Der Wanderer VII

Joseph Beuys hat den folgenden Text geschrieben, den wir vor ungefähr fünf Wochen als food for thought erhielten, und auf den ich gerade wieder hingewiesen worden bin. Beuys‘ Rat verweigert sich jeder Logik, insbesondere der materialistischen Verwertungslogik und der bürgerlichen Ideologie, und er läßt denjenigen, der ihn befolgt, wertvoller werden und stärker, lebendiger. Deshalb möchte auch ich diesen Text weitergeben, obwohl er schon so oft im Netz zu finden ist.


Anleitung zum guten Leben

Laß dich fallen, lerne Schlangen zu beobachten.
Pflanze unmögliche Gärten.
Lade jemanden Gefährlichen zum Tee ein.
Mache kleine Zeichen, die „ja“ sagen
und verteile sie überall in deinem Haus.

Werde ein Freund von Freiheit und Unsicherheit.
Freue dich auf Träume.
Weine bei Kinofilmen.
Schaukle so hoch du kannst mit einer Schaukel bei Mondlicht.

Pflege verschiedene Stimmungen.
Verweigere dich, ‚verantwortlich zu sein‘ – tu es aus Liebe!
Mache eine Menge Nickerchen.
Gib Geld weiter. Mach es jetzt. Es wird folgen.
Glaube an Zauberei, lache eine Menge.
Bade im Mondschein.

Träume wilde, fantasievolle Träume.
Zeichne auf Wände.
Lies jeden Tag.
Stell dir vor, du wärst verzaubert.
Kichere mit Kindern, höre alten Leuten zu.
Öffne dich, tauche ein. Sei frei. Preise dich selbst.

Laß die Angst fallen, spiele mit allem.
Unterhalte das Kind in dir. Du bist unschuldig.
Baue eine Burg aus Decken. Werde nass. Umarme Bäume.
Schreibe Liebesbriefe…

4 Kommentare zu „Der Wanderer VII“

  1. Das ist einfach „ohne-Worte-schön“ – sehr wohltuend und heilend. Vielen Dank!
    Grüße von Susann

    1. Mir geht es ebenso. Zum Hintergrund: Beuys war ein großer Rudolf-Steiner-Fan. Er las u. a. gerne in dessen Seelenkalender. Steiner und Beuys beschäftigen sich beide mit den Voraussetzungen für inneres Wachstum. Sie suchten nach dem Nährenden, das man braucht, um Ressourcen zu pflegen oder wieder aufzubauen. In diesem Sinne ist Beuys‘ Text zu verstehen. Derzeit lerne ich ihn auswendig, ganz langsam, eden Tag kommt eine weitere Zeile hinzu. Siehe übrigens auch die Bezüge zwischen Christoph Schlingensief und Joseph Beuys.

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