Eindrücke von der Frankfurter Buchmesse 2009

Soviel Polizei war noch nicht hier, seit ich die Frankfurter Buchmesse regelmäßig besuche. Jeder, der heute morgen eine Tasche mitbrachte, wurden vor dem Eingang der Messe von einem Polizisten in kugelsicherer Weste durchsucht. Eine Broschüre weist darauf hin, es würden auch auf dem weiteren Messegelände Personenkontrollen durchgeführt. Polizeistreifen sind ostentativ unterwegs. Erst am späten Nachmittag läßt die uniformierte Präsenz dann auffällig nach. Ich muß unwillkürlich an den Hinweis einer Justizangestellten während meines Referendariats zurückdenken: Wenn sie einen Anschlag an einem Gericht verüben wollte, würde sie dies in der Zeit zwischen dem Dienstende des Pförtners und dem Gebäudeschluß machen – dazwischen lagen gute 45 Minuten, während derer der Eingang des Gebäudes gänzlich unbewacht war.

Mir scheint, es waren heute weniger Besucher unterwegs als in den Vorjahren am Buchmessensamstag. Ich schließe dies daraus, daß man trotz gleichgebliebenem Abstand zwischen den Messeständen sich heute nicht so bedrängt fühlte. Es war mehr Platz vorhanden, um sich zu bewegen, und man kam sehr leicht an die Bücher heran, auch bei viel besuchten Ständen. Erst gegen Mittag wurde es dann etwas voller. Aber auch auf dem Rückweg war es bei weitem nicht so eng auf dem Bahnsteig der S-Bahn.

Wie in jedem Jahr, betrat ich auch diesmal die Messe an einer anderen Stelle und bahnte mir den Weg durch die Hallen in einer neuen Reihenfolge. Ich begann in Halle 4, aber nicht von der Suhrkamp-Seite her, sondern von der Gegenseite, am anderen Eingang, direkt von der S-Bahn kommend. Herrlich war hier gleich zu Anfang der Stand von Zweitausendeins, an dem nicht nur sehr schöne Neuausgaben von Klassikern aus dem „Haffmans-Verlag bei Zweitausendeins“ zu sehen waren, sondern auch eine Hommage an das Billy-Regal, das in diesem Jahr bekanntlich 30 Jahr‘ alt wurde: Alle Bücher wurden in Billy-Regalen ausgestellt, teils mit Glastüren versehen und allesamt meisterlich aufgebaut. Dessen ansichtig, waren wir uns einig: Man fühlte sich hier gleich ganz wie zu Hause.

Am Suhrkamp-Stand wurde ich ziemlich professionell photographiert, als ich mit Rucksack dasitzend in dem neuen Buch von Zygmunt Bauman „Gemeinschaften“ las. Das Bild konnte ich aber heute abend (noch?) nicht online finden.

Der riesige Hörbuchbereich schien mir übertrieben, zieht aber viele andere Besucher an.

Bei den wissenschaftlichen Verlagen führte ich ein sehr interessantes Gespräch am Stand des Springer Verlags. Der zweite Band zu der neuen LaTeX-Trilogie von Braune, Lammarsch und Lammarsch soll leider erst im nächsten Jahr erscheinen. Wir sprachen aber auch über die Entwicklung von Print- und Online-Veröffentlichungen auf dem wissenschaftlichen Buchmarkt allgemein. Als ich auf die Diskussion um Hybrid-Veröffentlichungen und die These hinwies, Online-Veröffentlichungen seien verkaufsfördernd, was vor allem in der Inetbib-Mailingliste immer wieder vertreten wird, führte die Springer-Mitarbeiterin aus, dies gelte nicht allgemein für die Bücher ihres Verlags. Die Verkäufe von Print seien in Nordamerika sehr stark zurückgegangen. In Europa sei der Rückgang ebenfalls merklich, wenn auch etwas geringer. Nur im Nahen Osten und in Asien würden gedruckte Bücher nach wie vor in größerem Umfang angeschafft. Dies habe vor allem zwei Gründe: Einerseits seien Bücher, und vor allem ausländische Fachbücher, dort weiterhin ein Statussymbol. Andererseits sei die Internet-Anbindung in vielen Ländern sehr schlecht, so daß der Download großer Dateien sehr lang dauere. Im Springer-Büro in Neu-Delhi falle jeden Tag für gut drei Stunden der Strom aus. Unter solchen Umständen ist die Arbeit mit Online-Quellen natürlich sehr viel weniger interessant als wir es uns mit unserer westlichen Infrastruktur vorstellen können. Springer biete seine Bücher zunehmend auch als E-Book im Dateiformat PDF an, verkaufe sie aber direkt nur als collection an Bibliotheken. Spezielle Formate für E-Book-Reader ständen derzeit nicht zur Verfügung.

Überhaupt: Die E-Book-Reader von Sony und von das jetBook von Ectago, die letztes Jahr nur angekündigt worden waren, wurden diesmal in Halle 3 dem breiteren Publikum gezeigt. Gemeinsam mit einer Mitarbeiterin beim juristischen Sortiment von Wolters Kluwer, die zufällig ebenfalls vorbeikam, befragte ich die Angestellten wegen der Funktionen. Kurz gesagt, fanden wir beide Geräte von Sony ebenso wie das jetBook unbefriedigend. Die viel gepriesene Darstellungsqualität der Geräte war durchweg ganz unspektakulär. Es handelte sich um kleine entspiegelte TFT-Bildschirme mit monochromer Schwarz-weiß-Darstellung und etwas größerem Blickwinkel, etwas kleiner als bei einem Netbook. Bei den Sonys fiel auf, daß sich das Bild nur sehr langsam aufbaute. Außerdem wurde es zuerst weiß auf schwarz gezeigt und schaltete erst dann um auf eine Darstellung schwarz auf weiß. Bei Sony kann man mit einem mitgelieferten Stift handschriftliche Notizen an bestimmten Textstellen anbringen, die auch auf dem Bildschirm angezeigt, gespeichert und wieder abgerufen werden können. Die Darstellung erfolgt grundsätzlich ähnlich wie in einem Webbrowser. Es gibt also keinen Seitenumbruch, sondern nur Fließtext, der gezoomt und gescrollt werden kann. Die Seitenzählung ist deshalb abhängig vom jeweiligen Schriftgrad. Der Darstellungsqualität ist genauso schlecht wie man es von einem Webbrowser kennt, das heißt die Darstellung bleibt weit hinter der typographischen Qualität zurück, die man aus gedruckten Büchern kennt: Kein ordentliches Kerning, und auch keine Abbildungen. Mathematischer und chemischer Formelsatz sei nicht möglich. Hierfür müsse man auf PDF-Dateien zurückgreifen, die auf dem kleinen Bildschirm dann aber mit Scrollbalken dargestellt werden, was bedeutet, daß man dann ständig horizontal und vertikal scrollend lesen muß. Dies alles kostet derzeit etwa 200 Euro, und der Buchmarkt ist erst im Aufbau. Es gilt die Buchpreisbindung, das heißt die E-Bücher sind genauso teuer wie die gedruckten Werke. Ich habe den Eindruck, daß man diese Geräte noch nicht kaufen sollte und besser auf die nächste oder sogar auf die übernächste Version wartet.

Mehrmals Promi-Alarm: Gesine Schwan talkte beim „Vorwärts“, und Reinhold Messner erzählte bei der „Frankfurter Rundschau“ von seinen schönsten Gipfeln – da ging ich lieber weiter. Bei 3sat huschte einer der Moderatoren der „Kulturzeit“ vorbei. Dort gab es schöne rote Stofftragetaschen, die mir heute gute Dienste leisteten.

Zeitungen wurden verteilt, Literaturbeilagen, stapelweise, tonnenweise.

Und Brockhaus fand sich heute zum ersten Mal bei Bertelsmann. Merkwürdig.

Viele weitere Bücher betrachtete ich, las ich an, auch solche, die ich jetzt nicht mehr benennen könnte.

Und zwischen alledem fand wiederum, wie in einer Zwischenwelt, zwischendrin an den kleinen Ständen auch die Buchmesse der kleinen, unbekannteren Verlage und Autoren statt, die es auch noch gibt.

Acht Stunden reichen aus, um die zwei meistbesuchten Hallen zu besuchen.

Die chinesische Märchenstunde überließ ich anderen.

Auf jeder Buchmesse findet man aber auch wirklich Anstößiges. Vor zwei Jahren war es der Verlag von Scientology, der mir insoweit negativ auffiel, im hinteren Winkel der anglo-amerikanischen Halle 8. Im vergangenen Jahr war es Google, eine Firma, die bekanntlich so viele Bücher einscannt, nicht, damit sie von Menschen gelesen werden, sondern damit sie „in Zukunft von einer künstlichen Intelligenz gelesen werden“, wie ein Mitarbeiter einmal in etwas absurder Manier erklärte. Und in diesem Jahr war es der Stand der extrem rechts ausgerichteten Wochenzeitung „Junge Freiheit“, der ganz hinten im letzten Winkel der belebtesten Halle plaziert worden war. Am Stand des „Freitag“ linker Hand vorbei, die „Zeit“ rechts liegen lassend, nach links abbiegend, blickte man direkt darauf. Geschätzt zwei- bis dreimal so groß wie der kleine, angemessene Stand des „Freitag“, durchaus als Blickfang in der Ecke aufgemacht, jedoch im Abseits liegend. Als ich mich bei der „Jungen Welt“ nach deren Beobachtungen erkundigte, erklärte man mir, dieser Verlag tauche schon seit längerem immer wieder auf Buchmessen auf, auch in Leipzig. Viele verwechselten die „Junge Welt“ mit der „Jungen Freiheit“, gerade auch Anhänger der Piratenpartei, hieß es. Die NPD lasse dort drucken. Niemals würde ich mir von diesem Verlag ein Probeexemplar schenken lassen. Der Schoß ist fruchtbar noch. Bei der Rückfahrt sah ich auf dem Bahnsteig eine Frau, die nicht so wählerisch wie ich gewesen war und das Blatt ungeniert hochhielt.

Gleichzeitig veröffentlicht am 18. Oktober 2009 in der Freitag Community.