Archiv der Kategorie: Spiritualität

„Buddha. 108 Begegnungen“ im Museum Angewandte Kunst, Frankfurt am Main

Wie angekündigt, kamen wir zurück, als die Sonne wieder schien, um uns der Ausstellung „Buddha. 108 Begegnungen“ im Museum Angewandte Kunst zu widmen.

Wie es der Name nahelegt, werden in der Schau 108 durchnumerierte Skulpturen des Buddha gezeigt. Die Bildnisse sind nach den südostasiatischen Ländern und Regionen gruppiert, aus denen sie stammen. Ein Begleitheft und ein Glossar dienen zur Orientierung.

Damit ist auch schon das größte Manko angesprochen: Die Skulpturen werden in der Ausstellung nicht beschrieben, sondern sie sind nur mit einer Nummer versehen worden. Diese muß man im Begleitheft nachschlagen, wo man dann z. B. eine Beschreibung findet wie: „2.: Meditierender Bodhisattva (Siddhartha unter dem jambu-Baum?) – Nordwestpakistan, Gandhara, 2./3. Jahrhundert. Grauer Schiefer.“ Was ein Bodhisattva ist, entnehme man dem separaten Glossar – das seinerseits leider nicht vollständig ist. Die Beschreibungen sind regelmäßig viel zu knapp gehalten. Abgesehen von der Einführung zum Beginn und einem kleinen Nebenraum, in dem ein buddhistischer Altar beschrieben wird, gibt es keine weiteren Wandtexte, und es liegt auch kein Katalog aus, um sich weitergehend zu informieren. So wird eine große Chance, den Buddhismus anhand der größtenteils sehr schönen Werke zu erklären und sinnlich erfahrbar zu machen, vertan. Eine Kunstvermittlung findet im MAK nicht statt. Und auch die spirituelle Erfahrung haben wir vermißt.

So bleibt leider ein recht oberflächlicher Eindruck von dem alten Kunsthandwerk zurück. Am meisten beeindruckt, wie die Gestalt des Buddha im Zuge der Ausbreitung des Buddhismus immer wieder den jeweiligen Menschenbildern der Region angepaßt wurde. Haltung und Gebärden sind die gleichen geblieben. Die Gesichtszüge und die Tracht paßte man der vorherrschenden Ethnie in der Region an. Das zeugt letztlich bei allen Gemeinsamkeiten von einer Vielfalt, die unter dem Eindruck von Massenmedien oder gar des Internet heute nicht mehr möglich wäre.

Buddha. 108 Begegnungen. Museum Angewandte Kunst Frankfurt am Main. Bis 7. Juni 2015. – Zuerst in albatros | texte, 8. April 2015.

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Die Schrift wird zum Leben

Das Blog ist kein bloßes Tagebuch, denke ich beim Blättern in Sloterdijks „Zeilen und Tage“. Mit dem Tagebuch teilt es die Kurzlebigkeit: Wer greift schon auf ein Blog über den Kalender zu und sucht Beiträge aus einem bestimmten Monat vor x Jahren heraus? Man kann das machen, aber wer macht es? Und doch: Sloterdijk war auf seine Weise ein Blogger, wie auch Max Frisch in seinen Tagebüchern gebloggt hatte. Irgendwie, ja. Und früher schon Tucholsky, natürlich. Und Kafka? Kafka auch? – Beckett? Eher weniger. Aber Arno Schmidt – ganz sicher. Und Heine. Aber das Schreiben im Netz? Man schreibt am Ende nur für sich. Wer es liest, wenn überhaupt, kann dahingestellt bleiben. Ist nicht notwendig. Man schreibt Notizbücher voll und Blogs und Wikis, und dieser Strom aus Notaten und Gesängen und Empörung und Leiden und Hoffnung füllt am Ende die Welt. Die des Autors und die des Lesers, erst ein bißchen und dann immer mehr. Sie wird zur Wirklichkeit, und die Wirklichkeit wird zum Leben. Die Schrift wird zum Leben. Und das Leben wird wirklich durch das Schreiben. Auch durch das Bloggen.

Zuerst in: albatros | texte am 26. März 2014.

Begegnung im Stadtwald

Er sei jetzt über neunzig, sagt er, und er sei immer in Bewegung gewesen in seinem Leben. Mitglied im Alpenverein. Viele Berge habe er bestiegen. Den Großglockner zum Beispiel. Auch im Himalaya sei er gewesen. Immer nach oben. Immer selbständig gearbeitet, daher viel Zeit für Hobbies. Als er jung gewesen sei, habe er nicht viel über das Altsein nachgedacht. Und jetzt sei es eben so gekommen, sagt er. Herrn L. habe er schon lange nicht mehr gesehen. Aber wahrscheinlich lebe er noch. Wir sprechen über eine Vorsorgevollmacht. Und über Demenz. Ja, davon habe er gehört, vor kurzem erst in einer Fernsehsendung, und das habe es früher ja kaum gegeben. Früher seien die Leute nicht so alt geworden. Übrigens sei die Sonne schon hinter den Bäumen, sie stehe jetzt schon sehr schräg, zwei Stunden bevor sie untergeht

Zuerst in albatros|texte, 30. Oktober 2013.

Yoko Ono in der Schirn Kunsthalle Frankfurt

Eng und laut, kein freier Stuhl mehr bei der Pressekonferenz zu ergattern, also stehe ich in der letzten Reihe, aber mit direktem Blick aufs Podium, zwischen den Fernsehkameras und den Rücken der Journalisten hindurch kann ich schauen, da vorne findet es statt. Ein embedded blogger. Yoko Ono, klein und ganz in schwarz, natürlich mit dem schräg sitzendem Hut und mit tief sitzender Brille, kommt nicht die große Showtreppe herab. Die fast Achtzigjährige nimmt mit ihren Leibwächtern den Aufzug. Es ist ein bescheidener Auftritt für eine alte, etwas schwerhörige Dame. Und dann beginnt eine halbe Stunde mit Statements, Fragen und Antworten, deutsch und englisch, mehr oder weniger gut verständlich, zweimal Applaus, kein Nachhaken, keine Kritik.

Mein Bild von Yoko Ono schwankt zwischen mehreren Positionen: Die ewige Witwe, nur über den ermordeten John Lennon definiert. Die Feministin. Und die Musikerin. Radikal, aber immer marktgängig, niemals so radikal, daß die Gefahr bestände, man könne eines Tages seine Rechnungen nicht mehr bezahlen. Immer wohlkalkuliert, die öffentlich zur Schau gestellte Sexualität auf den Bildern, in den Videos, bei den Performances. Yoko Ono als Geschäftsmodell. Als Geschäftsfrau. Und vor allem: Als Vergangenheit.

Der gehaltvolle und gut ausgestattete Katalog zur Ausstellung zeigt, daß der Schwerpunkt ihrer künstlerischen Arbeit in den 1960er Jahren lag. Die spätere Begegnung mit John Lennon war ein Wendepunkt in ihrer Biographie. Und die Umstände, unter denen eine Performance wie „Cut piece“ Mitte der 1960er Jahre (erneut 2003) oder die „Bed-in“-Szenen bei den Flitterwochen des Paars in Amsterdam entstanden, kann man sich heute beim besten Willen nicht mehr vorstellen. Zeitgeschichtlicher Hintergrund für all das sind der Vietnamkrieg und die Studentenbewegung. 1963 hielt Martin Luther King seine Rede „I have a dream“. Und 1961 trat Joseph Beuys seinen Lehrstuhl in Düsseldorf an; 1972 wurde er entlassen. In Deutschland saßen immer noch viele alte Nazis in den Behörden, in den Parlamenten und in den Konzernen an der Spitze. Die Rote Armee Fraktion wurde 1970 gegründet. In die gleiche Zeit fiel die Trennung der Beatles. In dieser Zeit wurde ich geboren.

Die Zusammenhänge müssen also rekonstruiert werden. In der Ausstellung wird deutlich, daß Yoko Onos Kunst Pop ist: Nichts überrascht wirklich, auch weniger Bekanntes wirkt irgendwie vertraut. Immerhin: Gleich am Eingang ein Spätwerk: Die verschlossene Drehtür, die man, anders als gewohnt, nicht durchschreiten kann, man verläßt sie, wo man sie betreten hat, und muß durch den Perlenvorhang in den Ausstellungsraum gehen. Perlenvorhänge sind ja so retro. Seit sie in den 1980ern bei den Spießern angekommen waren, sind sie gänzlich unvertretbar geworden. Indessen: Die Drehtür „EN TRANCE“ mitsamt dem Vorhang datiert aus dem Jahr 1998. Gleich dahinter wird Luft in Plastikkapseln verkauft, die aus einem Kaugummiautomaten kommen, wenn man 50 Cent einwirft und daran dreht. Erinnert an das Innenleben eines Überraschungs-Eies, nur daß es transparent und weiß daherkommt, statt in gelb. Videos wie „Cut piece“, „Bottoms“ und „Freedom“ werden gezeigt. Natürlich auch die Fliege auf der Brustwarze. Und der weibliche Körper reduziert auf das offenbar für die meisten Männer Wesentliche: „Touch me.“ Fast vollständig, nur das Hirn fehlt. Die Einbeziehung des Betrachters gehört zum Kalkül der Wirkung: Es soll berührt, betastet werden. Das Labyrinth aus Glas soll begangen werden. Nur auf die Leiter des „Yes painting“ darf man nicht steigen.

Es ist durch und durch westliche Kunst. Dazu paßt, daß Yoko Ono ein gut verständliches britisches Englisch spricht, was für gebürtige Japaner nicht eben leicht sein dürfte. Der einzige fernöstliche Touch ist in dem kleinen gelben Band zu finden, der etwas abseits im ersten Raum der Ausstellung bereitliegt. Das Buch mit dem Titel „Grapefruit“ enthält „Anleitungen und Zeichnungen“ aus der frühen Zeit bis Mitte der 1960er Jahre, also aus der amerikanischen Fluxus-Zeit, die durchaus einen zweiten und auch dritten Blick wert sind. In der Tradition des Haiku und des Zen gibt Yoko Ono hierin „Anleitungen“ zur achtsamen Selbsterfahrung, so etwa im „Lightning piece“ aus dem Herbst 1955: „Light a match and watch till it goes out“ oder im „Pulse piece“ aus dem Winter 1963: „Listen to each other’s pulse by putting your ear on the other’s stomach.“ Keine bloße Kontemplation, sondern der lebenspraktische Anstoß wird daraus deutlich.

Dieser spirituelle Impuls, das hätte ich vordem nicht vermutet, ist tatsächlich die tiefere Fundierung des Werks. Denn die kommerziell tönende Plastic Ono Band mit ihrem zeitgenössischen Disco-Sound ist die eine Seite, das Tiefgründige und ganz praktisch Philosophische ist die andere. Herausragend ist das weiße Schachspiel aus den Jahren 1966–1971, das ausschließlich aus weißen Feldern besteht, auf denen ausschließlich weiße Figuren aufgestellt sind. Die knappe „Anweisung“ dazu lautet, man solle so lange damit spielen, wie man sich noch daran erinnern könne, welches die eigenen Figuren seien. Beginnt man eine Partie, vermischen sind die Figuren der Spielgegner bald immer mehr miteinander. Aus der anfänglichen Ordnung wird Leben, der Wille und die Disziplin wandeln sich mit der Zeit immer mehr in Chaos, aus der Distanz der kriegerisch sich gegenüberstehenden stilisierten Armeen wird immer mehr ein Miteinander, Annäherung, Nähe, Gemeinsamkeit. Schließlich kommt der Punkt, an dem die Spieler die eigenen Figuren von denen des anderen tatsächlich nicht mehr unterscheiden können und sie mit den eigenen verwechseln. Die ursprünglich gegnerischen Figuren verschmelzen am Ende auf dem Spielfeld. Die Gegnerschaft wird aufgehoben, es wird alles eins. Es ist vielleicht, trivial gewendet, eine ganz praktische Erfahrung des Hippie-Slogans „Make love, not war.“

Und da ist überhaupt viel Leichtigkeit und gute Energie zu fühlen bei dem Besuch dieser alten Dame in Frankfurt, deren Geschäfte immer noch so wunderbar laufen. Sie riet den Besuchern der Pressekonferenz, man könne die Welt verändern, indem man schlicht man selbst sei. „Be yourself!“ Ein Versuch ist es freilich wert, den Impuls aufzugreifen. Trotz der Ambivalenz des Werks, das zwischen Geist und Kommerz schwankt.

Yoko Ono. Half-a-wind show. Eine Retrospektive. Schirn Kunsthalle Frankfurt am Main. Kuratorin: Ingrid Pfeiffer. 15. Februar bis 12. Mai 2013. Danach: Louisiana Museum of Modern Art, Humlebæk; Kunsthalle Krems; Guggenheim Museum Bilbao.

Der Wanderer LII

Dreizehn Grad im Januar und Dämmerung. Sie nennen es Transfer. Über den Fluß, über die große Straße über den anderen Fluß, hinter den sieben Bergen liegt die kleine Stadt. Schnelle Reiter auf dem Weg überholen den Kutscher mit den dreizehn Eseln. Wolken zerteilt von einem Meer von Riesen, getrieben von einem nicht endenden Strom, der heimwärts weist. Taghell, doch kein Sonnenstrahl. Das Tor stand offen, als ich kam und als ich ging. Der weiche Hügel zeigt nach Süden. Odysseus und Medea auf der Hochzeitsreise zum Schafott. Elektrisch endet alles und stirbt auch immer ein bißchen mehr. Schlechter als je. Deutlicher denn je erweist sich der Weg als Problem, wo sich alles teilt, ohne Rücksicht, ohne Sinn. Allison Crowe im iPod. Und meine Traurigkeit zerreißt den Himmel.