Die Onleihe als Verkaufsplattform

„Sie verkaufen jetzt Dosen mit Tomatensaft,/ wo der Schimmel gleich mit drin ist/ ein Schluck und dir ist schlecht,/ und du greifst zum Magenbitter,/ anzunehmen, daß das der Sinn ist/ denn die Magenbitterfirma/ ist ein Tochterunternehmen/ der Tomatenmutterdose/ dieses Marketing zu schlucken,/ dazu mußt du dich bequemen,/ sonst geht alles in die Hose.“ (Heinz Rudolf Kunze, Geht das nicht alles nochnbißchen schneller, in: Der schwere Mut, 1983).

Doch, es geht noch schneller. Die Onleihe bietet jetzt nicht nur Adobe-DRM-verschlüsselte und nur vorübergehend zu öffnende PDF- und EPUB-Dateien, die genausoviel kosten wie gebundene Bücher, zum Download an, sie verkauft nun auch Bücher. Ganz wie in dem geradezu hellseherischen Song von Heinz Rudolf Kunze aus den 1980ern, wird sie ihren hauseigenen Online-Shop sofortwelten.de (sic!) in die Bibliotheksplattform einbinden. Ist ein Buch, das der Benutzer herunterladen möchte, gerade verliehen, ploppt ein Kaufbutton auf, der zu der EKZ-Schwester nebenan weiterleitet. Ein bemerkenswertes Marken- und Portal-Biotop ist da also entstanden.

Für maßgeblich halte ich in dem Zusammenhang den Hinweis von Dörte Böhner, wonach die Bibliothek, die solches aus öffentlichen Mitteln anbietet, außerhalb ihres Auftrags handelt, wenn sie auf einem von ihr finanzierten Portal selbst zum Buchhändler wird oder andere dort mit Büchern handeln läßt. Das schadet nicht nur dem örtlichen Buchhandel, indem noch mehr Geschäft ins Internet gezogen wird, sondern es liegt ganz schlicht außerhalb dessen, was eine öffentliche Bibliothek tun darf. Sie ist nicht dazu ermächtigt, den Verkauf von Büchern zu fördern und dafür auch noch Provision zu kassieren. Das Angebot der öffentlichen Bibliotheken (auf dem Bücherregel wie auf der virtuellen Verleihplattform) darf nicht im Verdacht stehen, einem finanziellen Kalkül zu folgen. Allein um Qualität darf es gehen. Bibliotheken sind kulturelle Einrichtungen, sie dienen der Bildung und der Unterhaltung, sie stellen Öffentlichkeit her und erfüllen damit eine notwendige gesellschaftliche Aufgabe. Handel ist, bitteschön, woanders. Sonst bekommen wir über kurz oder lang eine Szene, wie man sie vom Privatfernsehen her kennt, wo bekanntlich das eigentliche „Programm“ aus den Stücken besteht, die zwischen den Werbefilmen gezeigt werden.

Geradezu absurd erscheint aber die Lage, die die Onleihe mit diesem neuen Dienst herbeiführt. Erst wird die Verfügbarkeit von digitalen Texten durch das DRM künstlich verknappt, so daß ich z. B. die Zeitung von gestern nur eine Stunde lang lesen darf. Dann wird dem zu spät gekommenen Leser durch den Verkaufsbutton suggeriert, wenn er den Text jetzt lesen wolle, könne – vielleicht kommt bei ihm sogar an: müsse – er ihn bei dem Tochterunternehmen der EKZ und der Onleihe kaufen. Und schließlich sinken infolgedessen auch noch die Ausleihzahlen bei den Bibliotheken, weil die Leute von dort in den Online-Shop geschickt werden – in den sie in Zukunft gleich direkt gehen können? Mit einer so erworbenen Provision entzieht die Bibliothek ihrem eigenen Modell selbst den Boden und sägt an dem Ast, auf dem sie und das gesamte Bibliothekswesen hierzulande sitzt.

Ist das am Ende das Ziel des ganzen? Die Bibliotheken überflüssig zu machen und die Benutzer gleich in die Geschäfte zu schicken? Natürlich nicht in den kleinen Laden um die Ecke, sondern zu einem der großen fünf im Netz? Weil die EKZ diese weitere Zielgruppe so viel lukrativer bedienen kann, denn sie ist es ja als Mutterunternehmen, die am Ende auf jeden Fall am meisten von alledem verdient? Und wenn wir heute noch nicht zu den Top5 dazugehören, dann warten Sie mal ab, das kommt noch, darum geht es ja bei dem ganzen.

In der analogen Welt wäre das undenkbar. Aber online wollen sie das machen. Da werden ja nicht nur Bücher verkauft. Am Ende verkauft die Onleihe die Bibliotheken gleich mit – und zahlt ihnen noch ne Provision dafür. Na, da war aber was los, als die das gemerkt haben, oder?

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