern ein Raum für freien Austausch. Wir wünschen allen Verletzten eine baldige Genesung und werden in Zukunft alles in unserer Macht Stehende tun, um gewalttätige Auseindersetzungen auf der Frankfurter Buchmesse zu vermeiden.“

Und wer hat gestern abend über all das direkt berichtet? Die Frankfurter Rundschau war vor Ort und der Hessische Rundfunk auch, beide brachten Beiträge mit mehreren Updates, gut recherchiert, denn hier wurde nachgefragt und nicht einfach nur alles mögliche von Twitter übernommen, was da so herumschwirrte. Der hr übernahm den Beitrag auch als Aufmacher auf dem Buchmesse-Portal der ARD. Bloß die Tagesschau berichtete nicht: In der 20-Uhr-Ausgabe, zwei Stunden nach dem Ereignis – kein Wort darüber. Und auch die in Bücherfragen sonst so rührige FAZ beließ es bei einer dpa-Meldung und ein paar Fotos aus dem Ticker. Deutschlandradio Kultur brachte eine eigene Meldung in den Kulturnachrichten.

Es gibt nicht viele Medien, wo samstagsabends noch ein Redakteur zu finden und auch willens ist, etwas über solche Einschnitte zu bringen. Man merkt aber auch, dass hier zwei Spielarten des Journalismus aufeinanderstoßen. Man kann über die Welt da draußen schreiben oder sich selbst zu einem bloßen Teil der Inszenierung eines Events machen. Es lohnt sich, auch insoweit wählerischer zu sein beim eigenen Medienkonsum. Und natürlich auch bei der Frage, wen man auf eine solche Messe einlädt und dort gewähren lässt.

Als flöge sie nach Haus

Der Sommer sorgt für Leere in meinem Feedreader. Je besser mir die Autoren bekannt sind, desto weniger schrieben sie jüngst. Und so geht es mir auch. Aber da ist noch mehr. Ich denke an Roger Willemsens Knacks: Wann wurde man nicht, was man hätte sein können? (2008, 25). Auf das Bloggen übertragen: Wann hörte man auf, wenn man auch hätte weiter bloggen können? Und, bezogen auf den Selbstmord von Kindern, fuhr Willemsen kurz darauf fort: als flögen sie nach haus, in Anspielung auf Eichendorff (27). Wo ist der Blogger zuhause? In seinem Blog? Freilich: Nicht einmal da.

Es hört aber nicht auf, sondern es ändert sich. Das Bloggen als tägliche Übung – eher nicht. Als allfälliger Zwischenruf – schon eher. Als ein Innehalten auf dem Weg nach haus – vielleicht. Als ein Schreiben, das neben anderen Formen des Schreibens steht – ganz sicher.

Mein Schreiben ist in den letzten Monaten wieder privater geworden. Es ist leiser geworden, auch konzentrierter. Und länger. Wie mein Lesen, das weggeht vom sogenannten Online-Journalismus, der so schnell produziert wird, daß er weitestgehend ohne Recherche auskommen muß, hin zu gründlicheren Texten. Ein Beispiel: Ich habe nichts Ausführlicheres und Lesenswerteres gefunden zum Thema Brexit als die Sonderausgabe des German Law Journal. Vierundzwanzig nachdenkliche Beiträge – lesen, wer es noch nicht kennt! Überhaupt der Reichtum an frei verfügbaren Texten aus Archiven und diversen Plattformen, die sich vom Alltagsrennen lösen, die den schnellen Atem nicht mögen, die zurück schauen und Halt geben, statt sich zu verzetteln. Auch das ein Ergebnis meines Nachdenkens darüber, wie man sich informieren sollte. Es gibt den Weizen, nicht nur die Spreu.

Ich schreibe wieder längere Texte, wie früher, und ich schreibe sie zuerst für mich. Vielleicht veröffentliche ich den einen oder den anderen einmal. Aber bis dahin muß er reifen, und das könnte er nicht, wenn er sofort ans Licht gezerrt würde, wie es beim Bloggen geschieht.

Erneut: Nichts gegen das Bloggen. Ich schreibe schon lange im Netz, und ich werde das auch weiter tun. Aber ich werde es weniger oft tun. Und es wird ganz sicher auch eine Form der persönlichen Selbstfindung und der -vergewisserung, wie ich die schneeschmelze immer verstanden habe und wie es auch für den albatros gilt. Selbstvergewisserung durch Notizen, durch Kundgabe an andere, durch Teilnahme am großen Diskurs in den Netzen, auch wenn die Stimme noch so klein sein mag, auch wenn sie noch so wenig gehört werden mag. Sie ist wie eine digitale Flaschenpost, die man in das große Meer wirft und die irgendwann irgendwer schon finden mag. So laßt uns denn eine Flaschenpost schreiben und versenden. Die Welt braucht sie – mehr als das Ephemere, das lieblos Dahingeschluderte.

Remote Access: Die Stadtbibliothek Darmstadt baut ab

Die Stadtbibliothek Darmstadt bietet KLG, KLfG und PressReader über Munzinger an; außerdem Genios, letzteres aber nur noch mit einer kleinen Auswahl an deutschsprachiger Presse; die Fachzeitschriften wurden vor einem halben Jahr schon fallengelassen, schrieb ich vor kurzem. Und stelle nun fest, daß die Süddeutsche Zeitung ziemlich leise aus dem Darmstädter Genios gestrichen worden ist. Dafür gibt es nun sehr viel Provinzpresse, also etwa die Osterländer Volkszeitung. Nichts gegen die Osterländer Volkszeitung, aber die Entwicklung ist doch enttäuschend. Es verbleiben für meine Interessen: Zeit, Spiegel, Frankfurter Rundschau, taz, NZZ und Der Standard. Nicht gerade wenig, aber es fing mal attraktiver an. Mit fehlt weiterhin die FAZ. Zumal der PressReader via Munzinger doch ziemlich umständlich zu bedienen ist, bei mir nur in Safari und Google Chrome funktioniert und offenbar auch keine Volltextsuche über alle Texte anbietet. Ebenso wie die E-Papers aus der Onleihe. Man muß sie einzeln herunterladen und kann nicht gezielt alle Beiträge zu einem bestimmten Thema ansehen. Sehr nachteilige Entwicklung für die Benutzer.

Sich informieren VII

Das Munzinger-Archiv bietet in den Länderinformationen eine Chronik, die ziemlich aktuell gehalten wird. Darin findet man die offiziösen Agenturmeldungen der Mainstream-Medien, konzentriert und sachlich zusammengefaßt. Man kann sie durchsuchen und sich beispielsweise nur die Meldungen für bestimmte Länder, bestimmte Themen oder für einen Zeitraum ausgeben lassen, bis zur Gegenwart. Das Ergebnis kann man über die Liste am rechten Seitenrand weiter filtern nach Datum, Ländern und Thema. Eine Alternative zu den „Online-Ausgaben“ der Zeitungen und zu den reinen Presse-Archiven.

Sich informieren VI

Zu den nachhaltigsten Informationsangeboten im Web zählen Presse- und Webschauen zu aktuellen Ereignissen, die das Augenmerk auf bestimmte Abläufe lenken. Transparency International erstellt täglich einen Newsletter, in dem die Daily Corruption News zusammengestellt werden. Und der Verbraucherzentrale Bundesverband stellt eine ePresseschau zusammen, in der Beiträge aus den Online-Ausgaben von Zeitungen zu verbraucherpolitischen und -rechtlichen Themen verlinkt sind (empfehlenswert dort auch die Newsletter zur EU-Verbraucherpolitik und zur Verbraucherforschung). Labournet dagegen konzentriert sich auf sozialpolitische und gewerkschaftliche Themen.

Zuerst in albatros | texte, 3. Juni 2015. Die Reihe wird fortgesetzt.