Die juristische Literatur befindet sich im Umbruch

— Die Zeiten, in denen juristische Information in edlem Leder gebunden wurde, gehen zu Ende. Es lebe die PDF-Datei. […]

— Eine bescheidene Frage: Wer soll denn die PDF-Datei schreiben? Ich glaube kaum, dass Juristen mit wissenschaftlicher Einstellung sich zu Schreibsklaven von Instant-Kommentaren machen lassen. Gute Rechtsliteratur braucht Zeit. Zeit zum Nachdenken, zum Schreiben, zum Lesen. […]

Die Halbwertszeit einer Meinung im Mietrecht kann sehr kurz sein. Erst kam die Mietrechtsreform, dann kam die Zuständigkeit des BGH bis hin zum Rollator im Treppenhaus. Die jährlichen Übersichtsaufsätze von Lützenkirchen in der WuM und die Übersichtstabellen der Redaktion über die einschlägigen BGH-Entscheidungen geben ein beredtes Beispiel von der Dynamik und dem Umfang, den diese Veränderungen mittlerweile angenommen haben. Ich kann mich an seitenlange Kommentierungen im Staudinger erinnern, die durch ein Urteil des BGH Makulatur geworden waren, ein Jahr nach Erscheinen.

Die juristische Literatur befindet sich im Umbruch. Die bisherigen Professoren-Richter-Referenten-Kommentare, die alle paar Jahre mal die wesentlichen Grundzüge der Rechtsentwicklung nachgezeichnet und gründlich reflektiert haben, sind schon längst Dinosaurier geworden. Solche Werke kann man nur gedruckt vertreiben, was aber für die Benutzer sehr teuer ist. Als Online-Produkte sind sie nicht aktuell genug. Eine Redaktion einzusetzen, die „den Staudinger“ oder „den MüKo“ ständig tagesaktuell pflegt und zumindest auf neueste Entscheidungen verweist, damit einem bei der täglichen Arbeit nichts Wichtiges entgeht, ist schlicht zu teuer. Die Fachinformation läuft deshalb über Pressemitteilungen, Zeitschriften und (teils Online-)Fachdienste. Grundlegendes wird über „Anwalts-Handbücher“ und die praktische Ausbildung vermittelt.

Auch der Palandt verkauft sich immer schlechter. Es gibt schon länger Kollegen, stellten wir vor ein paar Monaten auf einer Mailingliste fest, die ausschließlich mit Online-Quellen arbeiten (Gesetze, Gesetzgebungsverfahren, Entscheidungen, sozialgerichtsbarkeit.de Beck-Online, Juris, leider auch Lexis-Nexis etc.), evtl. noch ein, zwei günstigere Zeitschriften im Abo, aber die arbeiten sogar ohne Schönfelder & Co. Zur Reflexion ist im Alltag sowieso keine Zeit, das kann ein Praktiker meist gar nicht lesen. Und der Staudinger steht auch in den mittleren und größeren Kanzleien mehr oder weniger fürs Publikum im Regal.

Die Grenze zwischen Wissenschaft und Praxis wird immer deutlicher. Schon zu meiner Studienzeit arbeiteten viele ausschließlich mit Skripten und fragten nebenraus, was ich denn da für große Bücher mit mir herumtrüge.

Der Staudinger versucht, auf diesen Trend der ständigen Beschleunigung mit immer kürzeren Spannen zwischen den „Bearbeitungen“ zu reagieren. Man hat nach der 13. aufgehört, die Bände mit Auflagen zu bezeichnen. Aber vergleichen Sie bitte mal vom Preis, vom Umfang und, wie gesagt, von der Halbwertszeit her, die drei Bände zum Mietrecht plus EGBGB mit dem brandneuen Sternel, Mietrecht aktuell, 1800 Seiten, 99 Euro. Bei der Qualität ist das ein fairer Preis. Kostet soviel wie ein Jahr WuM. Bei dieser Verlagspolitik von deGruyter-Sellier ist es nur noch eine Frage der Zeit, bis der Staudinger denselben Weg geht, den der Brockhaus schon eingeschlagen hat … also: nicht online und nicht offline, sondern eher ins Off. Was ich auch äußerst traurig finde.

Zuerst veröffentlicht in der Mailingliste InetBib am 23. April 2009, als Antwort auf Eric Steinhauers Beitrag.

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