Der Wanderer LXVI

Nur bei den französischen und Schweizer Websites liest man heute Abend schon etwas darüber. Außerhalb der französischen Welt hatte man ihn längst aus den Augen verloren. Bernard Pivot, der Literaturpapst von der anderen Seite des Rheins, ist heute gestorben. Und mit ihm geht wieder ein Teil der 1980er Jahre unter, mit den großen Literatursendungen, den großen Debatten unter alten weißen Männern. Als das Buch noch prägend war und man gelesen haben musste, um die Gespräche zu verstehen, um Anspielungen nachvollziehen zu können. Lange her, so lange schon. – R.I.P.

Der Wanderer LXV

Mein Feedreader lieferte mir an diesem Ostermontag zwei aufschlussreiche Beiträge, die ich gerne weitergeben möchte:

  • Der Hessische Rundfunk beschreibt, wie die Gemeindebücherei Egelsbach, hier bei uns im Kreis Offenbach, die 2012 aus Kostengründen geschlossen worden war, durch ehrenamtliches Engagement wiederbelebt worden ist. Die Bibliothek hat einen Bestand von derzeit 16.500 Medieneinheiten, es gibt 700 erwachsene Benutzer, und 500 Kinder und Jugendliche haben einen Leseausweis. Der Betrieb wird von 40 Ehrenamtlichen erbracht.
  • Im Deutschlandfunk interviewt Michael Köhler die Kultursoziologin Carolin Amlinger über die Trends beim Lesen und den Zusammenhang zwischen dem Lesen und der gesellschaftlichen Ungleichheit. Es geht ums Lesen als Klassenfrage: Das Verschwinden der privaten Bibliotheken. Das Schwinden der Überzeugung, wonach es einen Zusammenhang zwischen Lesen und sozialer Mobilität gebe. Auch um den Untergang einer alltäglichen Buch-, Lese- und Bibliothekskultur.

Geschichte des DDR-Buchhandels (und bald auch: der DDR-Bibliotheken)

Günther Fetzer bespricht hintergründig in literaturkritik.de vom 15. Februar 2024 die in den beiden letzten Jahren erschienenen zwei ersten Teilbände zur Geschichte des DDR-Buchhandels, die bei De Gruyter von Christoph Links, Siegfried Lokatis und Klaus G. Saur in Zusammenarbeit mit Carsten Wurm herausgegeben werden. Sie erscheinen in der Reihe zur Geschichte des deutschen Buchhandels im 19. und 20. Jahrhundert und handeln vor allem von den Verlagen. Ein dritter Band soll noch folgen, darin soll es auch um die Geschichte der Bibliotheken in der DDR und um den Außenhandel des Buchhandels gehen. Der Verlag hat den abschließenden Band gegenüber dem Rezensenten für 2025 angekündigt.

Der Wanderer LXIV

GNU Emacs 29.2 ist heute veröffentlicht worden. ./configuremakemake install lief unter macOS Ventura problemlos durch.

GNU Emacs 29.2 (build 1, aarch64-apple-darwin22.6.0, NS appkit-2299.70 Version 13.6.3 (Build 22G436)) of 2024-01-18

Der Programmstart ist ein bisschen umständlich, weil man erst den Paketinhalt des Programms anzeigen lassen und dann /Applications/Emacs.app/Contents/MacOS/emacs anklicken muss. Bisher alles wie gehabt. Mit deutlichem Abstand das wichtigste Werkzeug für alle, die ernsthaft mit reinem Text arbeiten.

Der Wanderer LXIII

Asterix, Die weiße Iris, endlich gelesen. Ein Band, an dem man ermessen mag, wie sich Frankreich an den gesellschaftlichen Verwerfungen der letzten Jahre abarbeitet. Ein Asterix für die Post-Covid-Gesellschaft, in der viel Unsicherheit im Spiel ist. Die Zeiten ändern sich, Daximplus, sagt Vicusversus. Und der Legionär antwortet: Genau das ist das Problem, wenn du mich fragst.

Didier Conrad und Fabcaro lesen diese Gemengelage als eine Chance für Coaches und Berater, die blumige Sprüche verbreiten, die aber nichts Grundsätzliches zu ändern vermögen. Und die am Ende scheitern. Denn Glück entsteht allein, wenn alles vorbei ist, wenn alle sich einig sind und am großen runden Tisch in dem kleinen Dorf in der Provinz sitzen und die Wildschweine aufgetischt werden. Eine kalte Absage an die Globalisierung und an die große weite Welt da draußen. Das Landleben wird gefeiert, ein weltweiter Erfolg.

Eine Absage auch an die moderne Kunst, an die Neue Küche und an die unsichtbaren Dritten, die sich „da vorne festgeklebt“ haben, um „gegen die Abholzung des Karnutenwalds“ zu protestieren und dabei einen großen Stau verursachen, in den auch die mutigen Gallier auf ihrem alten Wagen geraten.

Ziemlich reaktionärer Stoff, also. Fabcaro hat sich dagegen verwahrt, Visusversus sei „woke“. Im Gegenteil. Vorbild für die Figur war schließlich Bernard-Henri Lévy, der in frankophonen Raum viel gegenwärtiger ist als hierzulande. Aber alle sind empfänglich für die „weiße Iris“.

Fehlt eigentlich nur noch ein Thema, an das sich Asterix bisher nicht frontal herangetraut hat, an dem sie aber nicht auf Dauer vorbeikommen werden. Eine Fährte ist gelegt: Veränderung führt über die Sprache. Sie ist hier vorläufig gescheitert. Das ist aber entwicklungsfähig, auch wenn sie die größte Klippe dieses Mal noch umschifft haben. Das alles soll ja gut verkäuflich bleiben. Und es ist eine Serie. Es wird einen 41. Band geben.

Unübersetzt

Der Nobelpreis für Wirtschaftswissenschaft (jaja, etwas locker formuliert, schon klar) geht dieses Jahr an: Claudia Goldin. Einen Artikel in der deutschsprachigen Wikipedia zu ihr gibts seit 2007, angelegt und überwiegend geschrieben von einem Ökonomen und einem Autor, der sich mit Wissenschaftlern beschäftigt, die Mitglied bei der American Academy of Arts and Sciences sind. Gestützt auf das Who is Who in Economics, aber eben aus einer Zeit, als wir noch keine Fußnoten setzten. Der nächste Blick fällt in die GND: Keine Veröffentlichung im Sammelgebiet der Deutschen Nationalbibliothek. Ihr Personen-Datensatz ist bis heute mit keinem Titel verknüpft. Es hat bisher keinen Verlag hierzulande gegeben, der ihre Werke einer Übersetzung für würdig hielt. Kein ganz neues Phänomen: Sie hat über Jahrzehnte publiziert, und zwar über Themen wie: Understanding the Gender Gap: An Economic History of American Women oder Corruption and Reform: Lessons from America’s History, wohl zuletzt: Career and Family: Women’s Century-Long Journey toward Equity.

wenn der weiße schnee, der alles bedeckt hat, schmilzt, erscheint die welt wieder, wie sie ist, nicht: wie sie war