„Angezettelt – Antisemitismus im Kleinformat“ im Museum für Kommunikation Frankfurt am Main

Ende der 1990er Jahre veröffentlichte Daniel Goldhagen sein Buch „Hitlers willige Vollstrecker“, in dem er unter anderem die These aufstellte, der gesamtgesellschaftliche Antisemitismus in Deutschland sei eine zentrale Triebkraft des Holocaust gewesen. Der Antisemitismus hatte (und hat) sozusagen eine volkstümliche Seite. Und es gibt Zeugnisse dafür, die man auch heute noch auffindet und nachweisen kann. Nicht nur auf der Straße oder an manchen Stammtischen begegnet man solchen Ansichten, sie sind vielerorts schon längst wieder salonfähig geworden. Wenn etwa Bernd Lucke von der AfD Michel Friedmann in einer Talkshow mal so eben über den Mund fährt, weil das seinen Wählern imponiert, und der Moderator dazu kommentiert, er, Friedmann, solle sich nicht so anstellen.

Hier geht es nun um den alltäglichen Antisemitismus, der sich ausbreitet in der Öffentlichkeit. Überwiegend ohne prominentes Gesicht. Mit kleinen Aufklebern, die in Bahnzügen und auf der Straße angebracht werden, an Ladengeschäften, und zwar in ziemlich großer Zahl. Und das auch nicht erst in den 1920er und 1930er Jahren, sondern schon im Kaiserreich, so daß es auch schon früh zur Gegenwehr kam. Der Central-Verein deutscher Staatsbürger jüdischen Glaubens mobilisierte seit 1893 gegen die antisemitische Propaganda, unterstützt übrigens von Bürgern aller Konfessionen.

Die Ausstellung „Angezettelt – Antisemitismus im Kleinformat“, die seit dieser Woche im Museum für Kommunikation in Frankfurt am Main gezeigt wird, versucht zu rekonstruieren, wie das wohl gewesen sein mag. Aufkleber breiteten sich – ähnlich wie die etwas älteren Flugschriften – seit der Jahrhundertwende massenhaft aus. Sie waren als Sammelbilder, wie man sie heute noch kennt, in erster Linie ein Werbemedium für kommerzielle Zwecke, das in Alben eingeklebt wurde. Aber es gab eben auch andere Motive. Aus dem Jahr 1893 datiert eine runde blaue Klebemarke, auf der steht: „Kauft nicht bei Juden!“ Seit Anfang der 1920er Jahren nimmt das zu, breitet sich diffus aus, weil man die Täter nicht kennt. Ich stelle mir das unheimlich vor. Es dürfte bei den Betroffenen zu einer erheblichen Verunsicherung durch dieses Mobbing gekommen sein. Gegenaufrufe entstehen. Man fordert dazu auf, sich nicht zurückzuziehen, sondern sich einzumischen, zum Beispiel in die Vereine zu gehen und für die eigenen Rechte einzutreten. Es kommt auch zur Solidarisierung, etwa in einem Kegelverein in Breslau, wo gegen das Aufkleben solcher Marken von den Mitgliedern vorgegangen wurde. Das war aber eine Ausnahme. Als sich die Marken auch auf Briefen ausbreiteten ergeht ein Erlaß des Reichspostministeriums, um das zu untersagen. Nachdenklich macht die Vitrine am Eingang der Schau, in der eine Sammlung von Liebesbriefen aus der Zeit zwischen 1920 und 1923 zu sehen ist, jeder Umschlag trägt eine Marke mit einem antisemitischen Zitat. Da hatten sich zwei gefunden.

Ein besonders eklatantes Beispiel war das Hotel Kölner Hof, das, direkt am Frankfurter Hauptbahnhof gelegen, schon vor der Jahrhundertwende mit imitierten Bahnfahrkarten mit dem Aufdruck „Freikarte nach Jerusalem“ aufgefallen war, „gültig ab jeder Deutschen Station, nicht übertragbar, hin und nicht wieder zurück“. Der Betreiber des Hotels Hermann Laass, ein Frankfurter Stadtverordneter, bezeichnete sein Haus, das 1889 gegründet worden war, seit 1893 als ein „judenfreies Hotel“ – auch davon zeugen kleine Briefsiegelmarken. Er veranstaltete antisemitische Tagungen und stattete sein ganzes Haus mit entsprechenden Parolen aus, „jüdischer Besuch verbeten“, bis in die Tischdekoration und das Geschirr hinein. Als er damit begann, auch den Außenbereich dementsprechend zu dekorieren, wurde ihm von der Stadt Frankfurt die Außenbestuhlung verboten. Er machte trotzdem weiter.

Die Ausstellungsstücke stammen aus der Sammlung des Berliners Wolfgang Haney, der das Dritte Reich als Kind erlebte. Seine Mutter war Jüdin. Als er in den 1990er Jahren auf Postkarten mit judenfeindlichen Motiven aufmerksam wurde, beginnt er, sie zu sammeln. Es gibt einen Markt für solche Dinge, es gibt Händler und Auktionen, und die Preise seien entsprechend hoch. Auch die Klebemarken, die hier gezeigt werden, stammen aus diesem Umfeld. In zwei Interviews hat Haney über sein Leben und über seine Sammlung erzählt, zum einen gegenüber der Bundeszentrale für politische Bildung, aber auch vor etwa einem Jahr im RBB-Inforadio. Auch bei Spiegel Online Einestages findet sich ein Beitrag zum Thema mit Abbildungen zeitgenössischer Klebemarken.

Die Ausstellung endet mit einem Blick auf die Gegenwart. Den Antisemitismus und den Rassismus gibt es weiterhin, auch die Motive wiederholen sich. Im Wahlkampf zum Berliner Abgeordnetenhaus 2011 verteilte die NPD ein „Rückflugticket“ mit der Aufschrift: „Ab Deutschland, Ziel Heimat, One way“. Und in einem Video wird eine pensionierte Berliner Lehrerin interviewt, die mit dem Herdkratzer durch die Straßen geht, um die heutige Neonazi-Propaganda von den Laternenmasten zu entfernen. „Angezettelt – Antisemitismus im Kleinformat“ schärft den Blick dafür.

Angezettelt – Antisemitismus im Kleinformat“. Museum für Kommunikation Frankfurt am Main, bis 21. September 2014. Kuratoren: Isabel Enzenbach und Marcus Funck, jeweils Zentrum für Antisemitismusforschung, Berlin. Das begleitende Material findet man auf der Website des Museums, lesenswert sind insbesondere die Ausstellungstexte. Auf Flickr findet man ein Album mit den Pressephotos.

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