Das Soziale und die Empörung

„Man wagt uns zu sagen, der Staat könne die Kosten dieser sozialen Errungenschaften nicht mehr tragen. Aber wie kann heute das Geld dafür fehlen, da doch der Wohlstand soviel größer ist als zur Zeit der Befreiung, als Europa in Trümmern lag? Doch nur deshalb, weil die Macht des Geldes – die so sehr von der Résistance bekämpft wurde – niemals so groß, so anmaßend, so egoistisch war wie heute, mit Lobbyisten bis in die höchsten Ränge des Staates. … Noch nie war der Abstand zwischen den Ärmsten und den Reichsten so groß. Noch nie war der Tanz um das goldene Kalb – Geld, Konkurrenz – so entfesselt.“

Das schreibt ein 93jähriger Franzose, Stéphane Hessel, in seinem Essay Empört Euch! (S. 9), gleichsam als Vermächtnis an die jüngeren Generationen. Ein erfrischend wütendes Büchlein hat er da auf den Markt gebracht, das sich in Frankreich schon zum Bestseller entwickelt hatte, als diesseits vom Rhein noch völkisch schimmerndes Gedankengut in leuchtend rotem Schutzumschlag auf den Büchertischen zu Weihnachten lag.

Hessel fordert dazu auf, nicht gleichgültig durch die Welt zu gehen, sondern ein engagiertes Leben zu führen nach der Devise: „Neues schaffen heißt, Widerstand leisten. Widerstand leisten heißt, Neues schaffen“ (S. 21). Er ruft es hinaus in eine Gesellschaft, die doch in vielerlei Hinsicht gleichgültig geworden ist, menschlich ebenso wie politisch. Natürlich wird das Pendel wieder in die andere Richtung ausschlagen, demnächst, hoffentlich bald.

Die Zeit des Neoliberalismus und die Probleme, die der Liberalismus überhaupt mit sich bringt, müssen bekämpft und müssen entkräftet werden. Aber das wird nicht von selbst geschehen, dazu braucht es die Empörung, insoweit hat Hessel vollkommen recht, anderenfalls könnte nichts Neues entstehen, denn auch in der Liberalismus-Kritik kann es kein Zurück geben, nach den erschütternden Erfahrungen der vergangenen zehn, fünfzehn Jahre, die unsere sozialen Sicherungssysteme in eine Verfassung versetzt haben, die man sich vorher niemals hätte vorstellen können. Es ist vieles wieder aufzubauen. Das Buch von Hessel könnte den Anfang hierzu markieren.

Es wäre zudem ein europäischer Neuanfang, aus der gemeinsamen Geschichte heraus motiviert, auch wenn Hessel sich natürlich sehr auf die französische Erfahrung stützt. Eine Kraft, die sich der liberalen Verwüstung entgegensetzt, die man heute vorfindet, muß sich fragen, was die eigentlichen Ideale und die Ziele einer Gesellschaft sind, und sie muß den Mut haben, sie einzufordern und durchzusetzen. Die Widerstände dagegen dürfen keinesfalls unterschätzt werden, aber einen Fortschritt, der den Namen verdient, wird es nur geben, wenn man diesen Weg einschlägt.

Die parteipolitische Show um die Hartz-IV-Reform, die vor kurzem ablief, war allerdings kein Beitrag zu alledem.

Warte nur, balde ruhest Du auch?

Im Zusammenhang mit der Plagiats-Affäre um den CSU-Politiker Karl-Theodor zu Guttenberg hat Lutz Hachmeister in CARTA eine Kampagne initiiert, in der er gemeinsam mit Unterstützern erklärt, er wolle seinen Doktortitel aus Protest so lange ruhen lassen, wie zu Guttenberg als Minister im Amt bleiben werde. Ein stolzer, ein lobenswerter und ein notwendiger Schritt, der auf die wissenschaftliche und die politische Kultur gleichermaßen zielt. Die Uni Bayreuth hat es bei der Rücknahme des Titels nicht für nötig befunden, sich mit der Frage zu beschäftigen, ob zu Guttenberg vorsätzlich gehandelt habe, als er aus fremden Texten kopierte. Er selbst hatte sich gestern vor dem Parlament zu der Aussage vorgearbeitet, wer ihm Vorsatz unterstelle, begehe üble Nachrede, er sei bei seiner Arbeit, die mit summa cum laude benotet worden war, schlicht überfordert gewesen. Und die Bundeskanzlerin kommentierte den ganzen Vorfall mit der Bemerkung, zu Guttenberg sitze als Verteidigungsminister im Kabinett, nicht als Wissenschaftlicher Mitarbeiter. An alledem sieht man, daß die Informationsgesellschaft doch noch ganz am Anfang eines langen Weges steht. Umgekehrt dürfte die wissenschaftliche Kultur am Ende ihres Wegs angekommen sein. Die Anforderungen an die Belege in wissenschaftlichen Arbeiten und die Plagiatskontrolle müssen erheblich verschärft werden, wenn Gefälligkeitspromotionen und Betrug in Zukunft wirksam verhindert werden sollen, denn der Fall zu Guttenberg hat jedermann vor Augen geführt, wie leicht das alles zu bewerkstelligen war. Wie laut muß das Kind denn noch in Richtung des Kaisers rufen, daß er die ganze Zeit schon splitternackt dastehe, bis es endlich einer merkt?

hr2 zu „Thomas Mann und die Deutschen“

hr2 bringt am 26. und 27. Februar 2011 ein Themenwochenende rund um „Thomas Mann und die Deutschen“. Am Samstag stehen Lesungen, Gespräche und historische O-Töne im Mittelpunkt sowie eine Abendsendung zu „Thomas Mann und die Musik“, während am Sonntagmittag eine Diskussion zum Thema „Thomas Mann – ein deutscher Nationaldichter?“ (wird am 25. 2. in der Frankfurter D-NB aufgezeichnet, Eintritt frei) und das Ende der Hörspielfassung von „Doktor Faustus“ (hr/BR 2007) gesendet werden.

Posting in de.rec.buecher und de.alt.hoerfunk, 24. Februar 2011 (Message-ID: ik61pd$mnv$02$1@news.t-online.com).

Duncker & Humblot setzt mit TeX

Patrick Gundlach twittert heute, die Dissertation von Karl-Theodor zu Guttenberg sei bei Duncker & Humblot mit TeX gesetzt worden: „Die gerade berühmteste Dissertation wurde mit ConTeXt gesetzt. Aber sehr wahrscheinlich nicht mit LuaTeX, sondern PDFTeX.“ In Wikipedia heißt es, die Schriftart Nimbus Roman No9 L sei verwendet worden. Qualität setzt sich eben durch. Das kann man auch verlangen bei dem Preis, den der Verlag für eine Veröffentlichung in dieser Buchreihe bekanntlich ansetzt.

Haste mal drei Euro?

„Das Geschacher der letzten Wochen und Tage um drei Euro mehr oder weniger [beim Hartz-IV-Regelsatz; schneeschmelze] ist die erbärmlichste Farce, die die deutsche Sozialpolitik je erlebt hat“, sagte Hauptgeschäftsführer [des Paritätischen Wohlfahrtsverbands] Ulrich Schneider.[1]

Und damit ist ja das letzte Wort immer noch nicht gesprochen. Denn es ist schlechterdings nicht nachvollziehbar, warum der Regelsatz zuerst um fünf und dann, ein Jahr später, noch einmal um drei Euro angehoben werden sollte, wenn schon aufgrund der Verbraucherstichprobe vom ersten Halbjahr 2010 eine Anhebung um acht Euro indiziert gewesen wäre. Man sollte prüfen, ob die Verfassungsbeschwerde gegen ein solches Gesetz Aussicht auf Erfolg hätte. Nach einem kursorischen Blick in meinen Feedreader scheint mir das durchaus der Fall zu sein.