Alles muß man selbermachen…

Ein Student der Uni Gießen bat mich um Teilnahme an einem Forschungsprojekt zum Thema „ProsumentInnen im digitalen Alltag“, weil ich seit einigen Monaten Texte in einem Blog in der Freitag Community veröffentlicht habe. Im folgenden mein erster Beitrag hierzu, im Projekt-Blog veröffentlicht am 8. September 2009, erneut veröffentlicht in der Freitag Community am 15. September 2009:

Das wichtigste Motiv für meine Teilnahme an der Freitag-Community ist zunächst meine jahrelange Verbundenheit mit dem früheren gedruckten „Freitag“. Er war für mich die ideale Wochenzeitung: nicht zu umfangreich, kritisch eingestellt, teilweise bis zur kompromißlosen Ablehnung des kapitalistischen Systems, dabei eher mit dem Florett als mit dem Säbel fechtend, oft elegant, nie im Mainstream, sondern immer in den kleineren Seitenströmen fischend, die früher oder später den Hauptstrom speisen, gerade auch im Feuilleton, und niemals lag man völlig „daneben“. Über die Jahre habe ich sehr vieles über den „Freitag“ erfahren, das mir anderswo niemals begegnet wäre. Ich habe manchen nachdenklichen Abend mit dem Blatt verbracht.

Diese Liebesgeschichte wurde durch den Relaunch jäh beendet. Plötzlich fanden Stammleser wie ich ein etwas erweitertes, buntes bis schrilles Blatt vor, das mit der bisherigen Zeitung nicht mehr allzu viel gemein hatte. Es gab noch die alte Redaktion, die alten Autoren, aber das Blatt hatte sich offensichtlich auf die Suche nach neuen Lesern und nach neuen Märkten begeben. Diese Neuorientierung dauert noch an, es ist immer noch einiges in Bewegung.

Ich verfolge diesen neuen Weg aufmerksam, mir fehlt aber sehr die Ruhe und die Nachdenklichkeit, mit der der alte „Freitag“ stets ans Werk gegangen war. Mir fehlt auch der Tiefgang in der Analyse und der Mut, entweder zum Stein des Anstoßes zu werden oder im Schatten der Konzernpresse durch Nichtbeachtung zu verschwinden. Dieser Mut hatte die Substanz des Blattes ausgemacht. Im „Freitag“ floß das beste aus Ost und West zusammen, er war immer auch der Versuch, aus dem arroganten „le patron a tout acheté“ von 1990 einen für beide Seiten würdigen Ausweg zu finden und die sogenannte „Berliner Republik“ auf einen für alle Beteiligten wenigstens einigermaßen akzeptablen Weg zu bringen. Der „Freitag“ stand insoweit neben anderen Projekten wie den Blättern für deutsche und internationale Politik oder Ossietzky.

Das ist ja nun vorbei. Das Projekt wurde gekauft, und der neue Verleger möchte eine Zeitung schaffen, die beachtet wird, mit der man sich sehen lassen kann und mit der man gesehen wird. Wenn das Geld dafür reicht, könnte es eine Wochenzeitung werden, die etwas links von der ZEIT plaziert ist, „irgendwie links“ nannte das Jakob Augstein mindestens einmal.

Das Angebot, in diesem Rahmen zu bloggen, fand ich zunächst grundsätzlich interessant, deshalb meldete ich mich noch am 13. Februar 2009 an, um meinen bevorzugten Login-Namen zu reservieren. Ich versuchte meine ersten Schritte mit einem Bericht über die Frankfurter Römerberggespräche, die ich damals besucht hatte. Seitdem bemühe ich mich, diejenigen Inhalte, die mir nicht nur im neuen „Freitag“, sondern überhaupt in den Massenmedien fehlen, in mein Blog einfließen zu lassen. So hatte ich beispielsweise auch über die fünf Frankfurter Poetikvorlesungen von Uwe Timm jeweils noch am selben Abend nach dem Vortrag berichtet. Aus der Frankfurter Rundschau und in der Süddeutschen Zeitung konnte man über die Vorlesungen übrigens auch nicht viel mehr oder anderes erfahren. Spontan schrieb ich auch über den ersten größeren Auftritt eines Vertreters der Piratenpartei im deutschen Fernsehen und griff deren Blindheit für die soziale Frage auf. Langfristig beschäftigt mich auch die Entwicklung des Rundfunks. Die Veröffentlichungen erfolgen parallel zu meinem WordPress-Blog schneeschmelze, in dem ich alles mögliche sammle, was ich so nebenbei im Netz veröffentliche.

Bei alledem habe ich mittlerweile den Eindruck, daß sich hier die Leser selbst online diejenigen Beiträge und das „Klima“ schaffen, das ihnen offline durch die Blattreform abhanden gekommen war. Die Nachdenklichkeit, der Blick auf Nebenschauplätze, in die anderen Teile der polyzentrisch strukturierten Republik, abseits der wichtigtuerischen „Hauptstadtstudios“, der schrillen Fanfaren und des viel zu lauten bunten Layouts. So scheint es mir jedenfalls mitunter, hier mag ich mich täuschen. Insoweit sehe ich durchaus einen Unterschied zwischen Print und Online. Dahinter steckt aber durchaus auch der Impuls, „Inhalte“, die durch die kommerziellen, journalistisch gestalteten Medien nicht oder nicht mehr bereitgestellt werden, selbst ins Netz zu bringen, wie ich es beispielsweise auch einmal im Börsenblatt in einem anderen Zusammenhang geäußert hatte: „Was die Medienkonzerne nicht mehr zuverlässig erschaffen und anbieten […], müssen die Bürger eben selbst in die Hand nehmen.“

Falls nichts dazwischenkommt, möchte ich mich gerne weiter beteiligen, solange es mir Spaß macht.