Der Jahrestag

Die Bundesregierung begeht den zehnten Jahrestag der Bekanntmachung des Berichts der sogenannten Hartz-Kommission mit einem neuen Gesetzentwurf. Er wurde gestern im Bundeskabinett verabschiedet und hat zum Zweck, die Prozeßkostenhilfe und die Beratungshilfe für die Betroffenen einzuschränken. Bei „kleinen Streitwerten“, die für das Sozialrecht typisch sind, soll es keine Prozeßkostenhilfe mehr geben. Außerdem würden „die Freibeträge für Geringverdiener gesenkt und Ratenzahlungszeiträume“ für die Tilgung von Darlehen und die Stundung von Zahlungen verlängert.

Wer den RSS-Feed des Bundessozialgerichts mitliest, weiß, daß dort mittlerweile schwerpunktmäßig Hartz-IV-Verfahren bearbeitet werden. Man kennt auch die Erfolgsquote dieser Verfahren. Noch nie hat es im Bereich der Verwaltungsgerichtsbarkeit in Deutschland so einen großen Anteil erfolgreicher Verfahren gegeben wie hier. Das Sozialrecht und die Sozialgerichtsbarkeit sind seit den Reformen durch Rot-grün nicht mehr wiederzuerkennen. Der Pressesprecher der Bundesregierung erklärt dagegen angesichts der Aktenberge in den Sozialgerichten, es gehe darum, durch die Erschwerung des Zugangs zum Rechtsweg den „Missbrauch staatlicher Hilfeleistungen zu verhindern“.

Was da im einzelnen geplant worden ist, wissen wir bisher offenbar noch nicht, denn es spielt sich unter Ausschluß der Öffentlichkeit in Kabinetten und sonstigen geschlossenen Gremien ab, nur wenige Zeitungen schreiben darüber, und auch das nur sporadisch. Die Sozialverbände waren jedenfalls unisono dagegen, liest man, aber ihre Kritik sei in keinem Fall in den Gesetzentwurf eingeflossen. Man habe sie einfach nicht beachtet, sagte der Referatsleiter für Sozialrecht beim DGB-Bundesvorstand Robert Nazarek gegenüber dem Neuen Deutschland.

Die beeindruckend lange Liste der „für nichtig oder verfassungswidrig erklärten Bundesgesetze“ wird wohl noch länger werden, denn wenn ein typisierendes Gesetz bei der Festlegung von Bagatellbeträgen oder Einkommensgrenzen genau so zugeschnitten wird, daß es typischerweise zu Härten führt, weil dadurch der Zugang zu den Gerichten für belastende Maßnahmen der staatlichen Gewalt, die existenzsichernder Art sind, unmöglich gemacht werden soll, dann ist das ein ziemlich klarer Verstoß gegen Artt. 19 IV, 3 I, 1 I GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und dem Sozialstaatsprinzip des Grundgesetzes. Erst schafft man ein Gesetz, gegen das der Bürger klagen muß, wenn er überhaupt noch Leistungen erhalten will, und dann entzieht man dem mittellosen Bürger noch die wirtschaftliche Möglichkeit, sich kompetent gegenüber der staatlichen Gewalt, die seine Rechte nicht angemessen würdigt, vertreten zu lassen. Das Ziel, gerade hier Kosten zu sparen, ist dabei besonders verwerflich, denn dazu stände dem Gesetzgeber ein einfacherer und leichterer Weg zur Verfügung, indem er nämlich praktikablere Regelungen schüfe und vor allem auch geeigneteres Personal einstellte, so daß es von vornherein gar nicht notwendig wäre, über Fehler der Verwaltung zu streiten und Rechtsrat bei einer unabhängigen Beratungsstelle wie etwa einem Rechtsanwalt einzuholen.

Das weitere Gesetzgebungsverfahren ist zu beobachten. Nächstes Jahr sind Bundestagswahlen.

2 Kommentare zu „Der Jahrestag“

  1. Das Problem wird durch die niedrigen Streitwerte verschärft. Ein Rechtsanwalt kann in diesem Feld nur dann wirtschaftlich einigermaßen vernünftig arbeiten, wenn er viele Verfahren hat und die über Prozesskostenhilfe abgesichert sind (bei den Mandanten ist nichts zu holen). Einschnitte, Bagatellgrenzen etc. zerstören leicht dieses Geschäftsmodell – das bedeutet, dass die Betroffenen es noch schwerer haben werden, überhaupt einen Anwalt zu finden, der bereit ist, sie zu beraten und vor Gericht zu vertreten.

    1. Wem sagst Du das… Habe es ja selbst als RA einst erlebt. Und wenn der Mandant zweimal zur Beratung kommt, muß man das dem Amtmann, der es beim AG bearbeitet, auch noch erklären. Zum Glück gab es damals einen Beschluß des BVerfG: Es waren zwei Angelegenheiten, nicht eine. Aber es hat über ein Jahr gedauert, bis das Honorar überwiesen wurde für die beiden insgesamt zwei Stunden langen Beratungen plus Akte anlegen plus BerH-Antrag stellen plus Nachlegen mit dem Beschluß des BVerfG. Völlig unwirtschaftlich. War aber auch mein letztes Beratungshilfemandat damals.

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