Ernüchternde Erfahrungen mit der Onleihe

Die Onleihe gibt es ja nun schon eine ganze Weile. Jetzt hat auch unsere Stadtbibliothek in Neu-Isenburg sich dem Dienst angeschlossen, der Zeitschriften, Bücher und Audiodateien ausschließlich per proprietärem Windows-DRM online verteilt, was über die Jahre schon zu erheblicher Kritik geführt hatte. Daran hat sich gleichwohl seit dem Sommer 2007 nichts geändert, was denn doch zu denken gibt.

So habe ich eine schlaflose Nacht dazu genutzt, das für uns neue Angebot zu testen. Seit zwei Jahren arbeite ich auf einem Mac und bin es gewöhnt, daß alles, was ich hier so installiere und in Betrieb nehme, auf Anhieb funktioniert, und das ist beruflich bedingt eine ganze Menge. Obwohl mir gleich auf der Startseite erklärt wird, man benötige den Windows Media Player 11, den es bekanntlich für den Mac gar nicht gibt, zeigt mir die Onleihe brav auch immer wieder an, daß alles auch auf älteren Plattformen einschließlich musealer Apple Macintoshs und Linux funktioniere. Was aber leider nicht stimmt. Meine Erfahrung ist folgende:

Das Angebot ist enttäuschend. Online verfügbar sein sollten vor allem Titel, die physisch nicht greifbar sind. So erhoffte ich mir vor allem Fachbücher, die die Versorgung der Bibliotheksbenutzer in der Fläche, die keinen schnellen Zugriff auf größere städtische Bibliotheken haben, sicherstellen würden. Das Gegenteil ist der Fall. Die Onleihe spricht ein Massenpublikum von Laien an. Beispielsweise findet man unter den juristischen Titeln vor allem Ratgeber zur Ehescheidung oder zum Verfassen von Testamenten. Die Belletristik ist nach Kriterien geordnet, die man seinem ärgsten Feind nicht zur Auswahl wünschen mag: von „Abenteuer und Reise“ über „Außenseiter“, „Diktatur und Unterdrückung“ und „Frauen“ bis hin zu “Krieg“ und „Liebe und Beziehung“. Wo man hier ein Werk von Ror Wolf oder von Kafka einordnen wollte, mag dahingestellt bleiben. Von Kafka ist lediglich „Die Verwandlung“ als Hörbuch im Ressort „Außenseiter“ vorhanden. Bücher von Brecht und Freud fehlen. Bei den Zeitungen gibt es nur zwei Titel, den Spiegel und die FAZ – aus der vergangenen Woche. Einige handverlesene UTBs. Und ein Diabetes-Schulungs-Buch war natürlich auch dabei. Titel aus kleinen Verlagen fehlen ganz. Ebenso gesellschaftskritische Veröffentlichungen. Punkt.

DRM ist tödlich. PDF-Dateien können weder mit der Apple Vorschau, dem Standard-Viewer auf dem Mac, noch mit Ghostcscript oder mit den darauf aufsetzenden Viewern betrachtet werden. Man braucht tatsächlich den Adobe Reader, den ich nur als Referenz-Applikation zum Drucken von PDFs noch installiert habe. Öffnet man die PDF-Dateien, die als ePaper und als eBook verteilt werden, mit der Vorschau, werden nur leere Seiten angezeigt. Zeitungen kann man weder auswählen und in die Zwischenablage kopieren noch ausdrucken. Zum Anfertigen einer Kopie bleibt nur die Erstellung eines Screenshots. Die überwiegende Zahl der Titel besteht aus Hörbüchern. Sie werden vorgeblich als MP3-Dateien angeboten, die dann aber in einem WMA-DRM-Container mit der Dateiendung WMA verpackt daherkommen. Ob es sich dabei überhaupt um MP3-Dateien handelt, konnte ich nicht festetellen, denn sie können weder mit dem VLC Media Player noch mit Quicktime/Flip4Mac abgespielt werden, so getestet an der DRM-geschützten Version des Hörbuchs von Richard Dawkins‘ Aufklärungsschinken „Der Gotteswahn“. Quicktime hält die Datei laut Fehlermeldung für einen „Film“, der nicht geöffnet werden könne. Die Audios können auch weder in iTunes noch auf dem iPod abgespielt werden. Und es ist auch nicht möglich, eine Hörprobe abzuspielen. Der Player im Popup-Fenster, das sich per Mausklick öffnet, bleibt genauso leer wie die DRM-geschützten Seiten in der Vorschau. Linux-Anwendern wird es nicht viel besser gehen. Wer ganz auf proprietäre Software verzichtet und mit einem der zahlreichen freien PDF-Viewer arbeitet, bleibt ganz außen vor, nicht nur beim Audio. Er darf bei der Onleihe auch nichts lesen.

Weitere Nutzungsbeschränkungen: Die Dateien können nach einer bestimmten Zeit nicht mehr geöffnet werden, der Adobe Reader zeigt dann eine Fehlermeldung an: Bei Zeitungen schon nach einer Stunde, bei Büchern ist es nach einer Woche soweit. Meinetwegen. Aber das beste kommt noch: Das Angebot wird künstlich verknappt. Jeder Titel in dem ohnehin schon sehr beschränkten Angebot ist pro Bibliothek überhaupt nur einmal ausleihbar. Wenn sich also gerade ein anderer Neu-Isenburger Benutzer für den schmalen Ratgeber über Depressionen interessiert, muß ich bis zur Ausleihe eine Woche warten, bis dessen Nutzungsfrist abgelaufen ist. Bis dahin muß ich eine Vormerkung in das System einstellen. Fehlt eigentlich nur noch, daß man die Leihkarte mit der Schreibmaschine ausfüllen, eigenhändig unterschreiben und mit der gelben Schneckenpost an eine zentrale Verwaltungsstelle verschicken müßte. Abgesehen davon, daß auf diese Weise die Nutzungsfrist für ein Buch von vier Wochen bei der physischen Ausleihe auf eine Woche ganz erheblich verkürzt wird.

Fazit: Bei der Onleihe handelt es sich um ein vollkommen überflüssiges Angebot, das ausschließlich für Windows-Anwender vollständig benutzbar ist. Es ist keine Ergänzung des bisherigen Angebots der Bibliotheken und es erspart mir auch nicht den Weg in die Bibliothek, weil ich die Bücher, die ich brauche und die mich interessieren, über die Onleihe gar nicht bekomme. Dazu paßt auch, daß der volle Umfang des ohnehin stark beschränkten Angebots mir gar nicht zur Verfügung steht, weil ich dazu den falschen Computer besitze, für den es die proprietäre Software nicht gibt, die die Onleihe mehr oder weniger stillschweigend voraussetzt. Es geht hier also nicht um die bibliothekarische Grundversorgung für alle. Es geht um einen zusätzlichen Service, auf den keiner gewartet hat und den trotzdem alle Steuerzahler mit bezahlen müssen. Mittlerweile sind dem Dienst 130 deutsche Bibliotheken angeschlossen, und die Verteilung von Inhalten im EPUB-Format hat begonnen. Dazu braucht man wiederum einen neuen Viewer: Adobe Digital Editions, das mit Adobe Flash funktioniert. Oder man verwendet einen E-Book-Reader. Was man nicht will, denn die sind ja derzeit noch eher abschreckend, wie man auf der letzten Buchmesse feststellen konnte.

Die schönsten DRM- und Fehlermeldungen, die mir bei der Nutzung der Onleihe angezeigt wurden, habe ich in meinem Flickr-Account in einem eigenen Album gesammelt, damit andere Nutzer davon einen Eindruck erhalten können. Die Screenshots stehen unter CC-by-Lizenz.

13 Kommentare zu „Ernüchternde Erfahrungen mit der Onleihe“

  1. Sehr geehrter Herr Fenn,

    zu Ihrem Artikel über die Onleihe kurz ein paar Anmerkungen aus Sicht des Anbieters (ich bin Bibliothekarischer Direktor bei der DiViBib GmbH). Sie schreiben zum Inhaltsangebot:

    „…So erhoffte ich mir vor allem Fachbücher, die die Versorgung der Bibliotheksbenutzer in der Fläche, die keinen schnellen Zugriff auf größere städtische Bibliotheken haben, sicherstellen würden. Das Gegenteil ist der Fall. Die Onleihe spricht ein Massenpublikum von Laien an…“

    Genauso ist es – zur Erinnerung: Die Stadtbibliothek Neu-Isenburg ist eine Öffentliche Bibliothek, die von Bürgerinnen und Bürgern, also von „Laien“, wie Sie schreiben, genutzt wird. Es wäre wenig konsistent, wenn diese Einrichtung im physischen Bereich auf populäre Bestseller und Ratgeber setzt und in der digitalen Welt auf einmal wissenschaftliche Spezialliteratur anbieten würde. Grundsätzlich können Sie aber natürlich Titelwünsche gern an die Bibliothek richten – dort wird die Auswahl des jeweiligen (digitalen) Bestands getroffen.

    Was die Nutzung eines DRMs betrifft, so werden hier oft der Einsatz eines DRMs für Kaufinhalte, über den man geteilter Meinung sein kann, und für Verleihinhalte verwechselt. Ein DRM ist die entscheidende Voraussetzung dafür, dass so etwas wie ein Verleihmodell im digitalen Bereich funktionieren kann, denn nur mit dieser Technologie lässt sich ein digitaler Titel mit einer Leihfrist versehen. Dabei streben wir natürlich die größtmögliche Plattformunabhängigkeit an – so ist das Adobe-DRM, das wir im Bereich der E-Books einsetzen, auch kein „Windows-DRM“, sondern auch auf Apple- und vielen Linux-Rechnern nutzbar. Im Bereich von Hör- und Videoinhalten ist das derzeit nicht möglich, da Apple sein DRM („Fairplay“) für Dritte nicht freigibt – sonst hätten wir das längst implementiert.

    Zu guter Letzt: Ein Lizenzmodell, bei dem eine Lizenz beliebig oft parallel ausgeliehen werden kann, wäre natürlich technisch ohne weiteres möglich, würde aber von einem Verlag niemals zu einem Preis an eine Bibliothek gegeben werden, der mit dem Preis eines physischen Titels vergleichbar ist – eine solche Lizenz würde ein Vielfaches kosten. Damit wäre dann einer Bibliothek mit ihrem begrenzten Etat nur der Ankauf weniger Titel möglich, was wiederum zu Lasten der Titelbreite gehen würde.

    Ein digitales Angebot wie die Onleihe ist grundsätzlich nur dadurch möglich, dass sowohl die Interessen der Bibliotheken und ihrer Nutzer als auch die der Verlage berücksichtigt werden. Und Interessenausgleich bedeutet eben leider nicht die Verwirklichung von Maximalvorstellungen der jeweiligen Parteien (wie unbegrenzt hoher Preis, unbegrenzt viele Titel, unbegrenzte Verfügbarkeit usw.), sondern die Findung eines Mittelwegs. Dass dieser in Form der Onleihe funktioniert, zeigen uns z.B. 100.000 digitale Ausleihen in 14 Monaten in Berlin sowie die stetig steigende Nutzung bei allen Onleihen.

    Vielleicht haben meine Erläuterungen ja geholfen, das Warum der von Ihnen kritisierten Punkte ein wenig zu erläutern. Bei weiteren Fragen stehe ich Ihnen gern zur Verfügung!

    Mit freundlichen Grüßen

    Christian Hasiewicz

  2. Für Ihre Erläuterungen bedanke ich mich sehr herzlich. Dazu möchte ich gerne folgendes ergänzen:

    Die Stadtbibliothek Neu-Isenburg ist nicht irgendeine Provinz-Bücherei, sondern seit langem eine der bundesweit führenden öffentlichen Bibliotheken. Es gibt dort ein sehr umfangreiches Medienangebot, das ständig auf dem neuesten Stand gehalten wird: nicht nur Massenware, sondern auch anspruchsvolle Belletristik sowie Sach- und Fachbücher, einschließlich Studienliteratur. Es ist deshalb ganz und gar nicht abwegig, wenn ich im Online-Bereich denselben Standard erwarte.

    Und was den Einsatz von proprietärem DRM angeht, so bin ich in der Tat der Auffassung, daß es nicht angehen kann, daß Steuergelder für eine Technik ausgegeben werden, die nur bestimmten Anwendern offen steht und die insbesondere die Anwender freier Software diskriminiert. Wie man sieht, ist sogar der Apple Macintosh betroffen, zumindest was die Abspielbarkeit der Audiodateien angeht (Hörbücher und Sprachkurse). Das kann man auch nicht Apple anlasten. Bei GNU Linux oder bei einer BSD-Plattform würden Sie wahrscheinlich auch nicht sagen, daß es an diesen liege, ein geschlossenes DRM à la Microsoft zu implementieren und die Schnittstellen offenzulegen. Wenn es nur so gehen sollte, wäre der richtige Weg, so etwas wie die Onleihe eben nicht durchzuführen. Wie man sieht, gibt es auch gute inhaltliche und sonstige organisatorische Gründe, die dagegen sprechen, insbesondere auch die sehr viel kürzeren Leihfristen als im übrigen Ausleihebetrieb.

    Es ist mir auch unverständlich, warum Sie an der technischen Seite, die, wie ich ja aufgezeigt hatte, von Anfang an massiv und völlig berechtigterweise kritisiert worden war, bis heute nichts geändert haben. Seitdem sind über zwei Jahre vergangen, und die Kritik aus netzpolitischer Sicht ist genau dieselbe geblieben.

    Die Onleihe bietet nach alledem keinerlei Vorteile, sondern nur ganz erhebliche Nachteile. Ich kann deshalb beim besten Willen nicht erkennen, warum hierfür öffentliche Mittel ausgegeben werden. Die öffentlichen und die wissenschaftlichen Bibliotheken haben einen Auftrag zur Versorgung der Bevölkerung und der Wissenschaft mit Informationen. Angesichts der fortschreitenden Verramschung des Buchhandels, kommt den Bibliotheken dabei ein Bildungs- und ein allgemeiner Kulturauftrag zu. Dieser ist vorrangig sicherzustellen. Es kann nicht angehen, daß hier erhebliche Mittel für solche Wolkenkuckucksheime ausgegeben werden. Wenn Sie sich auf die Bedeutung der Onleihe in Berlin beziehen, so dürfte das allein der miserablen Lage im öffentlichen Sektor in der Stadt zuzuschreiben sein, denn Berlin ist bekanntlich seit langem schon praktisch pleite, was sich vor allem im Bildungssektor zeigt.

    Was bleibt ist, daß die Onleihe letztlich nur eines ist: Ein weiteres Rationalisierungsinstrument, mit dem das Ausleihepersonal und die Magazinpflege eingespart werden sollen, und das auf Kosten der Bibliotheksbenutzer. Auch unter Bibliothekaren ist die Onleihe sehr umstritten, wie die Diskussionen vor allem in der InetBib-Liste zeigen. Bitte bedenken Sie auch, daß die Bereitstellung eines Computers und eines DSL-Anschlusses weiterhin nicht im Grundsicherungs- und Sozialhilferegelsatz enthalten sind, so daß wir hier ohnehin nur über ein Luxus-Angebot für die bürgerliche Mittelschicht aufwärts sprechen.

  3. Sehr geehrter Herr Fenn,

    vielen Dank nochmal für die Präzisierung Ihrer Argumentation. An der grundsätzlichen Stelle kommen wir wohl nicht zusammen: Sie sind der Meinung, dass öffentliche Bibliotheken, wenn sie denn nicht ein digitales Angebot anbieten können, das DRM-frei ist und auf allen Plattformen nutzbar ist, eben gar nichts im digitalen Bereich anbieten sollen/dürfen. Das bedeutet dann, alle dementsprechende Angebote (das sagen sie nicht, aber das ist die Konsequenz daraus) Anbietern wie Apple, Amazon und Google überlassen. Weil ein Teil der potenziellen Nutzer ausgeschlossen sind, sollen ALLE Nutzer von solchen Bibliotheksangeboten ausgeschlossen werden. Das gilt dann auch z.B. für alle US-amerikanischen Bibliotheken, welche in diesem Bereich ebenfalls eine DRM-Lösung einsetzen.

    Ich (und ich bin „von Haus aus“ Bibliothekar) bin dagegen ganz entschieden der Meinung, dass öffentliche Bibliotheken im digitalen Bereich präsent sein sollten und müssen – gerade UM möglichst vielen Menschen Zugang zu den neuen Medienformen zu geben und Medienkompetenz auch im digitalen Bereich zu vermitteln. E-Book-Reader mögen noch verbesserungsfähig sein, aber trotzdem sollte man doch jedem Gelegenheit geben, selbst einmal einen solchen auszuprobieren oder ein E-Books auszuleihen/zu lesen/drucken usw.

    Verständnisfrage zum Thema Plattformunabhängigkeit: Verlangen Sie von Ihrer Bibliothek auch, dass jeder Softwaretitel für einen Windowsrechner auch für Mac, Linux, Playstation, X-Box etc. vorgehalten wird? Dass jede DVD auch als Blu-ray und VHS-Kassette bereitgestellt wird? Ich pointiere hier bewusst etwas, denn darum geht es – statt zu sehen, dass 90 % der Internetnutzer etwas nutzen können, wird beklagt, dass es 10 % nicht können. Natürlich haben wir ein Interesse daran, auch die restlichen 10 Prozent zu erreichen – nur liegt das nicht in unserer Hand, sonst hätten wir in den vergangenen Jahren schon etwas daran geändert.

    Die Kritik mit dem „Luxusangebot“ wundert mich übrigens, gerade wenn es um die Bibliothek geht – wer als Nutzer keinen eigenen Rechner hat, kann ja gerade in die Bibliothek gehen und mit seinem Bibliotheksausweis an einem der dortigen Rechner die Onleihe nutzen! Überhaupt sind Sie mit Ihrer Argumentation nicht ganz konsistent – einmal ist es Verschwendung von Steuergeldern, ein anderes Mal ein Rationalisierungsangebot (was dann ja Einsparungen bedeuten würde).

    Wir sehen dagegen die Onleihe als die Möglichkeit, unter anderem Menschen für die öffentliche Bibliothek zu gewinnen, die keine Kunden (mehr) sind. Dazu gehören Berufstätige ebenso wie Ältere, die nicht mehr so mobil sind. Studien haben herausgefunden, dass genau diese Zielgruppen auch über die Onleihe angesprochen werden. Nun: Letztendlich entscheiden ja die Nutzer darüber, ob die Onleihe angenommen wird bzw. eine sinnvolle Investition von Steuermitteln ist oder nicht. Die Zahlen sprechen jedenfalls dafür.

    Noch etwas zum Thema Diskussion über die Onleihe – ich sehe, dass die Kritik häufig von Vertretern wissenschaftlicher Bibliothek kommt. Dabei wird vielleicht übersehen: In vielen wissenschaftlichen Disziplinen mag Open Access und freie Verfügbarkeit eine zu erwägende Option sein – im Bereich aktueller Titel populärer Titel/aktueller Inhalte ist sie es nicht. Die Titel der Spiegel-Beststellerliste gibt es nicht als Open Access-Angebot, und das wird wohl auch so bleiben. Ich freue mich jedenfalls, dass wir über die Onleihe eine wachsende Zahl von Bestsellern auch digital den Nutzern öffentlicher Bibliothek zur Verfügung stellen können.

    Mit freundlichen Grüßen

    Christian Hasiewicz

  4. Rationalisierung im öffentlichen Bereich ist nichts Positives. Sie kommt den Staat immer teurer als die Ersparnis, die dabei entsteht, denn die Arbeitsplätze, die dort eingespart werden, sind ja die Arbeitslosen, die dadurch geschaffen werden. Daher mein Link zur Erinnerung an die damalige Diskussion auf InetBib. Zunächst wird investiert, es entstehen laufende Kosten, wieder fallen Arbeitsplätze in den Bibliotheken weg, und am Ende gibt es nur noch ein Online-Angebot. Das wäre doch so etwa das Szenario, auf das es hinausliefe.

    Es ist niemals ein Zugewinn an Freiheit und an Möglichkeiten, wenn öffentliche Stellen sich einer proprietären Technik anheimgeben. Die Zielgruppe der Älteren, die nicht mehr mobil sind, gehört mit Sicherheit bis auf weiteres nicht zu den Internet-Nutzern. Und die Vorstellung, man könne Inhalte an bibliotheksferne Bevölkerungsgruppen auf diese Weise vertreiben, ist nach meinem Dafürhalten ebenfalls abwegig. Denn wer liest, muß nicht mehr für das Lesen „geworben“ werden. Und wer nicht oder nicht mehr liest, der muß auch erst einmal die Schwelle zur Bibliothek überschreiten, um sich dort anzumelden, damit er den Online-Service nutzen könnte. Es ist doch eher unwahrscheinlich, daß hier neue Benutzerkreise einbezogen werden könnten.

    Es ist eine Selbstverständlichkeit, daß Dienste, die der Staat bereitstellt, plattformunabhängig nutzbar sein müssen. Denken Sie nur einmal an die Finanzbehörden mit Elster-Online oder an die Justiz und an das elektronische Gerichtsfach. Es wäre ja noch schöner, wenn man zur Abgabe der Umsatzsteuerervoranmeldung oder zum Einreichen eines Schriftsatzes bei Gericht sich einer bestimmten Plattform bedienen müßte.

    Die Bibliotheken machen sich hier durch die Investitionen in dem Bereich (denen Streichungen an anderer Stelle entsprechen bzw. bald entsprechen werden) von einer Technik abhängig, die ihnen von den Verlagen und von bestimmten proprietären Softwareherstellern vorgestellt wird. Damit werden gleichzeitig andere Wettbewerber übergangen.

    Man sieht, daß die Onleihe sehr viele gesellschaftspolitische, wirtschaftliche und technische Aspekte berührt, die man ad hoc sicherlich nicht abschließend diskutieren kann. Man sieht auch, daß die Diskussion der letzten zwei Jahre, die man sehr schön über die Bookmarks in der Bibliothek-2.0-Gruppe bei BibSonomy zurückverfolgen kann, von Anfang all dies bereits aufgegriffen hatte und daß sich ein aufgeklärter Standpunkt zu den Fragen bis heute leider nicht hat durchsetzen können.

  5. Sehr geehrter Herr Fenn,

    ich beende die Diskussion meinerseits an dieser Stelle, da Sie sich immer neue Gründe einfallen lassen, warum Sie die Onleihe ablehnen (was ja auch Ihr gutes Recht ist), Sie auf meine Argumente allerdings gar nicht eingehen.

    Nur noch zwei Dinge:

    1) Aus meiner Sicht ist es der Auftrag der öffentlichen Bibliotheken, die Medienrealität der Bevölkerung wiederzuspiegeln und ihnen einen Zugang zu aktuellen Inhalten zu gewährleisten – und wenn diese Inhalte mehr und mehr digital genutzt werden (und das werden sie), können Bibliotheken nicht aus dogmatischen Gründen auf der Stelle treten. Öffentliche Bibliotheken haben aus meiner Sicht nur EINE Chance, zukünftig attraktiv zu bleiben – indem sie sowohl als Ort als auch virtuell ihr Angebot weiterentwickeln und auf beiden Ebenen Exzellenz zeigen. Dann wird dort auch nichts „wegrationalisiert“, sondern im Gegenteil, neue Bibliotheken gebaut (wie z.B. in Krefeld, Augsburg und Salzburg, alles neue attraktive Bibliotheken, die AUCH die Onleihe einsetzen).

    2) Mit Ihrer Einschätzung, „Die Zielgruppe der Älteren, die nicht mehr mobil sind, gehört mit Sicherheit bis auf weiteres nicht zu den Internet-Nutzern“, liegen Sie leider völlig falsch. Zwar sind derzeit „erst“ 27 % der über 60jährigen online, aber das sind quantiativ 5,3 Mio. Nutzer (s. http://bit.ly/1yPMvA). Bitte unterschätzen Sie die Medienkompetenz dieser Zielgruppe nicht!

    Mit freundlichen Grüßen

    Christian Hasiewicz

  6. Wie steht es mit gemeinfreien Inhalten? Da Kafka angesprochen wurde, die Werke dieses Autors sind gemeinfrei. Wie jfenn beschreibt ist per Onleihe aber nur ein Hörbuch verfügbar, welches bei der Aufnahme eigene Rechte erhält also nicht gemeinfrei ist. Die Bibliotheken müssten aber die Möglichkeit haben, ihren Bestand an gemeinfreien Büchern digital ohne DRM anzubieten. Wird von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht oder ist dies geplant?

  7. Meines Wissens gibt es keine Initiative, gemeinfreie Inhalte (Texte, Musik) für Bibliotheken nutzbar zu machen. Außer Wikipedia Commons, Wikisource, Projekt Gutenberg usw. fallen mir keine Quellen ein. Der Staat hält sich hier sehr zurück. Das heißt, was nicht aus privater Initiative aus staatlichen Quellen „befreit“ werden kann, ist weiterhin nicht zugänglich. Und ich möchte wetten, daß sie im Hause Onleihe an diese Möglichkeit noch nicht einmal im Traum gedacht haben dürften. 😦

  8. Man kann klipp und klar sagen: Es gibt keine öffentlichen Bibliotheken, die selbst digitalisieren. Ich klammere mal die Beteiligung der Stadtbibliothek Mainz an Dilibri und die Nürnberger Hausbücher aus. Viele Stadtbibliotheken haben einen wertvollen Altbestand, und in Frankreich machen einige dieser Bibliotheken Inhalte daraus auch digital zugänglich. Der Erfolg der Onleihe zeigt, dass die Bibliotheken da ganz „kommerziell ticken“ und Kooperationen etwa mit Wikisource nicht im entferntesten ins Kalkül ziehen. Wenns um lokale Inhalte geht, fühlen sich Stadtbüchereien ohnehin nicht zuständig.

  9. Und wenn man den wertvollen Altbestand mal ausklammert und das auswählt, was viele interessiert: Literatur als nationales Kulturgut für alle Welt in einer digitalen Ausgabe online zu stellen, wäre ja schon einmal eine Tat. Die klassische Moderne wird nach und nach gemeinfrei. Tucholsky und Kafka sind es schon. Sternheim auch demnächst. Es wäre also Raum für eine digitale Werkausgabe. Und nun komme uns niemand und behaupte, der Fischer-Verlag würde dann auch nur ein Taschenbuch weniger verkaufen, wenn es das gäbe! In unserem Kulturwesen wären dafür zuständig: Die Bibliotheken. Und die onleihen lieber mit Hörbüchern unter Windows.

  10. Sehr geehrter Herr Fenn,

    Sie schließen eine Wette ab, dass wir noch nie über die Integration freier Inhalte nachgedacht haben? Wenn sie um einen guten Rheingauer Riesling wetten, bin ich dabei – Fakt ist nämlich, dass dieses Thema nicht nur bei unserer letzten Anwenderkonferenz diskutiert wurde, sondern schon ein Arbeitsthema war, bevor es die Onleihe überhaupt gab.

    Ich fände es absolut sinnvoll, wenn Bibliotheken freie Inhalte wie Gutenberg.org et al. nachweisen würden. Dazu braucht es auch nicht den von Ihnen berufenen „Staat“, sondern es bräuchte „nur“ eine Katalogisierungsinitiative – schließlich ließen sich zu solchen Quellen ohne weiteres Katalogisate erstellen inklusive Verlinkung, die dann in den Bibliotheks-OPACs nachgewiesen werden könnten. Wir überlegen auch, wie wir diese Titel in die Onleihe integrieren können – evtl. über Integration in den Suchindex. Mehr dazu in 2010.

    Aber zugleich nochmals die Differenzierung: Ein digitaler Bestand öffentlicher Bibliotheken, der nur aus gemeinfreien Werken besteht, wäre für den Durchschnittsnutzer ebensowenig attraktiv, wie ein physischer Bestand, der nur aus Klassikerausgaben besteht. In beiden Bereichen braucht es aktuelle Titel, wir reden hier wie gesagt von öffentlichen Bibliotheken. Und für den Fall, dass Sie mir ein Modell zeigen, wie öffentliche Bibliotheken solche aktuellen Inhalte von namhaften Verlagen ohne DRM anbieten können, setze ich hier eine Flasche Riesling – erstes Gewächs!

    Freundliche Grüße

    Christian Hasiewicz

  11. Es freut mich ja wirklich sehr, Herr Hasiewicz, daß Sie dem Weine so zugeneigt sind und daß Sie auch so konkrete Vorstellungen davon haben, welche Anforderungen die Nutzer an eine Online-Bibliothek stellen. Ich denke aber, daß es hier nicht nur darum gehen sollte, Inhalte aus irgendwelchen mehr oder weniger zuverlässigen Projekten à la Gutenberg nachzuweisen, denn dies alles gibt es ja schon, nämlich bei den jeweiligen Projekten, und wer danach sucht, kann sich ebenda bedienen.

    Es ist jedenfalls kein gutes Zeichen, daß das Projekt ausschließlich mit unfreien Inhalten gestartet wurde, und die Fixierung auf diesen Weg haben Sie ja dann auch leider mit Ihrer Verteidigungsrede gerade noch einmal sehr ausführlich demonstriert. Auch hier denken Sie — im letzten Absatz — wiederum vor allem an Klassikerausgaben, die von den Verlagen übernommen werden sollen.

    Wofür haben wir, bitte, Universitäten und Bibliotheken in Deutschland? Was ist deren Aufgabe? Was machen unsere Germanisten, was machen unsere Bibliothekare?

    Die Sammlung und Bereitstellung von gemeinfreien Texten der deutschen Literatur ist durchaus eine öffentliche Aufgabe.

    Und damit fängt es an. Dann kann auch der ganze übrige kommerzielle Kram kommen, den ich derzeit in der Onleihe vorfinde und der das alles so langweilig macht. Es ist ja nicht nur so, daß ich die vielen Hörbücher darin auf meiner Plattform gar nicht anhören kann, selbst wenn ich es könnte, sie würden mich nicht im mindesten interessieren. Die Bücher, die ich dort vorgefunden habe, würde ich auch nicht als papierenes Buch ausleihen wollen. Habe mich selten so gelangweilt wie in diesem Katalog, der sich leider genau so verramscht darstellt wie der größte Teil unseres Buchhandels, das habe ich oben schon einmal angemerkt. Ich verstehe deshalb auch gar nicht, was Sie da eigentlich so vehement verteidigen wollen?

    Aber es ist auch ganz schlicht unsäglich, daß Sie hier für eine öffentliche Stelle auftreten und frei heraus erklären, es sei nichts dabei, wenn so ein Projekt wie das Ihre von vornherein mit unfreien Inhalten aufgezogen werde — zunächst nur in technischer Hinsicht, und dann, auf den Einwand von Mnementh hin, auch aus urheberrechtlicher Sicht. Auch Ihr Argument „Wir machen, was technisch geht, und wenn es nur so geht, dann machen wir es lieber proprietär, als daß wir ganz auf das Projekt verzichten“ ist schlicht indiskutabel. Wenn ein Verlag selbst herginge und solche Downloads zu Werbezwecken bereitstellen würde, könnte ich es verstehen. Dann soll er aber, bitte, auch die Kosten dafür tragen. Die gehen bei diesem Modell aber einseitig zulasten der Allgemeinheit. Und wenn die Verlags aus eigener Initiative keinen Anlaß sehen, so etwas aufzuziehen, kann es keinen Grund geben, ihnen das aus öffentlichen Mitteln zu finanzieren, denn dieser Förderung bedürfen sie nicht. Mit „Bibliothek“ hat das, was ich hier vorgefunden habe, jedenfalls nach meinem Verständnis überhaupt nichts zu tun.

  12. Sehr geehrter Herr Fenn,

    ich habe ja verstanden, dass Sie lieber Sternheim und Kafka in der öffentlichen Bibliothek haben wollen als „Gut gegen Nordwind“ und „Bis(s) zum Morgengrauen“ – die Mehrheit der Bibliotheksnutzer sieht das wohl leider anders. Ich habe ja auch gar nichts gegen Klassikereditionen und dementsprechende Digitalisierungsprojekte, nur: Was bitte hat das mit öffentlichen Bibliotheken zu tun? Erlauben Sie mir eine Vermutung: Sie haben den Unterschied zwischen wissenschaftlichen und öffentlichen Bibliotheken vielleicht nicht ganz verstanden. Sonst würden Sie sich z.B. eher an die Deutsche Nationalbibliothek wenden, die für solche Projekte wie von Ihnen vorgeschlagen (digitale Klassikereditionen) aus meiner Sicht der erste Ansprechpartner wäre.

    Und nochmal: Wenn man Ihrem Modell (Bibliotheken sollen sich im digitalen Bereich bitteschön auf gemeinfreie Inhalte konzentrieren), in der Konsequenz folgt, dann bedeutet dass: An _aktuelle_ digitale Inhalte kommt man nur noch gegen unmittelbare Bezahlung, weil sie über öffentliche Bibliotheken nicht mehr zugänglich sind. Wie verträgt sich das mit Ihrem gesellschaftlichen Gerechtigkeitsanspruch? Diesen Ihren Widerspruch lösen Sie nicht auf, und daher hat es auch keinen Sinn, weiter zu diskutieren.

    Auch wenn wir da nicht zusammenkommen: Ich wünsche auch Ihnen, dass Sie in Ihrer Stadtbibliothek ein Mehrwertangebot sehen, ob physisch oder digital. In einem Punkt gebe ich Ihnen nämlich Recht: Die Stadtbibliothek Neu-Isenburg IST eine exzellente Bibliothek!

    Mit freundlichen Grüßen, gute Nacht

    Christian Hasiewicz

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