„Wohin mit dem Protest? Von der Zukunft unserer Demokratie“ – Frankfurter Stadtgespräch V

Es war ein interessanter Abend im Frankfurter Kunstverein, wo Erhard Eppler und der Politologe Peter Niesen von der TU Darmstadt im neu eröffneten Café des Hauses über „die Zukunft unserer Demokratie“ diskutierten. Die Reihe Frankfurter Stadtgespräch wird vom Exzellenzcluster „Die Herausbildung normativer Ordnungen“ an der Universität Frankfurt mehrmals jährlich veranstaltet. Das Publikum war teils studentisch, teils bürgerlich, jedenfalls rot-grün geprägt, und man zeigte sich sehr am Thema interessiert.

Ausgangspunkt des Gesprächs waren die Proteste gegen den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs, durch die der Begriff Wutbürger zum Wort des Jahres 2010 geworden war. Die lang anhaltenden und intensiven Proteste markieren eine Wende in der passiven und durch „Politikverdrossenheit“ gekennzeichneten Haltung großer Teile der Bevölkerung gegenüber politischen Entscheidungen. Man engagiert sich wieder – beziehungeweise erneut. Auch die Anti-Atomkraft-Bewegung erhielt in der Folge wieder sehr viel mehr Zulauf als vorher. Ein weiteres Beispiel in dieser Reihe sei der Hamburger Volksentscheid, mit dem im vergangenen Jahr die Schulreform verhindert worden war.

Das Panel zeigte sich gegenüber der direkten Demokratie aufgeschlossen und optimistisch, wobei Erhard Eppler die Abläufe um „Stuttgart 21“ als Ausnahmefall beschrieb, bei dem es über mehrere Jahre hinweg zu einer völligen Entkoppelung von Politik und Bürgern gekommen sei. Daneben gebe es aber eine allgemeine und sehr nachhaltige Krise der Demokratie, und Eppler ist der Ansicht, Volksbegehren und Volksentscheide könnten hieraus ein Ausweg sein, letztlich um den Primat der Politik wieder herzustellen. Volksabstimmungen eröffneten (allein noch?) die Chance, den erheblichen Vertrauensverlust in die Demokratie zu beheben: Drei Viertel der Menschen in Deutschland seien Umfragen zufolge der Meinung, es gehe in der Gesellschaft ungerecht zu, und die Hälfte hiervon sei zudem der Ansicht, hieran werde sich auch nichts mehr ändern. Eine solche Kluft zwischen Anspruch (sozialer Rechtsstaat) und Wirklichkeit könne keine Demokratie auf Dauer durchhalten, sie entziehe ihr langfristig die Legitimation. Außerdem hätten Volksabstimmungen eine befriedende Funktion, auch die Wirtschaft fühle sich an sie gebunden.

Zweifel an diesen Thesen traten in der Diskussion mit dem Publikum zutage, in der darauf hingewiesen wurde, daß vor allem das gut situierte Bürgertum an Wahlen und Abstimmungen teilnehme, die schlechter gestellten Bürger seien in der Minderheit. Insbesondere sozialpolitische Themen würden kaum in den erwähnten Formen politischen Protests verarbeitet. Die Montagsdemonstrationen gegen die Hartz-Gesetzgebung seien sang- und klanglos unter dem Poltern des Basta-Kanzlers Schröder ausgelaufen. Peter Niesen gab zu, Belange wie beispielsweise der Tierschutz seien sicherlich gut beim Bürgertum aufgehoben, andere seien diesem Kreis aber durchaus weniger wichtig. Inwieweit soziale Themen in der direkten Demokratie benachteiligt seien, sei bisher aber noch nicht erforscht worden. Er nehme die Frage aus der Veranstaltung gerne mit und wolle sie in seine weitere Arbeit einfließen lassen.

Andere Stimmen wiesen ebenfalls auf die zunehmende soziale Ungerechtigkeit als Ursache für den jüngern Protest hin, aber es war auch von praktischen Erfahrungen bei öffentlichen Bauvorhaben in der Schweiz die Rede: Weil alle Entscheidungen durch einen Bürgerentscheid abgesegnet werden müßten, werde das bei der Planung von vornherein berücksichtigt, berichtete ein Bauingenieur im Publikum. Deshalb würden von vornherein nur solche Lösungen erwogen, bei denen kein nennenswerter Widerstand in der Bevölkerung zu erwarten sei.

Die Veranstaltungsreihe wird im Juni fortgesetzt.

Ein Gedanke zu „„Wohin mit dem Protest? Von der Zukunft unserer Demokratie“ – Frankfurter Stadtgespräch V“

  1. Wie es scheint, war das eine interessante Runde dort in der TU. Es ist ja eine Schande, dass ich sowas immer erst mitbekomme, wenn es zu spät ist. Ich muss mich da besser organisieren ..

    Politikverdrossenheit vs. neues Interesse an politischer Teilhabe

    Wenn ich Deine Zusammenfassung der Veranstaltung so durchlese, dann bin ich im ersten Moment sehr froh. Es scheint tatsächlich sowas zu geben wie eine Re-Politisierung. Das ist eine wirklich gute Nachricht. Beim Lesen habe ich aber auch gleich Fragen bzw. ich schleppe so manche Skeptizismen mit mir herum. Auch ich beobachte, dass diese Re-Politisierung nur Teile der Gesellschaft erreicht. Auch ich stelle fest, dass ein mindestens gefühlt immer größerer Teil hierzulande sich abgehängt fühlt. Viel zu oft hab ich die Eindruck, dass dies auch so ist. Lustigerweise stehen Leute wie Erhard Eppler für eine Politiker-Generation, die nicht Politik für Zielgruppen gemacht hat, sondern stattdessen Politik für das ganze Land. Ich will nicht gleich auf die Politiker einhauen, denn dieser Gesamtvorwurf trifft auch viele, die heutzutage immernoch mit viel Herzblut und innerer Überzeugung ans Werk gehen. Zudem ist das Politikmachen für eine Gruppe nicht den Politikern vorbehalten. Auch immer mehr Bürger fühlen sich als Teil einer kleinen Gruppe. Sie wollen für diese Gruppe Dinge erreichen und wenn dabei andere auf der Strecke bleiben, dann wird das akzeptiert. Ich erschrecke immernoch, wenn ich solche Verhaltensweise bemerke. Gerade ganz junge Leute haben da erstaunlich wenig Skrupel. Aber, natürlich liegt der Fehler nicht im Geburtsjahr begründet ;). Es fällt mir nur auf und es stößt mich ab. Es stößt mich ab, weil ich nicht glaube, dass wir als Gesellschaft so weiterkommen.

    Neue Instrumente für mehr Mitbestimmung

    Ich habe per Freundeskreis einen ganz guten Zugang zur Schweiz und auch zu Deutschen, die am Bodensee leben und eine direkte Sicht auf die Schweizer Verhältnisse haben, mit allen positiven wie negativen Details. Insgesamt möchte ich meinen, dass uns die Schweizer viel voraus haben in Sachen Direkte Demokratie (ich meine hier: Volksbegehren etc.). Vollkommen zurecht wurde, wenn ich es richtig verstande habe, angemerkt, dass wir hier in Deutschland ja durchaus wenig Infrastruktur haben, damit öffentliche Projekte wie S21 o.ä. von einem frühen Zeitpunkt an und quasi automatisch in jedem Schritt der Öffentlichkeit wiedervorgelegt werden. Ich will diesbezüglich gar keine Angriffe starten, sondern stattdessen pragmatisch einfordern, dass wir jetzt offenbar ein größeres Bedürfnis haben, Dinge zu prüfen. Wir wollen gefragt werden und wir wollen, dass unsere Meinungen in die Projekte einfliessen. Wir sollten also meiner Meinung nach unsere Gesetzgebung dahingehend anpassen. Dass die Politik derzeitiger Prägung das nicht will, ist klar. Sie verlieren an Einfluss und sie verlieren definitiv an Macht. Genau diesen Effekt kann man in der Schweiz anschauen. Dort sind Politiker — ich überzeichne das ein wenig — gutbezahlte Manager, die idealerweise umsetzen, was das Volk will. Wie gesagt: ich sehe da auch Gefahren, will aber aktuell vor allem die positiven Aspekte dieser Berufsauffassung herausstellen. Ich würde mich jedenfalls sehr freuen, wenn unsere Politik mehr schauen würde, was nötig ist und sinnvoll. Immens wichtig ist es, dass wir wieder mehr daran arbeiten, eine Gesellschaft zu werden. Eine neue Klassengesellschaft, wie wir sie derzeit defacto (er)leben, ist aus meiner Sicht zutiefst inhuman und sie ist am Ende sogar für den wenigen oben nicht sinnvoll.

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